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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

No. 23. 1856.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Mesmer in Wien.
Von L. Mühlbach.

Ganz Wien war seit einigen Wochen in einer aufgeregten Stimmung; in allen Gesellschaften, allen Café’s, allen Häusern und Restaurationen, auf allen Straßen und Plätzen sprach man von ein und demselben Gegenstand, mit leidenschaftlicher Heftigkeit die Wahrheit dessen, was man erzählte, vertheidigend, oder sie bestreitend. Dieser Gegenstand waren die wunderbaren, unerhörten Kuren des schwäbischen Arztes Franz Anton Mesmer, der sich seit einiger Zeit in Wien niedergelassen hatte, Kuren, welche allen Erfahrungen der Wissenschaft spotteten, und sich jedem Urtheil der Vernunft und Erkenntniß zu entziehen schienen. Denn Mesmer heilte seine Kranken nicht, wie die andern Aerzte, mit Medicinen und Latwergen, mit Aderlässen und Umschlägen, er verordnete ihnen keine Bäder und künstliche, nach lateinischen Recepten gemischte Getränke, sondern er kurirte seine Patienten einfach durch das Auflegen seiner Hand, durch das Anblicken seiner großen, dunkelblauen Augen; er beschwichtigte ihre Fieberphantasien mit dem zornigen Schütteln seines Hauptes, oder machte die stummen Kranken reden von wunderbaren Gesichten und entzückenden Träumen, indem er ihre Stirn anhauchte, oder mit den Spitzen seiner Finger leise und in gleichmäßigen Schwingungen über ihr Antlitz und ihre Brust auf und nieder fuhr.

Seine Hände und sein Auge, das war die Apotheke, aus denen Mesmer seine Heilmittel schöpfte, mit denen er seine Kranken kurirte.

Kein Wunder also, daß ihn die Aerzte einen Charlatan, die Apotheker einen verdammungswürdigen Quacksalber nannten! Kein Wunder, daß das Volk, welches so leicht geneigt ist, das Wunderbare zu verehren, und an das Uebersinnliche zu glauben, selbst wenn es an Schwindelei anstreift, Mesmer verehrte und an ihn glaubte, wie es an alle Wunder überhaupt glaubt.

Weshalb sollte nicht Mesmer so gut mit seiner Hand Wunder thun können, als es Moses mit seinem Stabe gethan, indem er dem dürren Felsen Wasser entlockte? Weshalb sollte das Anblicken seiner Augen nicht eben solche belebende Kraft ausüben können, als es einst die Augen der Apostel gethan, die mit ihrem bloßen Anschauen Todte erweckten und Stumme reden machten? Mesmer war auch ein Apostel! Der Apostel einer neuen Lehre! Er verwies die leidende Menschheit auf den Himmel, auf die Sonne und die Planeten und sagte ihnen, daß vom Himmel allein ihre Krankheiten kämen, daß der Himmel allein sie zu heilen vermöchte!

Der Einfluß der Planeten, sagte er ihnen, mache die Menschen krank oder gesund, der Strahl der Sonne übe auf sie eine magnetische Kraft. Nicht die künstlichen Heilmittel und Medicamente könnten ihnen Genesung bringen, sondern einzig und allein diese magnetische Kraft, welche die Natur in das Eisen und den Stahl gebannt, und welche sie in ihrem höchsten, geheimnißvollen Wirken auch einigen wenigen bevorzugten Menschen mitgetheilt.

Und das Volk glaubte an ihn, und die Kranken und Leidenden eilten zu ihm, um unter der sanften Berührung seiner Hand, unter dem Anschauen seiner mächtigen Augen ihrer Schmerzen ledig zu werden.

Aber jemehr Glauben Mesmer bei den Laien fand, desto mehr empörten sich gegen ihn die Aerzte. Jede neue Heilung brachte ihm neue Segnungen von den Genesenen, neue Angriffe von den Aerzten ein. Die Aerzte, welche einst Paracelsus in Salzburg von dem Felsen herniedergestürzt, weil er eine neue Lehre in die Wissenschaft gebracht, weil er gesprochen von den geheimnißvollen Kräften, welche in der Erde und in den Planeten schlummern, die Aerzte konnten jetzt zwar Mesmer, der dieselbe Lehre predigte, nicht heimlich ermorden, aber sie konnten ihn verfolgen mit ihrem Haß, sie konnten ihn hinstellen als einen Betrüger und Charlatan, sie konnten mit schlagenden Deduktionen es beweisen, daß diese ganze neue Lehre von Mesmer eine schamlose Lüge, ein lächerlicher Unsinn sei, nur erfunden, um die Menschen zu hintergehen, um das Geld aus ihren Taschen zu locken, und sich zu bereichern auf Kosten ihrer Leichtgläubigkeit.

Diejenigen, welche nichts anerkennen wollten, wozu ihnen die Vernunft nicht den Schlüssel lieferte, stimmten natürlich mit ein in das Hohngelächter und die Angriffe der Aerzte.

Diejenigen, welchen eine gläubige Seele inne wohnte, welche so gut an die Mysterien der Natur, wie an die Mysterien der Kirche glaubten, nannten Mesmer einen Wunderarzt, den Gott auf die Welt gesendet, daß er den Leidenden helfe, und der Lehre der Wissenschaft die Lehre der Natur gegenüber stelle.

So bestand Wien endlich nur aus zwei Parteien, aus Freunden oder Feinden Mesmer’s, die sich gegenseitig mit der größten Heftigkeit bekämpften, und einander der Lüge und der Verhüllung der Wahrheit beschuldigten. Die Freunde erzählten mit staunendem Entzücken die wunderbaren Kuren, die Mesmer täglich an den von andern Aerzten als „unheilbar“ zurückgewiesenen Kranken durch das bloße Auflegen seiner Hand bewirkt hatte, die Feinde erklärten alle diese Kuren für Betrügereien, welche Mesmer mit bezahlten Individuen, mit abgerichteten Helfershelfern ausführe.

Und diese Streitigkeiten, wie gesagt, bewegten sich durch alle Schichten der Gesellschaft, selbst der Kaiserhof nahm Theil an

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 297. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_297.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)