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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

No. 29. 1856.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Spiele des Zufalls.
Novelle von August Schrader.
(Fortsetzung.)

Wilhelmine liebte ihren Mann mit der ganzen Fülle ihres jugendlichen Herzens; es läßt sich denken, daß sie jetzt, wo er sich ihr als Märtyrer seiner Liebe zeigte, mit einer Dankbarkeit an ihm hing, die ihre Liebe heiligte und ihrer Ehe eine neue Weihe gab. Sie setzte sich zu ihm, strich das feuchte Haar aus seiner Stirn, und küßte ihn.

„Woran denkst Du, Cäsar?“ fragte sie schmeichelnd.

„An unsere Vergangenheit, Wilhelmine!“

„Macht sie Dir Kummer?“

„In einer Beziehung, ja!“

„Darf ich diese Beziehung wissen?“

„Daß Dir Deine Liebe zu mir den Haß Deiner Mutter zugezogen hat.“

„Ist es das?“ fragte sie, schmerzlich lächelnd.

„Ich weiß nicht, woher es kommt – aber dieser Gedanke lastet jetzt mehr als je auf meiner Seele. Mir ist, als ob ich unfähig wäre, Dich je für das Opfer zu belohnen, das Du mir gebracht hast.“

„Cäsar,“ flüsterte sie, „liebst Du mich nicht mehr?“

Der junge Mann umschlang sie und sah sie mit einem Blicke an, der seine ganze schwärmerische Leidenschaft verrieth, in dem seine ganze Seele lag.

„Ich kann nur dann aufhören Dich zu lieben, wenn ich zu leben aufhöre!“ rief er aus.

„Dann, mein Geliebter, beklage mich nicht, denn ich bin beneidenswerth glücklich!“

Wie zwei Kinder, die sich das erste Liebesgeständniß gemacht, umschlangen und küßten sie sich.

„Wie fühlst Du Dich heute?“ fragte Cäsar in seinem zärtlichsten Tone.

Die junge Frau stellte sich, als ob sie erstaunte.

„Wie ich mich heute fühle? Wie gestern, wie jeden Tag – sehr wohl!“

„Und doch scheint mir, als ob Du bleicher wärst.“

„Die kalte Luft hat mich vielleicht ein wenig angegriffen. Cäsar, sagtest Du nicht, daß mich die Blässe interessant mache?“

„Gewiß, mein Kind! Sie ist selbst ein Hauptbestandtheil Deiner Schönheit.“

„Schmeichler!“ rief sie lächelnd. „Fast möchte ich glauben, daß Du mich eitel machen wolltest. Aber ohne eitel zu sein, wird sich Deine Frau bemühen, Dir stets elegant und interessant zu erscheinen. In der nächsten Soirée wirst Du mich in einem neuen Kleide erblicken, das ohne Zweifel Deinen Beifall haben wird. Vor Tische habe ich den Stoff dazu gekauft. Es ist drei Uhr vorbei – die Putzmacherin wird angekommen sein, um mir das Maaß zu nehmen. Erlaube mir, daß ich mich auf kurze Zeit entferne!“

Bei der letzten Umarmung brachte Wilhelmine den Brief des Doctors geschickt in die Tasche Cäsars. Dann verließ sie hüpfend das Zimmer.

„Mein Gott,“ murmelte Cäsar, „wie furchtbar ist der Gedanke, daß dieses himmlische Wesen durch eine schleichende Krankheit zerstört wird! Der Doctor hat Recht, sie darf nicht ahnen, daß sie bereits den Weg zum Grabe angetreten hat. O, wäre es mir vergönnt, ihr den kurzen Rest des Lebens mit den Freuden des Himmels zu versüßen!“

Dann zog er das Couvert und den Brief aus der Tasche, und warf beides in den Ofen. Kaum hatte er den alten verbrannt, als er durch die Post einen neuen Brief erhielt. Ein Advokat schrieb ihm, daß er beauftragt sei, eine Wechselschuld von hundert Louisd’or von ihm einzuziehen und auf Personalarrest anzutragen, wenn bis morgen Mittag nicht Zahlung geleistet sei. Auch diesen Brief verbrannte Cäsar. Dann öffnete er einen Secretair und untersuchte seine Kasse; sie enthielt zweiundzwanzig Louisd’or.

„Ich muß noch einmal reisen,“ flüsterte er vor sich hin; „Muth, Cäsar, Muth, es gilt ja das Leben Deiner Wilhelmine. Gott wird mir verzeihen, daß ich sie täusche, denn ich täusche sie, weil ich sie heiß und innig liebe!“

Eine Stunde später sagte er zu seiner Frau: „Wilhelmine, ich bin für diesen Abend zu einer Gesellschaft geladen, die aus Männern besteht, deren nähere Bekanntschaft mir wünschenswerth ist.“

„O, mein Freund, so zögere nicht, diese Gesellschaft zu besuchen!“ antwortete rasch die junge Frau.

„Man sagte mir, daß man sich oft erst am Morgen trenne.“

„Ich werde ruhig schlafen, da ich weiß, daß Du Dich amüsirst. Wird auch Rudolphi dort sein?“ fragte sie, indem sie mit Mühe ihre Unbefangenheit bewahrte.

„Ich zweifle daran, da die Gesellschaft aus adeligen Personen besteht.“

Wilhelminen war ein Stein vom Herzen genommen.

„Gehe, mein Freund; ich wünsche Dir einen recht heitern Abend!“ sagte sie, indem sie ihren Mann küßte.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_381.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)