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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Das Auge des Menschen.
I. Symbolik des Auges.

Was das Licht in der Landschaft, ist das Auge in dem Menschengesichte, und wie Sonnenschein selbst einer traurigen Gegend eine gewisse Schönheit geben kann, so adelt und verschönt das Auge ein sonst wenig anziehendes Gesicht. Der Blick ist das Erste, das wir an einem Menschen beachten, der uns gegenübertritt, und aufmerksamer als auf die Worte oder auf den Ton der Stimme sind wir auf den Ausdruck des Auges. Gleicht der Zornblick in einem finstern Gesichte nicht dem Blitzstrahl, der aus schwarzen Wolken zündet? Und wie weit, wie unermeßlich weit bleibt selbst das innigste Liebeswort zurück hinter einem Liebesblicke, und wer gäbe nicht die aufrichtigste und wärmste Liebesbetheuerung für einen Blick in die Tiefe eines Liebe verkündenden Auges?

Die Schönheit des menschlichen Auges an sich hängt indeß wesentlich auch von seiner Umgebung, besonders des Schädels (der Stirn) ab. Es darf nicht zu groß sein, denn die Größe ist Thieren charakteristisch; bei Raubvögeln z. B. ist das Auge größer als das ganze Gehirn, und bei den meisten Säugethieren verhältnißmäßig viel größer als bei den Menschen. Große vorstehende Augen erinnern uns deshalb, uns selbst unbewußt, an niedriger stehende Geschöpfe, an rohe Körperkraft, keineswegs an Ueberlegenheit des Geistes. Das entgegengesetzte Extrem gibt aber eben so wenig einen günstigen Eindruck; nur bei wenigen Thieren liegen die Augen halb versteckt in ihren Höhlen, wie bei dem Maulwurfe, welcher aber auch nicht darauf angewiesen ist, das Himmelslicht zu sehen. Kleine versteckte Augen in einem Menschengesichte deuten nun zwar nicht auf geistige Beschränktheit, denn manche geniale Männer besaßen solche Augen, die unter buschigen Brauen gewaltig hervorblitzten, aber sie geben den Zügen ein verkümmertes oder schmerzliches Aussehen, und machen in der Regel den Eindruck, als wollten sie vor Andern die Seele mehr verbergen als enthüllen.

Die eigenthümliche Wirkung, welche die Größe des Augensterns (d. i. die bunte ringförmige Regenbogenhaut mit der runden schwarzen Pupille in ihrer Mitte und der durchsichtigen Hornhaut davor) hervorbringt, hängt mit seinem Verhältniß zu dem umliegenden Weißen des Auges zusammen. Je mehr Weiß man zwischen den geöffneten Augenlidern sieht, um so mächtiger der Eindruck. Bei Thieren wie bei Kindern ist der Augenstern verhältnißmäßig groß gegen das Weiß, daher der geringe Ausdruck. Bei dem Erwachsenen dagegen ist der Augenstern von Jahr zu Jahr kleiner geworden im Verhältniß zu den übrigen Theilen des Augapfels, und damit hat sich gleicher Weise der Ausdruck gesteigert. Das Vorwiegen des Weißen in dem Auge macht demnach einen bisher wenig berücksichtigten wesentlichen Unterschied zwischen dem thierischen und dem menschlichen Auge aus. Nur die großen Maler der frühern Zeit, z. B. Fiesole und seine ganze Schule folgten, vielleicht unbewußt, den von der Natur gegebenen Andeutungen. Sie wichen von dem wirklichen Verhältniß etwas ab und gaben ihren Engeln und Heiligen lange, weit geöffnete Augen mit vielem Weiß und einen nur kleinen dunkeln Augenstern in der Mitte. Jedem aufmerksamen Beschauer fällt es sofort auf, wie sehr der geistige Ausdruck des Auges dadurch erhöhet worden ist. Im gewöhnlichen Leben finden wir überdies, daß jenes Verhältniß eines kleinen Augensterns zu vielem Weiß den Eindruck von feinem Gefühl und großer Reinheit macht, während man bei dem Anblick großer Augensterne sofort an Kraft und Stärke denkt. Deshalb gaben wohl auch die griechischen Bildhauer und Dichter ihren Göttern und Helden große Augen; der alte Homer z. B. nennt die Juno fast nie anders als die „ochsenäugige.“

Auch die Stellung der Augen in ihrem Verhältniß zu den andern Theilen des Gesichtes ist nicht von geringerer Wichtigkeit.

Bei den niedern Thieren sind sie bekanntlich fast wie auf Geradewohl angebracht, weil der Gesichtssinn bei ihnen, wenn nicht ganz fehlt, doch sehr unvollkommen ist. Selbst bei den Insekten scheint er eben erst aus dem Tastsinn herauszutreten, welcher bei den einfacher organisirten Wesen denselben vertritt. Wahrscheinlich können sie z. B. keine Farben unterscheiden und kennen nur Licht und Dunkel. Bei den höhern Thieren haben die Augen fast stets eine schiefe Neigung nach der Nase hin; nur bei dem Menschen stehen sie horizontal. Portraitmaler und aufmerksame Beobachter haben indeß die Bemerkung gemacht, daß in den meisten Gesichtern das eine Auge etwas über oder unter der geraden Linie steht und höchst merkwürdig ist, daß man bei fast allen großen Denkern, bei fast allen genialen Menschen eine leichte Abweichung nach oben gefunden hat. Weichen beide Augen von der horizontalen Linie ab, wie es bei ganzen Racen, z. B. den Chinesen der Fall ist, so erhält das Gesicht einen höchst auffallenden Charakter. Wo eine Neigung nach dem innern Winkel zu als Ausnahme erscheint, soll sie religiöse Schwärmerei, begeisterte Frömmigkeit oder schlaue Heuchelei andeuten. Immer gibt sie dem Blicke etwas magnetisch Anziehendes und darum auch große Macht über Andere. Kummer und Sorge lies’t man leicht in Augen, deren äußerer Winkel niedriger ist als der innere, und der sonach der abfallenden Linie des Mundwinkels folgt; aber auch der träge Träumer wird dadurch charakterisirt.

Weit geöffnete Augen galten zu allen Zeiten und gelten heute noch in dem Oriente für ganz besondere Schönheit; die Orientalen lieben den sehnenden und verlangenden Ausdruck, den das Gesicht dadurch erhält, und manchem Mädchen in Georgien und Circassien werden in der Kindheit die Augenlider weiter aufgeschlitzt, um bei Zeiten ihre Schönheit für den Sclavenmarkt zu erhöhen. Das Auge der alten Egypter ist fast unnatürlich lang und weit geöffnet, was uns beweist, daß die Vorliebe dafür schon in uralter Zeit bestand. Aber auch bei uns finden sehr schmale Augen, wenn sie überdies sehr kurz sind, durchaus keine Gunst, und es kann nicht geläugnet werden, daß sie dem Gesicht etwas Schwerfälliges und Schläfriges geben.

Auch die Nähe, in welcher die beiden Augen zu einander stehen, ist von Bedeutung, und die, welche zu weit abstehen, gefallen so wenig wie die zu nahgerückten. Merkwürdig ist es, daß die Juden als Nation durch die letztere Eigenthümlichkeit charakterisirt werden, und davon, namentlich in den spätern Lebensjahren, einen eigenthümlichen, aber keineswegs angenehmen Ausdruck erhalten. Unter den Thieren sind die Affen so gezeichnet, und daher haben sie ihr Aussehen von komischer Pfiffigkeit.

Was der Rahmen für das Gemälde, ist das Augenlid für das Auge. Die Lider sind bewegliche Laden oder Jalousien vor den zarten Fenstern unsers Körpers und hüten dieselben sorgsam vor zu starkem Licht wie vor andern Gefahren. Es versteht sich ganz von selbst, daß ein wohlgestaltetes Auge mit hellem Blick nicht hinter schweren plumpen Vorhängen versteckt sein darf, und wenn wir nach Schönheit suchen, erwarten wir dünne und durchscheinende, nicht mit Fleisch und Fett ausgestopfte Lider. Die letztern geben dem ganzen Gesicht einen schweren phlegmatischen Ausdruck, die erstern aber nehmen uns sogleich für den Geist ein, der Licht liebt, selbst wenn er sich auf einige Zeit verhüllt. Sogar im Schlafe sind die Augenlider von Bedeutung, denn, wie das Auge der einzige Sinn, sind sie der einzige Theil des Körpers, der durch äußere Zeichen die Ruhe des Geistes innen verräth.

Nicht alle Nationen halten wie wir lange Wimpern für schön. Die Chinesen, welche die Natur überhaupt kärglich mit Haaren begabt hat, halten die kurzen für die besten; andere Nationen gehen sogar so weit, sie sorgfältig auszurupfen. Wir dagegen meinen, kurze, lichte und dünne Wimpern gäben den Augen einen matten, stieren Ausdruck, während lange und dunkle Wimpern die Schönheit des Auges wie die Gewalt des Blickes erhöheten.

Von allen äußern Theilen des Auges sind die wichtigsten die Brauen, und zwar so bedeutungsvoll nicht blos wegen ihrer eigenen schönen Form, sondern weil sie die große Grenzlinie zwischen der Sinnes-Gegend des Kopfes darunter und der geistigen darüber bilden. Sind sie sehr dick und ziehen sie sich zu weit hin, so erinnern sie an thierische Natur; in dem Verhältniß aber, wie sie sich in seinen, wohlgerundeten Bogen erheben, erwecken sie eine bessere Meinung. Der Bogen namentlich ist von Wichtigkeit, denn je höher er steigt, um so weiter hinauf reicht die Sinnes-Region und hinein in die höhern geistigen Fähigkeiten, während niedrige und geradlaufende Brauen keine solche Gemeinschaft verkündigen. Hier auch erkennt man die noch unerklärliche Sympathie, die einen Zug mit dem andern verbindet: in den Bogen, die sich über den Augen wölben, wiederholt sich die lächelnde Lippe mit

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