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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

wieder und Köpfe und ganze Personen schossen heraus, um mit großen Augen, die jetzt selbst ihre nationale Kleinheit und Geschlitztheit verloren, mächtig auf die Fremden zu starren. Also selbst in Japan ist die Natur mächtiger, als die Polizei, welche deshalb wohl nichts Besseres thun könnte, als den ohnmächtigen, aber doch demoralisirenden Kampf gegen die Natur der Dinge und Menschen aufzugeben.

Die Engländer spazierten durch weite, gerade, reine Straßen zwischen größtentheils kleinen Häusern von geraden und quer und schief mit einander verbundenen Balken, deren Zwischenräume mit Brettern und Birkenrinde ausgefüllt und deren Dächer mit Schindeln und ebenfalls Birkenrinde, und diese mit Steinen, bedeckt waren. An ihnen hin liefen größtentheils gedeckte Gallerieen und Veranda’s, so daß man im Schutz und Schatten an den Häusern hingehen kann. Vor manchen Häusern und um alle Tempel fand man große Gärten und Parks in Miniatur, d. h. alle Bestandtheile großer Garten- und Parkanlagen auf den kleinsten Raum zusammengedrängt, z. B. auf einer Fläche von 80 Fuß Länge und 50 Fuß Breite um einen Tempel kleine, dichte Wälder von Zwergbäumen, kleine Felsengebirge, Flüsse, Brücken, Fußsteige, Blumenbeete, Rasenflächen, ganze meilenweite Landschaft in ein kleines, umrahmtes, reelles Naturbild verdichtet. Man nennt dies den holländischen Gartenstyl, aber es ist der ächt japanesische, den die Holländer sich aneigneten, als sie noch eine meerbeherrschende Nation waren.

Die Japanesen, welche den Engländern zu Gesicht kamen, traten alle als robuste, rührige, kurze und stämmige Leute auf, dunkelgelb gehäutet mit schwarzen, kleinen, chinesisch schiefen, geschlitzten Augen. Ihre Backenknochen stehen weit hervor, oft weiter, als die plattgedrückte Nase. Was der Nase an hervorragender Bedeutung fehlt, kommt den hervorquellenden, rothen Lippen zu Gute. Die Mädchen schienen dabei alle hübsch zu sein. Auch wir wissen, was manchmal der Fehler eines Stumpfnäschens für eine Tugend werden kann, zumal bei den ausgebildeten, rosigen Lippen, den runden, rothen Backen, vollen, runden Formen, weißen Zähnen, die mit den kleinen, glänzenden, mandelkernförmigen Augen um die Wette lachen und in die Welt hinein schallen. Bei den Japanesinnen kamen noch luxuriöses, schwarzes Haar und in der Regel kleine, strumpf- und schuhlose Füßchen hinzu. Es nimmt uns daher nicht Wunder, daß in Japan, wie wir aus anderer Quelle wissen, auf die naivste und excessivste Weise gelebt und geliebt wird. Die Japanesen sind von Natur heiter, gutmüthig, vergnügungssüchtig, verstehen nichts von Hypochondrie und Grillen, und tanzen und singen und trinken daher bei ihren häufigen Festlichkeiten bis zum Umfallen. Bei dem schönen Geschlechte dauert freilich die Freude und Schönheit nicht lange. Sie verheirathen sich oder vielmehr werden verheirathet oft schon im dreizehnten und vierzehnten Jahre, und tragen vom Hochzeitstage an schwarzgebeizte Zähne, die Lasten des Haushalts, der Feldarbeit und großer Fruchtbarkeit. Letztere wimmelte und wuselte in großer Menge, größtentheils ganz nackt, vor den Thüren und unter den Veranda’s umher. Es wurden nur wenig Bettler und Krüppel bemerkt. Nur Augenkrankheiten scheinen nicht selten zu sein. Es zeigten sich verhältnißmäßig viele Leute mit schlimmen Augen, von denen oft das eine oder andere ganz verloren gegangen war.

Die Kleider, welche bei uns Leute machen, fallen in Japan allerdings national, aber doch sehr verschieden aus, schon wegen der großen Sommerhitze und strengen Winterkälte. Die Hauptunterschiede hängen aber außer von Stand und Vermögen, speciell von den gesetzlichen Klassen und Kasten in den feudalistisch-bureaukratisch geschiedenen Gesellschaftsschichten Japans ab. Crethi und Plethi trägt im Sommer so wenig als möglich eine Robe und ein paar Unterhosen, oft auch blos irgend ein Stück Zeug, die ärgsten Blößen zu decken. Die Kinder laufen in ganz vorsündenfall-paradiesischem Zustande umher. Dagegen putzen sich die höheren Klassen gern nach den neuesten Moden der Hauptstadt Yeddo aus, besonders mit halbdurchsichtigen Flor- und Gazestoffen. Im Winter trägt man starke Roben und dicke Unterbeinkleider von Baumwolle, wofür die Beamten privilegirte Seide nehmen. Außerdem unterscheiden sich letztere von dem „beschränkten Unterthanenverstande“ schon an der großen Zehe, welche in deren wollenen Socken eine besondere Abtheilung hat, wie bei uns, der Daumen im Fausthandschuh. Ueber den Socken trägt man Schuhe von Strohgeflecht, befestigt mit weißen Bändern oder hübsch geflochtenen Strohseilen. Im Ganzen sitzt ihnen aber die Kleidung nach unsern Begriffen eben so schlecht, wie sie selbst sitzen, indeß ist die Tracht immer noch nicht so niederträchtig, wie unser Leibrock mit einer „Angströhre“ von Hasen-Harnisch auf dem Heldenschädel. Sie kauern auf eine bedauernswerthe Weise mit aufgespannten Knien, wobei sie die Füße in den Schlafrock verstecken, in einer Position, die bei uns der civilisirte Sterbliche nur einsam auf Feld und Flur im höchsten Drange der nach dem Gesetze des höhern Absoluten zu absolvirenden drängenden Nothwendigkeit riskirt. Das nennen aber die Japanesen sitzen. Sie haben durch diese Sitte des Sitzens ungeschickte, dicke Kniee bekommen und einen unangenehmen Gang.

In socialer Beziehung sind die japanesischen Institutionen und Gebräuche ächt feudalistisch. Die Klassenunterschiede scheinen nicht erzwungen zu sein, sondern aus den Anschauungen und Ansichten der verschiedenen Klassen selbst hervorzugehen. An der Spitze aller Klassen stehen die Adeligen und Beamten, die mit der größten Verachtung auf den reichsten Kaufmann herabsehen (vorausgesetzt, vermuthe ich, daß sie ihn nicht anpumpen wollen). Die Adeligen haben das Privilegium, zwei Schwerter zu tragen. Ein Kaufmann kann durch vieles Geld blos das Privilegium eines Schwertes erkaufen. Abgesehen von den Details der Formalitäten, wodurch sich die Gesellschafts- und Standesklassen unterscheiden, ist der japanesische Feudalismus dem englischen ziemlich gleich. Ungeachtet aller Phrasen und Kämpfe gegen die Privilegien der Grund und Geld, Staat und Königthum besitzenden Klassen in England, hält sich der Feudalismus doch ganz gut. Sie haben im jetzigen Kriege durch lauter absichtlichen und wirklichen Unsinn das englische Heer, hundert Millionen Thaler und den Nimbus Englands todt geschlagen, sie haben Kars absichtlich fallen lassen, aber das Alles rührt sie nicht, erschüttert ihre Macht und Stellung nicht, weil der Glaube an den Besitz und die Macht in der Servilität der Volksmassen wurzelt, weil diese Servilität, die Ehrfurcht vor Geld und Macht ihre Religion ist.

Die Japanesen sind aber ganz im Gegensatz zu den Engländern, den größten Fleischfressern unter allen Thieren, durchaus Vegetarianer, d. h. sie genießen blos Pflanzenkost und statt des Fleisches ungeheuer viel Fische, die an den Küsten in furchtbaren Massen wimmeln und den Fischern, welche das Meer oft beinahe mit ihren Booten bedecken, tonnenweise in die Netze laufen. Unter den Gemüsen herrschen im Anbau und der Kost Bohnen, Erbsen, süße Kartoffeln, Mohrrüben, ungeheuer große Radieschen und Obst vor. Ihre Bäume tragen eine Art Birnen, die wie Kinderköpfe groß werden, aber sehr wässerig schmecken.

Industrie der Japanesen lernten die englischen Gäste auf eine brillante Weise kennen. Die Japanesen sind ja auch nicht dumm und hassen den Fremden, der Geld hat und ihnen was abkaufen will, durchaus nicht aus purer Vaterlandsliebe, wie man dies wohl früher geglaubt hat und womit auch die Schutzzöllner in unsern verschiedenen Vaterländern die bessern und wohlfeileren Güter des Lebens, welche das Ausland bietet, vom heimischen Markte ausschließen möchten.

Man hatte in einem Tempel unweit des Zollhauses expreß für die Fremden, d. h. um englisches Geld einzufangen, einen glänzenden Bazar, eine verkäufliche Industrie-Ausstellung aufgebaut: lackirte Waaren der feinsten, reinsten und seltensten Farben (die Kunst des Lackirens wurde durch Holländer aus Japan nach Europa gebracht), die zartesten, durchsichtigsten Tassen und Vasen, Kannen und Töpfchen vom feinsten Porcellan, Fächer, Seidenwaaren, Gaze-und Florgewebe vom zartesten Hauche, seltsame, hübsche Krüge u. s. w. Matrosen und Offiziere kauften nach Kräften und haben so gewiß ein gutes Andenken und nicht mehr zu tödtende Lust, mit Fremden zu handeln und die Güter des Lebens, der Industrie und Kunst auszutauschen, in Japan zurückgelassen. Die Japanesen sind ein gebildetes, industrielles Volk auf dem üppigsten, auch mineralreichen Boden. Allerdings sind sie trotz natürlicher Anlage in ihrer Isolirtheit und Insularität in vielen ideellen Dingen, die nur durch ideellen Austausch mit andern Völkern vorwärtskommen, zurückgeblieben, z. B. in allen Naturwissenschaften, besonders in der Medicin, und, was damit zusammenhängt, in religiösen Ansichten. Die Medicin ist in den Händen weiblicher Personen, die Alles mit einer Arznei curiren, die bei uns in keiner Apotheke vorkommt und überhaupt nur durch

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