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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Marketender versorgte uns mit Allem, was nur zu kaufen geht. Andrerseits hinderte uns kein Wärter in unserem Treiben in der Kasematte; nur der Arzt erwies uns jeden Morgen die Aufmerksamkeit seines Besuches und hin und wieder Vorladungen des dort residirenden Kriegsgerichts zum Verhör.

Interessant war das Leben in der Kasematte selbst. Wir hatten einen Präsidenten der Kasematte und zwei Vicepräsideuten; außerdem waren zwei Ordnungsführer mit der Macht bekleidet, eine selbst geschaffene Disciplin aufrecht zu erhalten. Um neun Uhr Morgens, nachdem jeder sein Frühstück verzehrt hatte, begannen die politischen Debatten, welche mit eben der Präcision und Ordnung, aber entschieden mit mehr Feuer und Eifer geführt wurden, als in staatsverfassungsmäßig constituirten Parlamenten. Die Discussion wurde um so animirter, nachdem die Zeitung angekommen war. Freilich war die Verabfolgung einer solchen streng untersagt, indessen war unser Marketender eine so gute Seele, daß er für einen Franken nicht Anstand nahm täglich die „Presse“ in einem ausgehöhlten Brote hereinzuschmuggeln. Der Präsident verlas dieselbe laut und leitete nebenbei die Debatten. Ganz schnurrig kam es mir hierbei vor, wenn der draußen frierende und sich langweilende Wärter in die Kasematte eintrat, die Zeitungslektüre mit anhörte und den parlamentarischen Debatten aufmerksames Gehör lieh, ohne jemals die Zeitung sehen zu wollen oder Anzeige von unserer Frevelthat zu machen. Da, wie gesagt, die Majorität den gebildeten Ständen angehörte, so waren jene Vormittagsstunden für Jeden von großem Interesse; zu gleicher Zeit durfte auch bis zwölf Uhr keine Privatunterhaltung die politische Diskussion stören.

Nach dem Mittagsessen pflegten wir gewöhnlich Alle zusammenzulegen, um ein Stückfaß Wein von fünfzig Litres zu kaufen, dessen Inhalt wir beim oftmals profanen Klang von arrangirten Gesängen ausleerten, indem selbst die Armen, welche kein Geld zum Zusetzen hatten, dabei ächt brüderlich Theil nehmen mußten.

Um sieben Uhr Abends wurden oftmals wissenschaftliche Verträge gehalten, welche sich auf alle Gebiete erstreckten und sowohl Naturwissenschaft, als auch Literatur, Geschichte, Philosophie, Rechtslehre und Nationalökonomie berührten. War indessen dieselbe beendigt, so pflegten sich die Bewohner der Kasematte gewöhnlich auf ihre Matratzen zu legen, die wollene Decke behaglich über sich zu strecken und nun den Schnurren und launigen Erzählungen zuzuhören, welche von Einem und dem Andern zum Besten gegeben wurden. Nach Beendigung dieser jedoch war jedes laute Reden und Conversiren untersagt, um diejenigen, welche schlafen wollten, in ihrer Ruhe nicht zu stören, die sie zu oft nach jenen theuern und lieben Kreisen träumend zurückversetzte, aus denen man sie so zuvorkommend wie mich aus dem Bette gerissen hatte.

Durch die Urtheile des Kriegsgerichts und durch Freilassungen schmolz allmälig dies Parlament nach einigen Monaten zusammen; wie es sich aber gänzlich auflöste, das vermag ich nicht zu sagen, da ich bald darauf durch Reklamation und Bürgschaft meines Gesandten aus meiner Haft entlassen ward.

E. Schmidt-Weißenfels. 




Der Jahde-Busen im Großherzogthum Oldenburg.

An der nordwestlichen Seite der Jahde, außerhalb des Schaudeiches, liegt eine Strecke Landes, Dauensfeld genannt, dessen Spitze südöstlich in die Jahde hinausragt. Hier standen ehemals sieben gesegnete Kirchspiele: Bredum, Oldebrugge, Havermönniken, Dauens oder Douvens, Bandt, Seedyk und Ahme, welche in der großen Antonifluth von 1511 theils ganz, theils mehrentheils von den Wellen verschlungen wurden. Der in dieser Katastrophe noch übrig gebliebene Theil von Dauens ging durch die Stürme von 1683 und 1754 unter den Meereswogen verloren.

Gegenwärtig sehen wir noch die oberahmischen Groden, welche durch Eindeichung der Jahde abgewonnen, das größte Gut in Jeverland, vielleicht im ganzen Großherzogthum, bilden. Ferner zeigt sich uns der Bandter Kirchhof, welcher von den Wellen seit 1511 bespült, längst aufgehört hat zur Ruhestätte Entschlafener zu dienen, wo jedoch noch jetzt menschliche Gebeine und von zerstörten Gebäuden früherer Zeiten herrührende Ziegelsteine gefunden werden. Bandt wird als das größte der verunglückten Kirchspiele angesehen. Hier, oder vielmehr in dem benachbarten Neuende (Nyende) stand ehemals die vom jeverschen Häuptling Edo Wynenken dem Aelteren 1380 erbaute Burg Siebethsburg, die wegen der vielen, von dieser Feste aus getriebenen Seeräubereien im Jahre 1433 von den Hamburgern zerstört wurde. Jetzt deuten nur noch Spuren zweier Wälle das frühere Dasein des gefürchteten Häuptlingssitzes auf der Anhöhe an.

An der nördlichen Seite von Dauensfeld, unmittelbar am Deich, liegt die französische Schanze; sie ward in den Jahren 1811–12 unter Napoleon’s Gewaltherrschaft als Schutzwehr der Jahde gebaut, um den Briten das Einlaufen in dieselbe zu erschweren und besonders, um dem damaligen Schmuggelhandel von Helgoland aus Einhalt zu thun. Noch sieht man einen Theil des Erdwalles und eine Reihe von Pfählen, die als mahnendes Denkmal der Vergänglichkeit irdischer Hoheit und Gewalt aus dem Wasser emporragen.

Vom Deich aus eröffnet sich eine vortreffliche Aussicht auf die ganze Jahde mit ihren fernen Ufern: Schräg gegenüber von Dauensfeld und östlich von Heppens erblickt man Eckwarden, weiter südlich treten die Ober-Ahmfelder hervor, und den südlichsten Hintergrund bildet endlich das Seebad Dangast, welches Jedem, der eine ländliche, nicht sehr kostspielige Seebadeanstalt besuchen möchte, sehr zu empfehlen ist, zumal wenn die Gebrechen und körperlichen Uebel keinen zu heftigen Wellenschlag und ein nicht zu stark mit Salztheilen geschwängertes Wasser erfordern.

Ein vorzüglich anziehendes Seegemälde bietet die Jahde dem Beschauer noch besonders durch die verschiedenartigen Segel- und Dampfschiffe, welche, einen beständigen Verkehr zwischen England und Varel unterhaltend, den Meerbusen beleben und den wachsenden Geschäftsbetrieb wie den Alles bewältigenden Unternehmungsgeist des rasch zu Wohlstand gekommenen Varel bekunden.

Die Jahde (Jadua, Jada, in alten Urkunden auch Eddenriad, Riede, Ried genannt), welche jetzt, so weit sie den Meerbusen bildet, von den größten Kauffarthei- und Kriegsschiffen befahren werden kann, in alten Zeiten aber bis fast an ihre Mündung so schmal gewesen sein soll, daß sie nur für kleinere Schiffe fahrbar war, entspringt aus dem Zusammenfluß mehrerer Bäche (Bäken genannt) in den Kirchspielen Rastede und Jahde, und bekommt ihren Namen Jahde erst, nachdem sie die Hahner Bäke noch aufgenommen hat; sie geht dann weiter durch das Kirchspiel Jahde, nimmt daselbst das aus dem Moore hinter Bollenhagen kommende Flüßchen, die Dornebbe auf, und vereinigt sich dann hinter Jahder-Altendeich mit der Wapel. Von dieser trennt sie sich nahe vor dem jahder oder wapeler Siele, fließt aber außerhalb Deiches bei dem ruter Sieltief, wo sie die Grenze des Amtes oder der Herrschaft Varel gegen das Amt Rastede macht, wieder zusammen und fällt dann als ein beträchtlicher Meerbusen in die Nordsee.

Von großem Interesse für die Neuzeit und wichtig für Deutschlands Zukunft wird dieser Meerbusen durch den preußischen Kriegshafen, zu dessen Anlage die Arbeiten bereits begonnen und von wo aus in Kurzem der Kanonendonner dem deutschen Volke die Grundsteinlegung seines ersten Bollwerks zum bewaffneten Schutze seiner Handelsinteressen verkünden wird.

Nachdem Preußen am 20. Juli 1853 den Vertrag der Gebietsabtretung mit Oldenburg abgeschlossen, fand am 23. November 1854 bei der französischen Schanze auf Dauensfeld die Uebergabe von Heppens und des Jahdegebietes durch Oldenburg an Preußens König unter großer Feierlichkeit statt.

Den neuesten Mittheilungen zufolge sollen in diesem Jahre die Arbeiten zur Herstellung des preußischen Kriegshafens an der Jahde in bedeutend größerm Umfange als seither betrieben werden. Bereits sind zur kräftigen Förderung der Bauten zahlreiche Maschinen, namentlich Bagger- und Rammmaschinen, von großer Leistungsfähigkeit am Jahdeufer bei Heppens aufgestellt. Seit dem 15. April befinden sich die Arbeiten wieder im Gange.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_359.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)