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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

als die erbittertsten Feinde, jeder war froh, von der lästigen Gesellschaft des Andern befreit zu sein. Sie ahnten nicht, daß sie sich einander sehr nahe standen, und daß sie sich unter ernsten Umständen bald wiedersehen würden!




II.

Die Scene, die der Verfasser jetzt mittheilen wird, empfiehlt er der besondern Nachsicht der freundlichen Leserinnen unserer Gartenlaube. Er befindet sich in einer ähnlichen Lage wie der Senator Beck der Landdrostin gegenüber, das heißt, er wird von den Umständen gezwungen, die Galanterie ein wenig aus den Augen zu lassen, um so wahr als möglich zu schildern, ein Bestreben, dessen er sich nicht entäußern darf, wenn er vor dem Richterstuhle der Kritik einigermaßen Gnade finden will. Um der Verzeihung der Leserinnen desto sicherer zu sein, fügt er noch hinzu, daß er mit den Augen des Hypochonders sieht, eines Menschen, der Alles in einer grauen Färbung erblickt.

Um dieselbe Zeit, als sich die beiden Reisenden in Magdeburg trennten, befanden sich in Leipzig zwei junge Damen in dem Salon eines eleganten Hauses, das an einem der belebtesten Plätze steht. Die eine von ihnen, eine bleiche, zarte Schönheit, stand in vollständiger Toilette am Fenster, und sah sinnend durch die großen Spiegelscheiben auf den belebten Platz hinaus. Sie trug eine Mantille von schwarzem Sammet und einen braunen Atlashut mit weißen Straußfedern. Die zweite Dame, eine blendende, üppige Schönheit, stand noch vor dem Spiegel und ordnete die schwarzen Locken unter dem prachtvollen weißen Hute; hinter ihr stand das Kammermädchen, den seidenen Mantel bereit haltend.

„Ist der Wagen schon da?“ fragte sie, ohne die Blicke von dem Spiegel abzuwenden, der das reizende Gesicht der vierundzwanzigjährigen Frau zurückgab.

„So eben fährt er vor,“ antwortete die Dame am Fenster.

„Den Mantel, Sophie!“

Das Kammermädchen legte behutsam den eleganten Mantel um die schwellenden Schultern der Herrin. Dann entfernte es sich.

„Schon wieder sind Sie in das unglückselige Sinnen versunken, das ich nicht verbannen kann! Wilhelmine, fast möchte ich Ihnen zürnen.“

Wilhelmine trat von dem Fenster zurück. Ein schmerzliches Lächeln verbreitete sich über ihr bleiches, ausdrucksvolles Gesicht, als sie die Hand der Freundin ergriff und antwortete:

„Sie haben Recht, Elise! Halten Sie mich für eine Thörin, aber zürnen Sie mir nicht. Sie wissen, daß Ihre Freundschaft mir unentbehrlich geworden ist, wie die Luft, die ich athme.

Ich begreife, daß Ihnen meine Besuche oft lästig werden müssen.“

„Liebe Freundin, ich behaupte, daß ich schlimmer daran bin, als Sie!“ sagte Elise mit erzwungener Heiterkeit. „Mein Mann ist eifersüchtig wie der Mohr von Venedig, er bewacht jeden meiner Tritte und Schritte, und nur wenn ich in Ihrer Gesellschaft bin, stellt er seine kränkenden Beobachtungen ein – muß ich mich nicht glücklich preisen, wenn Sie mich ohne Ihren Mann besuchen? Opfern Sie mir nicht einen Theil der kostbaren Zeit, die Sie der Liebe widmen könnten?“

„Glauben Sie mir, ich fühle das Bedürfniß, mich auch der Freundschaft zu erfreuen und wiederhole Ihnen, daß ich trotz der zärtlichen Liebe meines Mannes große Sorgen habe.“

„Ach, es hat ein Jeder in dieser Welt sein Kreuz zu tragen!“ seufzte Elise. „Wir sprechen Morgen oder übermorgen mehr über dieses Kapitel – jetzt folgen Sie mir, daß ich Sie in die Gemäldegallerie führe, Sie kennen dann alle Sehenswürdigkeiten unserer guten Stadt. Vergessen wir auf eine Stunde das Hauskreuz, das die Liebe bereitet.“

Wilhelmine seufzte lächelnd; dann küßte sie die Stirn der Freundin, als ob sie ihr für diesen Entschluß danken wollte. In dem Augenblicke, als Elise die Thür des Salons zu öffnen im Begriff stand, trat ein Mann von vielleicht dreißig Jahren ein. Betroffen blieb er stehen, als er die beiden Damen erblickte.

Nachdem er Wilhelmine mit kalter Artigkeit gegrüßt, fragte er:

„Du willst ausfahren, Elise?“

„Um meiner Freundin die Gemäldegallerie zu zeigen,“ antwortete die junge Frau, die mit Verdruß die Aufregung ihres Mannes bemerkt halte. „Ich glaubte die zwei Stunden, die Du in Geschäften außer dem Hause verbringen wolltest, nicht besser anwenden zu können!“ fügte sie ruhig hinzu. „Willst Du mich begleiten?“

„Nein; aber ich ersuche Dich, zu Hause zu bleiben!“

„Bernhard, wenn ich Dich nun bitte, mich zu begleiten?“ fragte Elise, ihren Unwillen verbergend.

„So müßte ich Deine Bitte ablehnen, und auf meiner Forderung beharren.“

„Auf Deiner Forderung? Bernhard, Frau von Beck ist meine Freundin!“

„Aber Herr von Beck ist nicht mein Freund; ich spreche in diesem Augenblick eine Gesinnung aus, die ich schon zu lange aus übertriebener Artigkeit geheim gehalten habe. Wenn Frau von Beck darauf Rücksicht nehmen will, so wird sie mich der Unannehmlichkeit überheben, das so eben Gesagte zu wiederholen.“

Bernhard trat in den Salon, setzte seinen Hut auf einen Tisch, zog hastig die Handschuhe aus, und warf sie in den Hut. Elise erröthete, sie war keines Wortes mächtig. Wilhelmine war bleich geworden, und Thränen standen in ihren dunkeln Augen. Schweigend reichte sie der Freundin die Hand, und verschwand aus dem Saale. In dem Vorzimmer schwankte sie, und sank auf einem Stuhle nieder.

„Mein Gott, was ist das?“ flüsterte sie.

Nachdem sie einen Augenblick starr zu Boden gesehen, raffte sie sich gewaltsam empor, eilte zitternd die Treppe hinab, verließ das Haus, bezeichnete dem Kutscher ihre Wohnung, und stieg in den Wagen, der davon fuhr.

Wir kehren in den Salon zurück.

(Fortsetzung folgt.)




Land und Leute.
Nr. 5. Die Ruhl und die Rühler.
Die Gegend. – Die schönen Ruhlerinnen und die Elephantine. – Ueberall Poesie. – Geschichte von Ruhla. – Ein Ort und drei Landesväter. – Wie der Herr so der Knecht. – Die Ruhl im vorigen Jahrhundert. – Die Leidenschaften der Rühler. – Taubenzüchter. – Finkenschlag.

Wie die schlafende Natur auf einzelne Menschen alle reizenden Gaben des Körpers und des Geistes häuft, so auf einzelne Gegenden und Landschaften. Die Natur ist die größte und wahrste Dichterin. Auf viele tausend Meilen fruchtbares ebnes Ackerland in Hellas gab sie nur ein zwei Stunden langes Thal Tempe. Auf die fruchtreichen Gegenden des nördlichen und mittlern Thüringens gibt sie die nur wenige Stunden im Umfange haltende reizende Gebirgslandschaft des nordwestlichen Thüringerwaldes, deren Mittelpunkt und merkwürdigster Ort Ruhla oder die Ruhl ist, die neuerdings wieder von Bade- und anderen Reisenden so viel besucht wird. Der vorherrschende Charakter dieser Berggegend ist durchaus der der Milde und Anmuth.

Mit dem Reiz der Gegend verbindet sich ein schöner, edler, deutscher Menschenschlag, geistig und körperlich wohlbegabt, zu Scherz und Frohsinn und Lebenslust vorzüglich geneigt, witzig und neckelustig, voll reizender Schelmerei und Schalkhaftigkeit. Und auch in der Menschenwelt ist das anmuthige und milde weibliche Element das hervorragende, überwiegende. Die fast mehr als die griechische von Kennern hochgehaltene deutsche Schönheit der ruhlaer Mädchen ist schier weltberühmt. Nicht vergebens strömen in der schönsten Jahreszeit alljährlich eine Menge Studenten aus Jena, Göttingen und anderen Universitäten nach Ruhla, um einige Tage hier im Genuß der Schönheit zu verleben, welche ihr natürlicher ästhetischer Sinn in Berg und Thal und den Menschenkindern weiblichen

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