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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Warum fragt sie nach Rudolphi?“ dachte Cäsar. „Doch nein,“ fügte er sich beruhigend hinzu, „das Gerücht hat eine leere Vermuthung ausgesprochen, wozu die innige Freundschaft der beiden Frauen Anlaß gegeben. Es ist eben so lächerlich, wenn man sagen wollte: Cäsar von Beck macht Madame Rudolphi den Hof. Uebrigens habe ich vorgebeugt, und Rudolphi wird sein gegebenes Versprechen erfüllen.“

Cäsar machte Gesellschaftstoilette, um seine Frau zu täuschen, warf einen Pelz über, und bestieg einen Fiaker. Er ließ sich nach dem Magdeburger Bahnhofe fahren.

Um diese Zeit empfing Wilhelmine von Elisen einen Brief.




IV.

Bernhard Rudolphi hatte von seinem Vater ein großes Vermögen geerbt, er galt für einen der reichsten Männer der Stadt. Mehr der Unterhaltung als des Gewinnes wegen hatte er sich bei verschiedenen Bank- und Actienunternehmungen betheiligt, wodurch er mit auswärtigen Geschäftsleuten bekannt geworden war. Auf einer Vergnügungsreise lernte er in K. Elisen kennen, die um jene Zeit die gefeierteste Schönheit der Residenz war. Elise gehörte nämlich als tragische Liebhaberin dem Hoftheater an. Bernhard bewunderte die Kunst und liebte die Künstlerin, die nach seiner Ansicht das Ideal weiblicher Schönheit war. Der unabhängige reiche Mann, gewohnt, sich Nichts zu entsagen, befriedigte die brennenden Wünsche seines Herzens, indem er sich um Elisens Gunst bewarb, diese erhielt, und das schöne Mädchen, wegen dessen ein Gardeoffizier den andern im Duell erschossen, heirathete, ohne sich um die Meinung der Welt und die Klage der Recensenten zu kümmern, die da meinten, daß die Liebe der deutschen Bühne einen unersetzlichen Verlust bereitet habe. Das erste Jahr lebte Madame Rudolphi völlig glücklich, sie liebte ihren Mann, und ihr Mann betete sie an. Im zweiten Jahre kamen die ersten Stunden, in denen sie mit Sehnsucht an die Bühne zurückdachte, denn Bernhard war mehr tragischer Liebhaber als Gatte. Im dritten Jahre bedauerte sie, die freie Künstlerlaufbahn mit dem Joche vertauscht zu haben, das ihr die Eifersucht ihres Mannes auferlegte. Der Leser kennt bereits die Art und Weise, wie sich diese Eifersucht äußerte.

Es giebt Heirathen, welche die Liebe, andere, welche der Verstand contrahirt – Bernhard Rudolphi hatte aus Eitelkeit geheirathet. Zu dieser dritten Kategorie zählen, mit wenigen Ausnahmen, alle Verbindungen, die zwischen reichen Männern und Künstlerinnen geschlossen werden. Der Mann ist eitel auf den Ruhm seiner Frau, und die Frau auf das Geld ihres Mannes. Aber leider ist diese Eitelkeit nur von kurzer Dauer; schwindet sie, so schwindet auch die Grundlage des ehelichen Glücks.

Die Eitelkeitsheirath, die wir zu schildern versuchen, war in das erste Stadium der Entwickelung getreten. Bernhard war eifersüchtig, weil er des frühern Standes seiner schönen Frau gedachte, und Elise fühlte sich in ihrer Würde gekränkt, weil sie sich ihres Ruhmes erinnerte. Die Liebe war durch eine dreijährige Ehe ein wenig abgekühlt.

Seit dem letzten Besuche Wilhelminens im Hause des Particuliers waren acht Tage verflossen. Die beiden Gatten beobachteten der Welt und den Domestiken gegenüber ein Betragen, das durchaus nichts von ihrem Seelenzustande verrieth; sie affectirten den Ton, den man bei ihnen gewohnt war. Diese Ueberwindung vermehrte die Unzufriedenheit eines Jeden mit der eingetretenen Situation. Bernhard beharrte in seinem Entschlusse, der koketten Gattin die Nichtigkeit seines Verfahrens zu beweisen – und Elise ward in dem Vorsatze bestärkt, ihrem Gatten die Lächerlichkeit seiner ungegründeten Eifersucht darzuthun. Beide hatten ihre Pläne eingeleitet.

Eines Morgens hatte Bernhard seine Toilette vollendet, um auszugehen. Da trat Fritz, der Kammerdiener, in das Zimmer, und überreichte seinem Herrn eine Karte.

„Der Ueberbringer wünscht den Herrn zu sprechen!“ sagte er.

Bernhard warf einen Blick auf das feine, glänzende Blatt.

Er las: Gottfried Christian Beck, Senator.

„Beck?“ fragte er sich verwundert. „Sollte er zu Cäsar von Beck in Beziehung stehen? Der Mann ist Senator, ich darf ihn nicht abweisen.“

Er gab Befehl, den Fremden einzuführen.

Nach einer Minute trat unser Senator ein, den wir auf der Reise kennen gelernt haben. Den Pelz hatte er im Vorzimmer abgelegt, er erschien schwarz gekleidet und mit dem weißen Halstuche, ohne das kein Senator einen schwarzen Frack tragen darf. Gottfried Christian Beck sah einem gutbepfründeten und zum Gustav-Adolf-Vereine gehörenden Geistlichen eben so ähnlich, als einem Senator. Mit der Gravität, die bei einem kurzen, dicken Manne stets etwas Lächerliches trägt, verneigte er sich.

„Herr Rudolphi?“ fragte er lächelnd.

Bernhard verneigte sich so aristokratisch, als möglich.

„Der Weinhändler Flemming in Bremen, mein Freund, den ich um eine Empfehlung für Leipzig bat, hat mich an Herrn Rudolphi adressirt. Ich gedenke mich einige Zeit hier auszuhalten, und erlaube mir, mich auf meinen Freund zu beziehen. Hier ist sein Brief.“

„Herr Senator,“ sagte Bernhard, nachdem er den schmeichelhaften Empfehlungsbrief gelesen, „ich schätze mich glücklich, daß Herr Flemming, dessen Vater mit dem meinigen lange in Geschäftsverbindung stand, mir die Ehre Ihrer Bekanntschaft verschafft. Verfügen Sie über den ganzen Einfluß, den ich in meiner Vaterstadt besitze.“

Rudolphi bot seinem Gaste einen Sessel an. Der Senator, ein taktvoller Mann, ließ sich zu gleicher Zeit nieder, als Bernhard ihm gegenüber Platz nahm.

„Mein Herr,“ begann der Senator, indem er seine fleischigen Hände über dem runden Bauche faltete und einen Daumen um den andern spielen ließ – eine Gewohnheit, die er von seinem Amtsvorgänger adoptirt hatte – „mein Herr, ich benutze sofort Ihre Gefälligkeit und bitte Sie, mir ein halbes Stündchen zu widmen. Eine Reise im Winter ist selbstverständlich keine Vergnügungsreise –“

„So sind Sie in Geschäften nach Leipzig gekommen?“

„Nein, eigentlich nicht, wenn man Familienangelegenheiten nicht als Geschäfte betrachtet.“

„Ah, in Familienangelegenheiten!“ sagte Bernhard gedehnt, denn er dachte an Cäsar von Beck, und wunderte sich, warum der Senator sich gerade an ihn wendete.

„Mein jüngerer Bruder war Legationsrath in O … schen, Diensten. Als er starb, hinterließ er einen Sohn und ein sehr mäßiges Vermögen. Der Sohn, Cäsar von Beck, sollte Cameralwissenschaft studiren; zu diesem Zwecke brachte man ihn nach Braunschweig auf das Gymnasium, und später ließ man ihn die Universität Göttingen beziehen. Nach beendeten Studien hielt sich mein Neffe in Braunschweig auf, weil er Lust hatte, in herzogliche Dienste zu treten. Das Todesjahr seines Vaters war auch das seiner Großjährigkeit, und er empfing die Hinterlassenschaft des Legationsraths. Herr Cäsar schien darauf gewartet zu haben, denn vier Wochen nach dem Antritte der Erbschaft verheirathete er sich mit einer jungen Sängerin, die er vom Parterre aus lieben gelernt hatte. Die Einzelnheiten dieser Heirath kenne ich nicht, mir ist selbst der Name der Sängerin unbekannt; ich weiß nur so viel, daß sie sehr schön und ein unbescholtenes Mädchen ist. Cäsar ist ein wenig Schwärmer, aber er war stets ein guter Junge, dem ich ein recht glückliches Loos gewünscht hätte. Nach der Hochzeit, die in aller Stille abgemacht wurde, ging er mit seiner jungen Frau auf Reisen, und es verflossen mehrere Jahre, ohne daß ich etwas von ihm hörte. Da erhielt ich vor vier Wochen einen Brief von Frau von Beck, in dem sie mir anzeigt, daß Cäsar gemüthskrank zu werden scheine, wenn er es nicht schon sei; sie glaube, schrieb sie, die Schwermuth ihres Mannes sei vorzüglich dadurch entstanden, daß der Bruder seines Vaters, der einzige Verwandte auf dieser Welt, ihm zürne, und sie könne begreifen, daß ihre Heirath der Grund dieses Zerwürfnisses sei. Darum bitte sie mich, dem Neffen ein freundlicher Onkel zu sein und ihm die Freudigkeit des Gemüths durch einen väterlichen Brief zurückzugeben. Die Frau schreibt vortrefflich, und ich muß bekennen, daß mich ihre zärtliche Liebe zu Cäsar tief gerührt hat. Nun aber möchte ich wissen, in welcher Beziehung mein Neffe sich über mich zu beklagen hat?“ rief der Senator. „Ich habe mich nicht von ihm, sondern er hat sich von mir zurückgezogen. Hätte er an mich geschrieben, so würde ich ihm freundlich geantwortet haben, denn die Heirath mit seiner Sängerin kümmert mich nicht, weil er, und nicht ich, mit seiner Frau zu leben hat. Ich bin und bleibe

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