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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

der Wüstenvölker, ihre herrlichen Tugenden und ihre feurig aufwüthenden Leidenschaften in dem Träger und Musterbilde alles dieses Lebens begreifen lernen.

Das Kameel und der Wüstensohn sind alttestamentlich biblisch fromm, sanft, gutmüthig, häuslich, familienzärtlich, geduldige Schafe ihrer Despoten; aber das Kameel und der Wüstensohn sind furchtbar, wenn man ihrer Demuth und Anspruchslosigkeit unter der harten Schale mehr aufbürdet als sie wirklich ertragen können. Das Kameel kreischt und brüllt dann mit großen, glühenden Augen auf, peitscht seinen Peiniger mit den Vorderfüßen nieder und stampft ihn mit seinen großen, hornigen Klauen entzwei, oder es packt ihn mit den zorngeschwollenen Lippen und reißt ihm mit einem Ruck ein Glied seines Leibes aus. Bild des geknechteten, anspruchslosen, der größten Erniedrigung und Bebürdung fähigen Unterthanen, dem man doch am Ende zu viel zumuthet, und der nun die Ketten bricht und in wüthendster Zerstörungswuth Eigenthum und Leben gefährdet und Gewerbe und Handel stört. Freilich kommen solche Kameel-Revolutionen nur äußerst selten vor, denn es kann wirklich beinahe eben so viel vertragen, wie das Kameel auf unsern Universitäten und Bürgerresourcen. Wie es, kniend und seine Last empfangend, genau weiß, wie viel es tragen kann und jeden Zuviel sogleich durch deutliche Pantomimen andeutet, ist auch der Wüstensohn verständig und familienväterlich genug, ihm nicht zuviel zuzumuthen. Der Herr, in Einsamkeit und Gefahren, stets auf seine Familie und sein Kameel verwiesen, ist gegen das Kameel eben so zärtlich, wie gegen Frau und Kind.

Ein treues Bild dieser Familiarität schickte Kretschmer auf die pariser Ausstellung, wo es allgemein bewundert und in illustrirten Blättern verkleinert, allgemein zugänglich gemacht ward. Die Treue und Wahrheit in diesem Bilde veranlaßte auch uns, diese Wüstenbilder damit zu schmücken. Es veranschaulicht die gemüthlichste Situation im Leben des Arabers und Beduinen, sein Mittagsmahl in Sonnenbrüderschaft mit dem Kameele, das auch in der Regel zu allen Leckerbissen zugelassen wird. Es frißt dem Herrn gar delicat und vorsichtig aus der Hand, um ihn mit seinen hornigen Lippen nicht zu verletzen. Was ist es? Nichts Geringeres als Weizenbrot, das man theils mitnimmt, theils unterwegs bäckt. Das reguläre Mittagsbrot des Wüstenreisenden besteht aus Kameelsmilch, vier Mal Datteln, zwei Mal Weizenbrot, Rôtis, Dessert und einer Pfeife Tabak. Brennt diese, ruft er: „Kerri! Kerri! Mein Kind, mein Sohn! Mein Liebchen!“ und das Kameel kniet nieder, der Beduine kauert sich oben in dem Teller des Sattels zusammen und die Reise geht weiter ohne Weg und Steg, ohne Compaß und Richtung. Wenigstens vertraut man sehr häufig dem klugen, die Unendlichkeit der Wüste durch witternden Kameele ganz allein das Steuerruder an, in allen Fällen, wo der Herr selbst weder Rath noch Richtung weiß. Und dieses geniale Factotum und Meisterwerk der Wüste macht dieser Würde durchweg Ehre.

Von dem wirtschaftlichen, Natur-, Völker- und Menschenleben der Wüste in einer folgenden Mittheilung, in der wir besonders den wilden Tuariks einen vorsichtigen, und der braunen, schönen Ziegenhirtin bei den Tibbu’s einen zärtlichen Besuch abstatten werden.




Die Strafen der Vorzeit und Gegenwart.
I.
Einleitung. Warum, was und wie soll man strafen. Verschiedene Ansichten darüber. – Todesstrafen: Enthauptung, Galgen, Säcken, Rad, Scheiterhaufen, Lebendigbegraben, Pfählen u. s. w. – Einige Beispiele höchst abschreckender Hinrichtungen.

Man hat sich seit Langem herumgestritten, mit welchem Rechte und zu welchem Zwecke der Staat die Verbrechen bestrafe, ob in Folge, einer ihm von Gott übertragenen Gewalt oder auf Grund eines stillschweigenden Vertrags seiner Mitglieder, ob aus Nothwehr oder um der Gerechtigkeit selbst willen, ob zur Besserung, ob zur Abschreckung, ob zur Unschädlichmachung der Verbrecher. Aber es ist damit wie mit dem Streite um den Ursprung der Sünde, ob sie angeboren oder anerzogen, ob sie ein Werk Gottes oder des Teufels sei. Tappt man darüber auch noch so sehr im Finstern, so steht doch die Existenz der Sünde fest und ist ein Jeder überzeugt, daß er oder zum mindesten sein Nachbar ein Sünder sei, und fehlt es auch an mathematischen Beweisen für das Strafrecht des Staates, so wird doch Niemand im Ernste daran denken, daß auch der modernste Staat nur einen Tag die Zuchtruthe aus der Hand legen könne.

Herrscht aber volle Einstimmigkeit über die Unentbehrlichkeit der Strafe, so stimmen dagegen kaum zwei verschiedene Jahrhunderte und zwei ungleiche Breitengrade mit einander in dem Urtheile überein, was zu bestrafen sei und wie man strafen solle.

Die Japanesen bestrafen die Lüge und das Spiel um Geld, Karl der Große das Fleischessen an Fasttagen und die Unterlassung der Taufe, das mosaische Gesetz die geringste Entheiligung des Sabbaths, das Verfluchen des Vaters und der Mutter, Solon sogar den Müßiggang und die Trunkenheit mit dem Tode. Dagegen gestattet der Islam die Vielweiberei, den Griechen und Römern war es erlaubt, ihre Sklaven, den alten Deutschen, einen abgelebten Greis zu tödten. Aussetzung der Kinder war im Alterthum nur bei den Juden, Egyptern und Thebanern verboten, jetzt ist es kaum noch in China und Indien gestattet. Der Dieb hatte von Solon den Tod, von Lykurg Ruhm und Ehre zu erwarten. Das Cölibat, welches Römer und Griechen mit Schande und Strafe belegten, machte Gregor VII. den Geistlichen zum Gesetz. Der Ehebruch, welchen der spartanische Staat sanktionirte, wurde von unsern Vorfahren mit dem Scheiterhaufen bedroht, und die Lais und Aspasia der Griechen wäre von den alten Dietmarsen unter dem Geleite ihrer eigenen Verwandten lebendig unter der Erde begraben worden.

Aber auch in der Wahl der Strafen sind die Völker und Zeiten von jeher weit auseinander gegangen. Ein Wilddieb, welcher früher gehängt worden wäre, oder aus Gnaden nur Ohren und Nase eingebüßt hätte, kommt jetzt mit kurzer Gefängnißstrafe davon. Wir suchen für den Räuber die schwersten Strafen aus, die alten Germanen achteten sein Vergehen gering, denn damals hieß es:

„Rauben ist keine Schande,
Das thun die Besten im Lande.“

Die Abtreibung der Leibesfrucht, welche die Römer als eine bloße Beleidigung gegen den Ehemann rügten, wird jetzt als ein Verbrechen gegen das Leben geahndet, und der Mörder, den wir enthaupten lassen, bezahlte bei unsern Altvordern nur eine Geldbuße. Ja, gegen den Verletzer eines Grenzzeichens, der sich heut zu Tage einer kurzen Freiheitsstrafe gewärtigen müßte, verordneten alte germanische Weisthümer: „denselben soll man in die Erde graben bis an den Hals, und soll dann vier Pferde, welche des Ackerns nicht gewohnt sind, an einen Pflug, der da neu ist, spannen, und soll man damit so lange über ihn wegfahren, bis man ihm den Hals abgepflügt hat.“ Insbesondere aber bei Fleischesvergehen ist bald keine Strafe zu groß, bald keine gering genug erachtet worden.

Wenn nun kein gebildeter Mensch die Stunde für weggeworfen halten wird, die ihm von den Sitten, Gebräuchen und Gesetzen der Vorzeit Kunde bringt, so hoffe ich, wenn ich Einiges aus der Geschichte der Strafen erzähle, den Dank der Leser zu gewinnen. Die Pietät läßt uns auf Alles horchen, was wir von unsern Vorfahren vernehmen. Dasselbe auffällige Interesse, mit welchem wir eine Kriminalgeschichte lesen und einer Hinrichtung beiwohnen, knüpft sich auch an diesen Theil der Alterthumskunde, und der Erfolg wird lehren, daß auch diese wenigen Zeilen zu manchem Gedanken anzuregen vermögen.

Tout peut servir à former de peines,“ sagt Montesquieu, und in der That giebt es kaum ein wirkliches oder eingebildetes Uebel, welches nicht als Strafe benutzt worden wäre. Sehen wir doch, daß es den Römern als Strafe galt, nicht in den Schauspielen erscheinen zu dürfen, daß Spartaner zur Strafe des Rechtes beraubt wurden, ihre Ehefrau einem Andern zu leihen. Spartaner wurden zur Strafe zur Unthätigkeit verdammt und an den Stuhl geschlossen. Fasten, Weinen und Seufzen war eine gewöhnliche

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_304.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)