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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

mit Syrup und ein paar Büschel Welschkorn mit, um dem Bären eine Falle zu bereiten. Ich fand auch bald ein paar tüchtige Holzstücke, die ich dazu brauchen konnte, hieb sie zurecht und richtete sie mit der ganzen Kraft meines Leibes auf. Wenn sie auf den Bären niederfielen, sollten sie ihn wohl festhalten. Just war ich so weit mit der Falle fertig, daß ich den Köder darin zurecht legte und den Syrup aufschmierte, als ich hinter mir das Schnüffeln des Bären hörte. Rasch drehe ich mich um, nach ihm zu sehen, und erblicke ihn aufrecht vor seiner Höhle stehen, da fühle ich auch in demselben Augenblick einen Schlag von hinten und falle auf die Erde flach wie ein Pfannkuchen.

„Ich dachte zuerst, es hätte mir Einer einen Schlag versetzt. Wäre es nur so gewesen, aber es war was viel Schlimmeres. Die Falle hatte mich gefaßt, und lag mit ihrem ganzen Gewicht auf mir, indem sie meine beiden Schenkel einklemmte. In der Eile des Umdrehens hatte ich den Drücker berührt und das verdammte Holz hatte meine Schinken gefaßt.

„Ich war zwar etwas verletzt, aber das ging noch, und anfangs hoffte ich, ich würde mich herausziehen können, aber je mehr ich zog, je schlimmer wurde es, desto weher thaten mir meine Beine und desto fester hielt sie das Holz. Ich konnte sie weder bewegen noch mich umdrehen und mit den Händen an den Block kommen. Meine eigene Falle hatte mich gefangen und ich war in einer furchtbaren Lage. Vor mir der Bär und die Hütte meiner Mutter zwei Meilen weit entfernt. Und selbst darauf konnte ich nicht rechnen, daß sie mich suchen würde, denn sie war daran gewöhnt, daß ich vier Tage lang auf der Jagd ausblieb. Ich konnte also nur darauf rechnen, daß zufällig einer meiner Nachbarn des Weges käme. Ich rief daher so laut als ich konnte. Das schreckte den Bären und er kroch in seine Höhle zurück. Das war nun allerdings ein Gewinn, denn ich hatte dadurch das Mittel gefunden, ihn von mir fern zu hallen. Ich rief und rief, aber immer kam nur mein eigener Wiederhall zurück, und es schien mir zuletzt, als verspotte mich dieser. Mein nächster Nachbar wohnte freilich fünf Meilen weit, wie konnte ich darauf denken, daß er mich hörte? Ich hatte also die fröhliche Aussicht, hier zu verkommen und zu verhungern, wenn die Bären mich nicht fraßen. – So kam und verging die Nacht, die längste und furchtbarste, die ich je durchlebt habe. Vor Schmerzen konnte ich nicht schlafen und hörte daher das Krächzen der Eulen und zuletzt auch, als es graute, das Schüffeln des Bären, der aus seiner Höhle kroch, und bald darauf gewahrte ich, daß es gar zwei waren. Sie bewegten sich mit ihren dicken Leibern wie dunkle Schatten um mich herum, und standen zuweilen aufgerichtet vor mir wie ein paar schwarze Teufel. Sie hatten offenbar die Furcht vor mir verloren, denn sie kamen immer näher, und ich mußte erwarten, daß sie mich angreifen würden. Die Angst, welche ich hiervor empfand, gab mir auch zugleich Muth. Dicht vor mir lag meine Büchse, ich ergriff diese, und strengte alle Kraft an, mich so weit aufzurichten, daß ich sie in schußgerechte Lage bringen konnte. Ein Bär stand nur vier Schritt weit von mir, ich säumte daher nicht länger, sondem sandte ihm ohne Weiteres die volle Ladung in’s Gesicht. Er fiel um und blieb liegen wie ein gefällter Stier. Er war mausetodt. Das war gut, nun konnte ich auch darauf rechnen, daß die Bärin, denn ich hatte das Männchen geschossen, alsbald zurückkehren und mich mit doppelter Wuth angreifen würde. Ich beeilte mich daher, wieder zu laden, da ich glücklicher Weise auch zu meiner Jagdtasche gelangen konnte. Es währte auch nicht lange, so kam die Bärin. Als sie ihren Gatten am Boden liegen sah, gab sie ein lautes Gebrumm von sich, stand dann still, als sei sie höchlichst überrascht und lief dann auf den Cadaver zu, ihn zu beschnüffeln. Jetzt konnte ich darauf rechnen, daß sie sich nach zwei Sekunden auf mich losstürzen würde und säumte nicht, ihr meine Kugel vor die Stirn zu senden. Das that’s. Ich hatte sie durch’s Auge in’s Gehirn getroffen, und sie stürzte rücklings auf ihren Bärengatten nieder.

„Nun bekam ich wieder frischen Muth. Die Bären hatten mich also wenigstens nicht fressen sollen, und ich mußte noch zu etwas Besserem bestimmt sein. Ich beschloß daher, auszuharren. Endlich mußte man mich ja doch vermissen und suchen, und dann mußte man meinen Ruf hören. Aber der Hunger peinigte mich. Wie zum Hohn lagen da die beiden Bären vor mir und ich konnte sie nicht erreichen. Die Noth macht indessen erfinderisch. Ich hatte ein Seil mitgebracht, um die Falle in die Höhe ziehen zu können, und da ich es nicht gebraucht hatte, lag es am Boden. Das haschte ich, machte eine Schlinge, warf sie nach dem Bären aus, zog diesen an mich, schnitt die Zunge heraus und aß diese roh. Das stillte meinen Hunger, aber dafür plagte mich nachher der Durst. Ich zog den Bären näher und schnitt seine Gurgel durch, aber sein Blut war festgefroren, und ich konnte mir nur helfen, indem ich es aus dem Fleisch, das ich ausschnitt, aufsog. So verging der Tag und es kam die zweite Nacht. Dann und wann hatte ich Eulen und auch noch andere Kreaturen, die eine, glaub’ ich, war ein Fuchs, zur Gesellschaft, schreckte sie aber mit meiner Stimme zurück. Am nächsten Morgen raffte ich meine Kräfte auf’s Neue zusammen, um zu rufen, denn nun rückte ja die Hoffnung immer näher, daß man mich suchen würde, und richtig, eine Stunde nach Sonnenaufgang hörte ich eine Stimme. Das Herz pochte mir gegen die Rippen, so groß war meine Freude. Ich rief noch lauter und lauschte. Es kam eine Antwort.

„Hol’ Euch – was brüllt Ihr denn so?“ rief die Stimme.

„Ich schrie laut: „Hallo!“

„Wer zum Teufel ist denn das?“ fragte die Stimme.

„Casey,“ rief ich zurück, die Stimme meines Nachbarn erkennend, „um’s Himmels willen hierher.“

„Ja, ja, ich komme schon, es ist nicht leicht hier durch das Gestrüpp zu kommen.“

„Seid Ihr das, Redword?“

„Was zum – habt Ihr? – Hol’ der Teufel das Gestrüpp!“

„Endlich brach er sich zu mir Bahn und schlug die Hände über den Kopf zusammen als er mich und daneben die Bären sah.

„Natürlich machte er mich so schnell als möglich frei, aber ich konnte meine Füße nicht gebrauchen. Casey mußte mich nach Hause tragen, und ich lag sechs Wochen bis ich wieder gehen konnte, und hab’s auch nie ganz überwunden.“

Damit endet Redword’s Geschichte.




Blätter und Blüthen.

Der Bart als Medicin. Wir meinen nicht, daß man den Bart auf Flaschen füllen lassen und einnehmen solle, wie jener Bauer, der vom Arzte beauftragt, seinem kranken Sohne ein Fußbad zu geben, ihn zwang, es auszutrinken. Der Bart hat sich in seinem natürlichen Wachsthume am Kinn und unter der Nase als gesundheitschützender Respirator besonders in England wieder Ruhe vor dem wüthenden Rasirmesser und gegen die frühere Verfolgung von Seiten der „backenbärtigen Sclaven des Geldmachens“ verschafft. Noch vor vier bis fünf Jahren war kein Fremder mit einem Barte in England eines ungeschornen, unverhöhnten Schrittes fähig, und in manchen abgelegenen Gegenden ist’s noch so. Aber in den größeren Städten, wo Einsicht und Fremde überhand genommen haben, wächst der Bart auch auf englischen Lippen bereits ganz ungeschoren. In Edinburg sogar haben über 500 Maurer einen Verein zu Wachsthum und Pflege ihrer Bärte als Schutzmittel gegen Staub und dergleichen Lungengifte in der Luft gegründet, und erfreuen sich seitdem einer viel bessern Gesundheit als früher. Englische Aerzte haben eine früher aufgestellte Behauptung tausendfältig bewährt gefunden, daß auch viele Augenkrankheiten, Zahn- und Halsschmerzen von der Wuth, sich möglichst jeden Morgen Kinn und Oberlippen einzuseifen und abzuschaben, herrühren. Schwache entzündete Augen wurden nach dem Wachsthume des Bartes wieder stark und gesund, Zahnschmerzen verschwanden auf immer, und Halsentzündungen, Lungenleiden wurden von den dichten Speeren des Bartes „außerhalb der Thore“ gehalten und zurückgetrieben. Diese Ansichten haben sich in England ziemlich allgemein verbreitet, so daß sich der Bart immer häufiger und stärker als Medicin unter den arbeitenden Klassen einstellt. Gentlemen, Künstler, Krieger tragen ihn längst aus ästhetischen Gründen, so daß das einst terroristisch und exclusiv backenbärtige, steifvatermörderliche, hinten haargescheitelte England eine ganz andere Physiognomie bekommen hat. Kommt noch die Sonntagsmusik hinzu, so hat das alte England aufgehört und ein neues tritt auf die Lebensbühne. Die Sonntagsmnsik ist wichtiger, als ein halbes Tausend Parlamentsbills und russel-palmerston’sche „Reformen.“


Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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