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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

kleiner Führer über etwas stolperte, was im schmalen Wege lag, und beim Fallen das Knie gegen einen Stein schlug. Zum Glück hatte ich, wie jeder ostindische Jäger einen Vorrath von Pflaster bei mir, das ich auf die Wunde legte; da aber der Kleine nur mit Schwierigkeit gehen konnte und sich nach der Heimkehr zu sehnen schien, so ließ ich mir die einzuschlagende Richtung beschreiben und entließ ihn, auf unerhörte Weise bereichert, nämlich durch den Besitz einer Rupie.

Er sagte mir, ich dürfe nur der schnurgeraden Richtung folgen, um meinen Lagerplatz zu erreichen und es schien mir nicht sehr wahrscheinlich, von dem einzigen Wege abweichen zu können, der sich von dem holperigen und unbetretenen Boden deutlich unterschied. Der Mond schien noch nicht und die weite, offene Fläche, hier und da von flachen sandigen Gräben durchschnitten, den im Sommer trockenen Betten der Bergströme, die sich zur Zeit der Passatwinde ergießen, dann und wann auch durch ein Gebüsch oder eine Baumgruppe unterbrochen, schien sich in’s Unendliche auszudehnen. Hinter mir konnte ich noch die dunkeln Schatten der Wälder und Hügel unterscheiden, vor mir war aber Alles eine leere Fläche, außer daß in weiter, weiter Ferne ein blinkendes Licht das Nachtfeuer eines Pilgrims, die Wohnung eines Menschen oder das Heiligthum eines Fakirs andeuteten. Dies war der Punkt, auf welchen ich losmarschiren sollte und so lange er sichtbar blieb, ging Alles gut; allein bald verschwand er und ich sah ihn nicht wieder.

Alle die einer asiatischen Nacht eigenthümlichen Töne und Überraschungen sammelten sich um mich, als ich langsam dahin schritt. Die Luft war angenehm kühl, Myriaden von Insekten, von der Nacht geboren, füllten die Atmosphäre: die stinkende, grüne Wanze blieb mir im Haar hängen, Mosquito’s summten hungrig um meine Ohren und große weiß beflügelte Motten hielten mit dummer Hartnäckigkeit meine Augen für ein glänzendes Futter; Grillen und Heuschrecken zirpten laut umher, zuweilen fuhr eine Nachteule quer durch die Oede und als ich einen kleinen Bach überschritt, hob sich eine Schaar der großen, weißen Reiher, die man Paddivögel nennt, weil sie sich häufig in den feuchten Paddi- oder Reisfeldern aufhalten, auf einmal von ihrer Tränke empor und während sie träge hinwegflogen, sahen sie aus wie eine Schaar in schneeweiße Hüllen vermummter Geister. Eine Rohrdommel ließ sich hören und das Quaken vieler Ochsenfrösche; hier und da war auch das Firmament, schön bei der dichten Finsterniß, die dem Aufgange des Mondes vorausgeht, mit Feuerfliegen erfüllt. Sie tanzten und glühten und glitzerten um mich her, wie fliegende Diamanten; sie bedeckten die Bäume eines Wäldchens, durch das ich kam, bis jeder Zweig wie mit Zauberlampen behangen, jedes Blatt mit Tropfen von Diamanten, Rubinen und Smaragden bethaut schien.

In stummer Bewunderung blieb ich stehen und betrachtete sie. Plötzlich, so plötzlich als sie vor mir erschienen waren, verschwanden sie, wie durch ein unbegreifliches, nur ihnen vernehmbares Machtgebot verscheucht und Alles war wieder in Nacht gehüllt.

Es war jetzt in der That so finster, daß ich wußte, der Mond müsse bald aufgehen, und da ich im Stehenbleiben eine gewisse Beruhigung und Sicherheit fühlte, so entschloß ich mich zu warten, bis sich die Nacht etwas aufhellen würde.

Ich war in einen kleinen sandigen Graben hinabgestiegen und hatte mich auf ein Ufer in der Nähe des kleinen Baches gesetzt, der noch keinen Schritt breit war. Die köstliche Kühle des Windes, der reiche Duft, welcher von den Goldblüthen einiger in der Nähe stehender Bebus (Gummi-Arabicum-Bäume) herwehte, die Abwesenheit der plagenden Insekten und ein bedeutender Grad von Müdigkeit vereinigten sich, mich schläfrig zu machen und sorglos überließ ich mich dem unwiderstehlichen Drange nach Schlummer, als urplötzlich etwas an mir vorbeisauste, ein schwirrendes Getös erscholl und ein scharfer Gegenstand mich schmerzhaft an das ausgestreckte Bein traf, ein Schall, als wenn viele Stäbe rasch hintereinander zusammengeschlagen würden, folgte und dann war wieder Alles todtenstill.

Heftig erschrocken fühlte ich mit der Hand nach meinem Beine und fand, daß in der That ein Etwas meine Beinkleider durchbohrt und meinen Fuß verletzt hatte, denn es floß Blut aus der Wunde. Ich konnte nichts sehen; aber meine untersuchende Hand erfaßte einen spitzen Gegenstand – sollte es ein Pfeil sein? Nein, es war der frischausgefallene Stachel eines Stacheligels. Das scheue, so selten gesehene Thier, war hergekommen, um zu trinken und, bei der unvermutheten Berührung mit meinem Beine, eines jener schönen gefleckten Stacheln beraubt worden, aus denen die kunstfertigen Eingebornen einiger Gegenden Indiens so zierliche Arbeitskästchen machen.

Es war noch immer dunkel, obwohl die pechschwarze Dunkelheit der Atmosphäre gewichen war. Ich hielt es indeß für rathsam mich aus der Nähe des Wassers zu entfernen, um ähnlichen Begegnungen vorzubeugen, und schlich mich hinauf nach der Ebene, wo ich mich auf das trockene, rauhe Stechgras niederwarf und einige Minuten wach bleiben wollte. Aber ach! gerade als ich mir noch bewußt war, daß der Horizont sich bereits grau färbe, überfiel mich der Gott des Schlafs und ich unterlag.

Ich schlief fest und süß. Niemals habe ich seitdem im Freien fest und süß geschlafen, denn mein Erwachen war von Entsetzen begleitet. Ehe ich noch vollkommen wach war, hatte ich eine seltsame Vorahnung von Gefahr, die mich an den Boden fesselte und mich vor jeder Bewegung warnte. Ich wußte, daß ein Schatten über mich hinschlich und daß es am Klügsten sei, in stummer Regungslosigkeit unter demselben zu bleiben. Ich fühlte, daß meine Füße unter der Wucht einer lebendigen Kette lagen; aber gleichsam als hätte mich ein wohlthätiger Schlaftrunk befangen, der die Bewegung jeder Sehne verhütete, wurde ich auch nicht eher, als bis ich vollkommen munter war, gewahr, daß eine ungeheure Schlange den untern Theil meiner Füße bis herauf zu den Knieen bedeckte.

„Mein Gott, ich bin verloren!“ rief es in meinem Innern, während jeder Blutstropfen in meinen Adern sich in Eis zu verwandeln schien. Ich bebte wie ein Espenlaub, bis die Besorgniß, daß meine plötzliche Erschütterung das Thier erwecken möchte, mein Gefühl dämpfte und mich wieder regungslos liegen ließ.

Die Schlange schlief oder blieb wenigstens ohne Bewegung – wie lange?, weiß ich nicht zu sagen. Für den von Angst Befangenen ist die Zeit wie der Ring der Ewigkeit. Auf einmal wurde der Himmel hell, der Mond trat hervor, die Sterne standen über mir – ich konnte also Alles sehen, während ich ausgestreckt auf der Seite lag, die eine Hand unter meinem Haupte, von wo ich sie nicht wegzunehmen wagte, und doch wagte ich es nicht, hinab nach meinem grauenvollen Schlafgenossen zu blicken. Plötzlich trat ein neuer Gegenstand des Schreckens hinzu.

Ein sonderbares Schnurren hinter mir, dem zwei scharfe Tritte auf dem Boden folgten, machten die Schlange munter. Sie bewegte sich, ich fühlte das und kroch aufwärts nach meiner Brust. Ich ward fast wahnsinnig vor überwältigender Angst, denn ich mußte meinem fast sichern Untergang entgegen sehen. In diesem Augenblicke höchster Seelenpein sprang etwas auf meine Schulter – auf die Schlange!

Der angreifende Theil erhob ein gellendes Geschrei, die Schlange ließ ein lautschallendes Zischen hören.

Einen Moment konnte ich fühlen, wie sie auf meinem Körper mit einander rangen; im nächsten lagen sie neben mir auf dem Rasen, dann sah ich sie einige Schritte entfernt, im heftigen, erbitterten Kampfe mit einander ringend, sich wechselseitig umdrehend. – Es war ein Munghus oder Ichneumon und eine Cobra de Capelo!

Ich sprang nun auf und sah dem eigenthümlichen Kampfe zu, denn es war jetzt hell wie am Tage. Ich sah sie einen Augenblick entfernt von einander stillstehen. Aber der giftige Zauber des Schlangenblicks erwies sich machtlos gegen die scharfen, beweglichen, durchdringenden Augen des Gegners. Noch einmal wurde dieser Zweikampf mit den Augen mit einem ernsteren Ringkampfe vertauscht. Ich sah, wie der Munghus gebissen ward und hinwegschoß, wahrscheinlich um die noch unbekannte Pflanze zu suchen, deren Saft das Gegengift gegen den Schlangenbiß gewährt; ich sah, wie er mit erneuter Kraft zurückkehrte und wie die Cobra de Capelo endlich, gelähmt vom Kopfe bis zu dem schuppigen Schwänze, aus ihrer bisherigen aufrechten Stellung mit einem dumpfen Zischen leblos niederfiel. Der wunderbare Sieger überließ sich den sonderbarsten Zeichen der Freude und tanzte unter den heftigsten Sprüngen auf dem Körper des erlegten Gegners herum, schnurrend und spuckend gleich einer wüthenden Katze.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_395.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)