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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Freilich darf man auch dieses Gehirnturnen nicht übertreiben, da sonst der Körper leiden muß, von dem ja der Geist zehrt bei allen seinen Thätigkeiten. Körper und Geist sind Systeme von Kräften, in welchen ein ununterbrochener Ausgleichungsprozeß stattfindet. Daher stört die allzugroße körperliche Anstrengung den Geist, und ebenso die allzu lange, allzu heftige geistige den Körper.

Aber betrachten wir zum Schluß noch eine freundliche Gruppe von Kindern. „Ringel Ringel Rosenkranz,“ so ertönt es aus frischer Kehle und die muntern Beine sind Zeichen lustiger Herzen. Das ist ein angenehmes Feld. Hierher, ihr Trübsinnigen und Lebensüberdrüssigen, damit ihr seht, was ein befangenes und heiteres Leben ist, hierher, ihr Zopfpädagogen, damit ihr lernt, was man thun muß, um Kinder zu erfreuen. Ihre Erfindungsgabe ist bei diesen Belustigungsspielen oft sehr groß, und nicht selten nehmen sie die drolligsten Wendungen. Aber redet um Himmelswillen nicht hinein, jedes Ausrufungszeichen, was ihr dabei macht, wird zu einem Eiszapfen für die junge Freude. Nicht gegängelt zu werden, frei zu hüpfen, das ist ja eben die Lust für das Kind. Solche Belustigungsspiele sind ächte Freudenquellen. Und da bei heiterer Stimmung wir viel leichter in’s Kindesherz säen und pflanzen, so sind diese Spiele so wichtig wie alle Uebrigen. Sollte auch hier und da einmal eine Unart zum Vorschein kommen, so wollen wir nicht gleich den Kriegszustand erklären. Es ist damit wie mit den Maikäfern. Wer alle vom Baume herunterschütteln will, streift manche Blüthe mit ab. Wer gar so pedantisch jede kindliche Regung, die nicht in die Etiquette paßt, ausrotten möchte, der erstickt auch manches edle kindliche Gefühl, welches später im Kinde reiche und schöne Früchte getragen haben würde.

So haben wir in der Kürze die hauptsächlichsten kindlichen Spiele beobachtet. Vielleicht hat Mancher dabei an seine Kindheit zurückgedacht und meine Worte bestätigt gefunden. Vielleicht ist Mancher auch aufmerksamer auf die Spielplätze seiner Familie, sieht wohl auch jetzt den kleinern Spielern in die Karte und lenkt und leitet, wenn auch für die Kleinen unbewußt, den Gang und die Art der Spiele. Dann hätten meine Zeilen den Zweck vollkommen erreicht. Das nächste Mal wollen wir der Musik der Kinder lauschen, wie sie in heutiger Zeit auftritt und dabei unseren Gedanken ein wenig nachgehen. Auf Wiedersehen!




Ein spanisches Schattenbild.

Wenn auch „Räubergeschichten“ keineswegs in das Gebiet der Gartenlaube gehören, so trage ich doch kein Bedenken, in Folgendem eine solche den Lesern zu erzählen. Natürlich ist dabei meine Absicht nicht, einem verdorbenen Geschmacke zu fröhnen; und auch darauf will ich die Mittheilung meiner Räubergeschichte nicht stützen, daß sie auf buchstäblicher Wahrheit beruht, und der jüngsten Vergangenheit angehört. Sie soll vielmehr ein grelles Schlaglicht auf die Zustände eines Landes werfen, welches Keime genug in seinem Schooße birgt, um unter einer bessern Pflege in schnellem Emporblühen ein reiches und glückliches zu werden, während es jetzt davon beinahe das Gegentheil ist.

Spanien ist dieses Land, und indem ich an die schlichte Erzählung gehe, kann ich es füglich den Lesern überlassen, ihre Folgerungen zu ziehen auf die Gesittung des spanischen Volkes und auf die Beschaffenheit der Regierung, unter deren Walten noch im Jahre 1849 solche Dinge möglich waren, solche freche Verhöhnung der Staatsgewalt und solch’ panisches Schrecken der Bevölkerung über die am hellen Tage vor Tausenden verübte That. Ich schalte blos noch ein, daß ich meine Erzählung im Wesentlichen aus einem Manuscripte über „Spaniens Handelsverbindungen mit dem Auslande, Deutschland insbesondere, Zollwesen und Industrie“ entlehne, welches der Verfasser, mein verewigter Freund Julius Tucht, sächsischer Consul in Barcelona, der von der vorletzten Cholera-Epidemie daselbst weggerafft wurde, leider unvollendet hinterlassen hat.

Wenn man die Festungsmauern Barcelona’s verläßt und durch die Puerta de Isabel segunda in derjenigen Richtung sich landeinwärts wendet, welche dem Hafen gerade entgegengesetzt ist, so dauert es geraume Zeit, ehe man die letzten Außenwerke des Gewerbfleißes der zweiten Stadt des Königreichs im Rücken hat. Der breite und, in Spanien leider eine Seltenheit, vortrefflich erhaltene vierfache Reit- und Fahrweg zeigt an seinen beiden Seiten eine Menge Belustigungsorte, welche an Schönheit und Geschmack der Gärten und Gebäude den ersten pariser Anstalten dieser Art nicht nachstehen. Links und namentlich rechts liegen ganz dicht an der Straße, die Tag und Nacht den regsten Verkehr zeigt, eine Menge ländlicher Ortschaften mit den Quinta’s der reichen Barcelonesen. So kommt man endlich in die große, ganz städtisch aussehende Landgemeinde Sanz, in welcher einige Spinnereien und Kattunfabriken von der erheblichsten Bedeutung ihre hohen Dampfessen durch die fortwährend von wirbelnden Straßenstaubwolken erfüllte Luft emporragen lassen. Ich selbst habe mich mehrmals überzeugt, welch’ reges Leben den ganzen Tag über in Sanz auf den Beinen ist, welches fast nur eine einzige, mindestens eine halbe Stunde lange Gasse bildet.

Hier traten am 10. April 1849 in den Vormittagsstunden ein paar bewaffnete Strauchdiebe (trabucaires) in das besuchteste Kaffeehaus des Ortes und drohten Jeden der Anwesenden mit ihren weitrohrigen Trabucos niederzuschießen, der sich nicht ruhig verhalten würde, lasen dann eine Liste vor, auf welcher die Namen von sechs Personen verzeichnet waren, von denen fünf, unter ihnen der Alcalde des Ortes, zufällig gegenwärtig waren, welche von ihnen festgenommen, geknebelt und aus dem Hause geführt wurden, wo sie unter sprachlosem Entsetzen der übrigen Anwesenden in eine bereit stehende Tartane gepackt wurden. Furcht und Entsetzen hatte dem inzwischen zusammengekommenen Haufen Neugieriger die ganze Kraft gelähmt, so daß die Räuber unangefochten mit den geraubten fünf Personen, unter denen auch ein reicher Franzose sich befand, unangefochten die Straße entlang und zum Dorfe hinausfuhren, ohne daß Jemand auch nur Miene gemacht hätte, sie aufzuhalten. Erst eine halbe Stunde später, nachdem die Räuber längst in Sicherheit waren, läutete man die Sturmglocke, jedenfalls mehr deshalb, um dem schwächlichen, geschriebenen Gesetz gegenüber wenigstens mit Etwas aufkommen zu können, als in der ernstlichen Absicht, den Bandoleros die bewaffnete Gewalt auf die Fersen zu hetzen, welche dem ritterlichen und kecke Abenteuer liebenden Sinne des spanischen Volkes für eine Art Heroen gelten.

Mehrere Wochen verflossen, ohne daß man den Räubern auf die Spur kam; die öffentliche Meinung sprach sich sehr laut darüber aus, und der Raubanfall erhielt eine gewisse Berühmtheit, die in Spanien jeder kühnen Handlung, sei sie gut oder böse, zugestanden wird. Endlich gelang es dem Sicherheitscommissar Serra y Monclus, in das undurchdringlich scheinende Dunkel zu dringen und dem Gesetze wie den unglücklichen Betheiligten ihr Recht zu verschaffen.

Die Räuber hatten unter steter Todesandrohung die Gefangenen, denen sie die Augen verbunden, mit sich fortgeschleppt; man führte sie die Kreuz und Quer über mehrere Flüsse (ohne Zweifel Llobregat und Noya), zuletzt, nachdem man sie 20 Stunden ohne Nahrung gelassen, in ein bewohntes Haus, wo man sie alle Fünf zwang, in einen tiefen, feuchten Brunnen hinabzusteigen, in den kein Tageslicht drang. Hier reichte man den armen Gefangenen in einem Korbe einige schlechte Lebensmittel hinunter und nöthigte sie, einen Brief an ihre Familien zu unterzeichnen, in welchem gesagt wurde, daß ein grausamer Tod ihrer harre, wenn sie nicht bald ein Lösegeld von 900 Unzen Gold (ungefähr 20,000 Thaler) zahlten. Diesen Brief wußte man auch wirklich in die Hände eines Anverwandten eines der fünf Gefangenen zu bringen.

Es war in dem Briefe vorgeschrieben, derjenige, der das Geld zu bringen habe, müsse auf einem Esel reiten, eine rothe Mütze tragen und würde die Person, die zur Empfangnahme des Lösegeldes geschickt werde, daran erkennen, daß dieselbe ihm die Hälfte einer unregelmäßig ausgeschnittenen Karte zum Vergleich mit der andern Hälfte, die man in jenen Brief gelegt, vorzeige. Zugleich war der Weg vorgeschrieben gewesen und die Banditen hatten ihre Maßregeln so gut genommen, allenthalben Spione

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