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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Augen angestaunt, und Strauße, die seltsamen Schnellläufer der Wüste, durchkreuzen ihren Pfad. Oben schwebt wieder der Adler, und unten im Dickicht der Kluft lauert der Löwe, um des Nachts einer Gazelle am Wasser aufzulauern oder unter Schafen und Ziegen seine Wahl zu treffen, während die im Schlafe gestörten Hühner mit dem Hahne einen Lärm krähen und krächzen, den Niemand weniger vertragen kann, als der sogenannte „Wüstenkönig“, obgleich er sich nie in die eigentliche Wüste verliert, sondern in den Verstecken der Oasen und Wadi’s hübsch häuslich hält.

Der verhältnißmäßig fruchtbare Gürtel, welcher den ungeheuern Continent der Sahara durchzieht, allerdings mit leb-, baum- und wasserlosen Lücken, in denen zwanzig deutsche Fürstenthümer auf einmal verdursten und versengen könnten, aus einem urbaren Thon bestehend, hier und da mit Quellen, Oasen, Menschen, Vieh, Feldern und Dattelwäldern, läuft, so weit man bis jetzt etwas Bestimmteres darüber sagen kann, jenseits Tripolis, des Golfs von Sidra und des ausgedehnten steinigen Tafellandes von 1400 bis 2000 Fuß Höhe, der Hamada, durch das Land Fezzan zwischen den Routen, auf welchen Barth und Vogel das blühende Innere Afrika’s mit dem Auge des Tsadsees erreichten, und gewissermaßen als Grenze zwischen den beiden Hauptvölkern der Wüste, den weidenden, gutmüthigen Tibbu’s und den wilden, räuberischen Tuariks mit einem blühenden Oasenlande auf der Westseite: Air oder Asben mit verschiedenen üppigen Wadi’s, hier voller Löwen und Strauße, dort voller graziösen Giraffen und zahmen Heerden. Dann folgen nach der Richtung der Tsadseestaaten hin wieder kleine Specialwüsten, hin und wieder mit einer schmachtenden Distel im glühenden Boden, einer verdorrten, aber noch duftenden Thymianstaude, einer dornigen Mimosa, halb begraben, halb geschützt durch Sandkegel, die hier im sprühenden Laufe aufgehalten wurden, willkommene Futter für die ausgedörrten, matt schwankenden Kamrele, die oft gierig zuschreitend vor der Labung den Kopf traurig und wehmüthig zur Seite wenden. Das einladende Grün erwies sich als Senna oder Koloquinte, vor denen selbst der ausgetrocknete Gaumen des anspruchlosesten Thieres zurückschreckt. Der große, weite, leichte, flinke Schritt des edlen Thieres wird schwankender und matter. Die Zunge hängt verdorrt, wie geräuchert. Der fette Höker ist zu einem kleinen, schlappen Säckchen ausgezehrt. Es wird niedersinken und mit leisem Stöhnen und wehmüthigem Blick auf den sonst steinernen mitleidenden Herrn verschmachten, wie Tausende vor ihm. Doch nein! Plötzlich erheben sie den niederhängenden Kopf freudig hoch in die Luft. Sie wittern zuerst das Paradies von Central Afrika, die Tsadseeländer. Erst zeigen sich einzelne duftige Gräser. Der todtmüde Schritt des Kameels wird lebendig. Es folgen Gebüsche, vor der Sonne hinter Felsen und Steinblöcke versteckt. Am Horizonte winkt die ätherische Palme auf. Die glühende Luft duftet. Das Wasser und die Wiesen und die Bäume senden den Verschmachtenden kühlende, feuchte Lüftchen entgegen. Endlich, endlich, nach Wochen, nach Monaten, nach fünf bis sechs Monaten der Glut und Oede, des Steines und Sandes quillt und strahlt dicht vor ihnen, wie vom Zauberstabe aus dem Sande geschlagen, die üppigste tropische Pflanzenwelt in ihrem gloriosesten, paradiesischen Glanze. Dazwischen hindurch lacht das leuchtende Auge des Tsadsees, besäet mit den grünen Inseln der schönen, ritterlichen, räuberischen Bidduma’s. Ringsherum nisten weidende Völker und dehnen sich die Reiche stolzer Sultans von Bornu, der Fellatah’s, von Kanem, Bagirmi, Adamaua und wie sie sonst heißen mögen, mit stolzer Streitsucht und lebhafter Betheiligung an der Schifffahrt der Wüste. Ihre Flotten sind Kameele, die in unzähligen Richtungen über tödtliche Strecken hinweg Völker verbinden und so das lebendige Pulsadersystem Afrika’s bilden.

Die Kameel-Handelsflotte Afrika’s karavant auf drei großen Hauptstraßen, an welche sich eine Menge kleinere anzweigen, 1) zwischen Marokko, Tunis und Tripolis und der geheimnißvollen Perle der westlichen Sahara: Timbuktu; 2) zwischen Fezzan (Murzuk) und den Tsadseestaaten, besonders Sudan; 3) zwischen Sudan, Darfur und Egypten. Die erste mit fünf verschiedenen Routen ist die weiteste, großartigste und kühnste, die je menschlicher Heroismus über Erde oder Wasser zog. Sie kämpft jedesmal mit durchschnittlich 2000 Kameelen und entsprechender Zahl von Menschen, etwa ein halbes Jahr lang mit dem Tode des Verdurstens und Ertrinkens in wüthenden, giftsturmgepeitschten Sandwogen. Die Handelsartikel sind besonders Salz und Datteln, deren süße Säfte die brennende Wüste erquicken, sodann Alles, was Egypten, Abyssinien, Syrien, Persien, Arabien, die nordafrikanischen und centralafrikanischen Völker brauchen und zum Austausch bringen. Die genannten Länder liegen als große Inseln auf und an den Wasser-Oceanen Afrika’s und Asiens, und sind durch kein Verbindungsmittel mit einander in Berührung zu bringen, als durch das Kameel. Dieses ist daher nicht nur Träger aller Lasten und Güter des Lebens der Wüstenvölker, sondern auch aller Kultur von den ältesten, vorgeschichtlichen Zeiten bis zu dem neuesten Ausfluge, den Vogel vielleicht jetzt eben unternehmen mag.

„Alles, was ist, ist vernünftig,“ sagt Hegel, obgleich wir mit unserer gelehrten und rohen Unvernunft dies in den wenigsten Fällen einsehen, vor Allem zunächst nicht in dem Ausspruche Hegel’s selbst, da sich nicht so leicht Jemand die Mühe giebt, das scharfe, philosophische „ist“ zu begreifen. Aber wenn ein Beweis überzeugend ist, so findet man ihn in dem Wunderthiere, das den Wüstenbewohnern Flotte, Eisenbahn, Dampfschiff, Omnibus, Haus und Hof, Kleider und Schuh, getreuer Nachbar, melkende Kuh und alles Andere, was wir aus tausend Quellen beziehen, in einem Gusse, in einer einzigen, der großartigsten und genialsten Naturcomposition ist.

Welch’ ein häßliches Thier. Aber lerne es nur kennen. Studire seine Seele von den Sohlen an. Sieh’ diese breiten, sehnigen Knollen und Bälle, versichert gegen Feuersgefahr des Bodens durch hornige Schwielen und durch ihre Spaltung und Breite gegen das Versinken in den Sandmeeren. Diese können sich zu grundlosen Bergen aufthürmen, mit seinen langen, sehnigen, weitausschreitenden Stelzbeinen schreitet es, schwer belastet, eben so leicht über diese Sandwogen, wie über die mit hochgerichtetem Kopfe und herrschendem Auge lange vorher erkannte Gefahr von Rissen und Klüften in dem fest gebrannten Boden von Steingut. Auf diesen Stelzen, Rudern und Schaufelrädern wird ein Körper, ein Schiffsrumpf getrieben, der in einem untern und einem obern Raume sich doppelt gegen Hunger und Durst und Hitze verproviantirt, für den gewöhnlichen Gebrauch in einem ungeheuern, mit einem Wunder von Schwanenmagen wasserreich versehenen Wanste, und für Nothfälle mit einer oder doppelten Speisekammer, dem fetten Höker, von dem besonders die „Respirationsmittel“ geliefert werden. Damit der innere Vorrath nicht zu sehr angegriffen werde, nimmt es beiläufig mit seinem für Tiefe und Höhe elastischem Giraffen- und Straußenhalse, seinem kleinen Kopfe, seinen guttaperchaharten Klappen von Lippen, seiner mit hornigen Schmielen gehärteten Zunge die stacheligsten Disteln und die holzigsten, schuhsohlenartigen Wüstenkräuter mit und zerschrotet und zermalmt sie und wiederkäut sie mit breiten, mächtigen Backzähnen so klein, daß sie jedes Atom Nahrungsstoff herausgeben müssen. Der spitze Keil der Unterlippe schiebt sich mächtig in die kleinste Ritze hinein, in welcher sich ein armseliger Versuch von Kraut und Pflanze gegen die Sonne versteckt, und hebt ihn heraus, wie der Zahnarzt den quälenden Backzahn aus der Kinnlade. Dies geschieht Alles beiläufig. Der große, kräftige, gedrungene Schiffsrumpf von Körper trägt dabei die ganze Familie des Nomaden, seine ganze Wirthschaft und sein Haus und seine Handelsartikel leicht und schnell, kaltblütig in Glut, lammfromm und gutmüthig weiter und immer weiter in die endlose Leere hinein, die Tage, Wochen, Monate lang in immer größere Oeden und Qualen führt, aber den schlanken, klugen, kleinen Kopf des Kameeles nicht in Hoffnungslosigkeit sinken läßt. Es hofft und harrt mit einem Heroismus, einer Ausdauer in die Unendlichkeit glühender Trostlosigkeit hinein, die selbst den ausgedörrten, gefühllosen Sohn der Wüste zur herzlichsten Zärtlichkeit erweicht und seine Andacht von dem großen Allah auf dieses Heldenthier überträgt.

Ein häßliches Thier! Aber blickt einmal in sein treuherziges, kluges Auge. Erleb’ alle Tage durch alle Qualen der Hölle hindurch diesen Heroismus, diese Anspruchslosigkeit, diese Sanftmuth, diese Zärtlichkeit für seine und seines Herrn Familie, wie es jämmerlich klagt und den klugen, kleinen Kopf nach allen Seiten suchend dreht, wenn es seinen Herrn vermißt, wie es sich nach dem Verluste seines Jungen trostlos in die Wüste hineinstürzt, um das Verlorene zu suchen, und dann erschöpft in Schmerz und Entbehrung traurig und treuherzig zu seinem Herrn zurückkehrt, und man wird die alte Poesie des patriarchalischen Lebens, die Bibel, die Sitten und Gebräuche

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_303.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)