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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Die Einwohner gehörten zu den Indios mansos, den gezähmten Indianern, und trieben Ackerbau oder lebten von der Jagd. Sie hatten auch das Christenthum angenommen, und auf einer erhöhten Stelle des Dorfes prangte eine Kirche mit dem Kreuz. Der Priester war der einzige Weiße in dem Dorfe, und auch er konnte nur vergleichsweise dafür gelten. Obwohl von spanischem Blut, würde er in jedem Theil Amerika’s oder Europa’s für einen „farbigen alten Gentleman“ gegolten haben.

Mein Gastfreund führte mich zu dem Pater, der mich herzlich aufnahm, und zu meinem Erstaunen erfuhr ich, daß er das Chacu begleiten, ja, die Führung desselben übernehmen würde. Er hatte das größte Interesse daran, bald sah ich indessen auch, weshalb dies der Fall war. Der Ertrag dieser jährlichen Jagd bildete einen Theil seines Einkommens. Die Vließe der Vicuña’s gehörten der Kirche, und da diese an Ort und Stelle mindestens einen Dollar pro Stück werth waren, so bildete diese Einnahme keinen üblen Zehnten. Den ganzen Tag über war er daher beschäftigt, seinen Pfarrkindern Rath in Bezug auf die Jagd zu ertheilen. Ich mußte bei ihm wohnen. Er hatte das beste Haus im Dorfe, unsere Mahlzeit bestand aus einem gebratenen Huhn, zu dem wir „Chika“ tranken, und nachher fehlten auch die Cigaretten nicht.

Es war ein ächtes Bild eines südamerikanischen Missions-Priesters. Außerordentlich gewissenhaft in Bezug auf die Moral seiner Heerde, und dabei selbst fett und liederlich, und auf gute Mahlzeiten, ein Glas „Yea-Brandy“ und Cigaretten erpicht. Er lebte indessen ganz patriarchalisch mit seinen Pfarrkindern und diese hatten ihn gerne.

Am Morgen zog die Expedition aus, jedoch erst, nachdem eine Messe für den guten Erfolg der Jagd gehalten war. Dann setzte sich die Cavalcade in Bewegung und zog den sich windenden Bergpfad nach den „Altos“ oder den Puna-Höhen hinauf, ganz nach der entgegengesetzten Richtung, von der ich gekommen war.

Die Expedition sah außerordentlich malerisch aus. Da waren Pferde, Maulesel und Lama’s, Männer, Weiber, Kinder und Hunde, was nur in dem Dorfe kriechen konnte, zog mit. Die „Chacu“ dauert nämlich Wochen lang. Es waren daher Zelte und Kochapparate mitgenommen, und die Weiber waren deshalb ebenfalls nothwendig. Sie hatten das Lager in Ordnung zu halten und für das Essen zu sorgen.

In beliebiger Ordnung oder vielmehr Unordnung erklommen wir das Gebirge, und unser Zug gewährte einen höchst malerischen Anblick: die Männer in ihren farbigen Poncho’s von Lammwolle und die Weiber in hellen Mänteln von Bageta, einem groben Tuch, das sie selbst bereiten. Mehrere Maulthiere trugen Bündel mit Lumpen nebst Stricken und Stäben, deren Gebrauch mir erst später erklärt wurde.

Etwa eine Meile von dem Dorfe wurde Halt geboten und ich fragte nach der Ursache. „Der Hunro,“ hieß es, und ich vernahm darauf, daß der Hunro eine Brücke sei, die über einen Abgrund geschlagen werde. Als ich näher ritt, sah ich darauf diesen und lernte die wunderliche Struktur der Brücke kennen.

Sie besteht aus einem Seile, das über den Abgrund gespannt und an beiden Enden befestigt wird. Darauf legt man ein Stück Holz, das die Form eines U hat und an einer Rolle über dem Seile läuft und durch diese nach beiden Seiten gezogen werden kann.

Auf dieses Stück Holz wird der Passagier festgebunden, indem er sich in die Höhlung hineinlegt, dann richtet man ihn wieder auf und kreuzt seine Beine über dem Hauptstrick und sagt ihm, daß er sich aufrecht und den Kopf so gerade als möglich halten soll, während er sich mit den Händen an die Seiten des Holzes klammert. Ich hatte schon die „Sogabrücken“ und die „Barbacoas“ in Peru passirt, aber diese Brücke kam mir denn doch etwas spanisch vor, und ich werde die Passage über dieselbe nie vergessen. Als man mich auf die beschriebene Weise festgebunden und ausgerichtet hatte, schob man mich ohne Weiteres vorwärts, und ich fühlte, daß ich über einem 200 Fuß tiefen Abgrund schwebte, den unten ein wilder Bergstrom durchtoste. Meine Knöchel glitten an dem Seil entlang, und dies gab mir eine so sonderbare Empfindung, daß ich mehrere Mal auf dem Punkte stand, sie hinweggleiten zu lassen. Dann wäre aber meine Lage noch gefahrvoller gewesen, denn dann hätte ich nur meine Arme als Stützpunkt gehabt. Ich hielt daher so fest als möglich, weil es mir immer vorkam, das Seil, mit dem ich an das Joch gebunden war, gäbe nach.

Nachdem ich eine Zeit lang rufen und jauchzen gehört, sah ich mich auf der andern Seite und wieder auf festem Boden.

Für die Angst, die ich ausgestanden, wurde ich darauf beinahe belohnt, als ich den dicken Pater hinüberziehen sah. Dies sah ungemein komisch aus, und ich lachte laut auf, weil ich mir einbildete, er habe auch über mich gelacht. Er nahm dies indessen ganz gut auf und versicherte mir, ihm mache es keine Furcht, da er an derlei Brücken gewohnt sei. Dies ist die gewöhnliche Art in den Andes, über Ströme und Abgründe zu setzen, da die dünne Bevölkerung es nicht dazu bringen kann, wirkliche Brücken zu bauen. Die Pferde und Maulthiere können natürlich nicht über den Hunro befördert werden, sondern müssen durch den Strom geführt werden, was oft äußerst gefährlich ist.

Diesmal kam Alles glücklich hinüber, und wir setzten unsern Zug nach den Altos fort, die wir gegen Abend erreichten. Dann wurden die Zelte aufgeschlagen. Das des Paters war natürlich das größte und ich theilte es mit ihm. Die Pferde und Lastthiere wurden angekoppelt und weideten auf der Ebene.

Die Luft war schon kalt und frostig, denn wir befanden uns beinahe drei Meilen Über der Meeresfläche. Die Frauen und Kinder suchten Paquia, trockenen Mist, um Feuer zu zünden, und diese loderten bald überall lustig empor, da es hier, wo große Heerden Lama’s und Hornvieh zu weiden pflegten, nicht an diesem Material fehlte. Um zu den Vicuña’s zu kommen, mußten wir noch mehre Altos ersteigen.

Als wir uns am nächsten Morgen in Bewegung setzten, theilte sich der Zug. Eine Parthie Jäger nahm die Lastthiere mit den Seilen, Pfählen und Lumpen mit sich und ihr folgten sämmtliche Weiber und Kinder, sowie die Hunde. Sie hatten die Bestimmung, wie ich jetzt erfuhr, das Treiben zu beginnen, indem sie eine weite Kette um die Ebene schlossen. Die Pfähle wurden in den Boden getrieben, die Stricke daran befestigt und die Lumpen an letztere angehängt; dieses Netz wagt kein Vicuña zu überspringen.

Als die Kette fertig war, die wohl sechs Meilen umfaßte, hörten wir aus weiter Ferne von verschiedenen Seiten den Hallohruf der Treiber, und es währte nicht lange, so sahen wir an unserm Gesichtskreis sich etwas regen. Ich stand mit dem Pater auf einer Anhöhe, von der aus wir den Kreis sehr gut übersehen konnten. Richtig, es waren die Vicuña’s, wir sahen ihr orange-farbenes Vließ deutlich schimmern, und sahen darauf, wie die einzelnen Rudel, von ihrem Leibhirsch geführt, sich nahten, dann wieder Halt machten und nach verschiedenen Richtungen ausbrachen. Der alte Pater war ganz entzückt, als er so viele Rudel erblickte.

Mira,“ rief er aus, mira, Señor, ein, zwei, drei, vier Rudel – und wie stark sind sie. Ah! Carambo – Jesus!“ fuhr er dann fort, plötzlich den Ton ändernd, carrambo malditos esos guanacos (die verdammten Guanaco’s).“

Ich sah nach der Richtung, welche er bezeichnete und gewahrte ein schwaches Rudel Guanaco’s, das über die Ebene setzte. Ich konnte sie sehr wohl von den Vicuña’s unterscheiden, weil sie größer und röthlicher waren. Doch was ärgerte sich der Pater so sehr über sie? !

„Ah, Señor,“ sagte er seufzend zu mir, „diese Guanaco’s werden Alles verderben – sie werden die ganze Jagd zu Grunde richten, Caspita!“

„Wie so?“

„Ah,“ rief der Pater aus, „diese Guanaco’s sind rücksichtslose Biester. Sie kehren sich nicht an die Stricke, sondern rennen sie durch und lassen die Andern entwischen. – Santissima virgen!“

„Was sollen wir thun?“

„Nichts, als der Sache ihren Lauf lassen.“ !

Nach kurzer Frist erschienen die berittenen Jäger und schlossen den verhängnißvollen Kreis immer enger. Die Vicuña’s stürzten in einzelnen Rudeln wild nach allen Seiten, wendeten aber immer wieder kurz um, wenn sie die Frauen und Kinder vor sich erblickten. Es waren im Ganzen gegen sechzig Stück, die zuletzt in einem einzigen, verwirrten Haufen zusammenliefen, und mitten unter ihnen waren die Guanaco’s, acht bis zehn an Zahl. Zuletzt brach einer ihrer Leithirsche nach einer Seite hin auf, wo er einen Ausgang entdeckt zu haben glaubte; das ganze Rudel folgte und stürzte gegen die Kette. Die Jäger, welche zu Fuß waren, so wie die

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