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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Die ersten Schritte auf japanesischem Boden.

„Du gingest aus, Deines Vaters Eselinnen zu suchen, und fandest ein Königreich.“ Die Engländer können sich in gewissem Sinne mit diesem Glücke des ehemaligen Eselhirten, nachmaligen Königs Saul für diesen ihren letzten Krieg trösten. Esel wurden von vielen Seiten ganz eben so gesucht, wie Eulenspiegel, auf seinem Pferde sitzend, umherfragte, ob Niemand sein Pferd gesehen habe; aber nur Wenige fanden dafür ein Königreich. Die Amerikaner, die bei aller Freiheit eben so neutral geblieben waren, wie wir Deutsche, von denen Manche für die „Freiheit und Civilisation“ gern mitgemacht hätten, fanden es zuerst. England hatte eine seiner vielen Flotten im chinesischen Hafen von Hongkong, welche im Frühlinge 1855 unter Commodore Elliot Befehl bekam, nach Norden hinauf zu segeln, um bei Kamtschatka und da herum nach russischen Schiffen und Prisen herumzukrebsen. Sie fanden aber nichts Gescheidtes, und einmal besonders viel Pech statt Prisen. Aber sie fanden, was sie gar nicht gesucht, ein Königreich, sogar ein Kaiserthum, Japan, und eroberten es, wie die Amerikaner eben auch gethan, ohne nur eine Knallbüchse abzufeuern. Ja, sie eroberten es wirklich, obgleich sie zunächst nichts gewannen, als die Erlaubniß, im Hafen von Hakodadi einzulaufen, und sich da zu kaufen, was sie brauchten. Das sieht nach gar nichts aus und ist doch mehr werth, als alle auf Hunderttausendfachen Leichenfeldern zurechtgestoppelten Friedensbedingungen für Europa. Die Verträge Amerikas und Englands mit Japan verbürgen den soliden Anfang eines produktiven, bildenden und allen Betheiligten ersprießlichen Verkehrs und Austausches von geistigen und materiellen Ueberflüssen in den betreffenden Ländern. Der Ueberfluß des einen ist der Bedarf des andern, wofür es seinen Ueberfluß dem andern Lande als Bedarf giebt. So gewinnt Jeder, ohne daß er sich zum Schwindel und zum Betruge zu erniedrigen braucht. Das Pförtchen, welches sich Amerika und England in Japan eröffnet haben, gewinnt durch den Umstand ein ganz besonderes kulturhistorisches Interesse, daß Japan über zwei Jahrhunderte allen Völkern der Erde hermetisch verschlossen war. Nur die verwandten Chinesen durften etwas Geschäfte mit den Japanesen machen. Was die Holländer auf einer an Japan angebauten, gegen das Land aber verschlossenen Bretterbude an Geschäften machten, ist nicht der Rede werth.

Jetzt klingt’s gleich von vorn herein ganz anders. Seitdem sich England und Amerika den Hafen von Hakodadi vertragsmäßig geöffnet haben (und das ist noch kein Jahr her), liefen nicht weniger als 75 amerikanische und englische Schiffe ein.

Uns interessiren besonders das erste englische Schiff und die ersten Schritte auf japanesischem Boden, schon deshalb, weil wir davon ein ziemlich ausführliches Bild, ein ganzes Buch haben. Kapitain Bernhard Whittingham, von Elliot eingeladen, ihn auf dem Argonautenzuge gegen russische Schiffe zu begleiten, folgte diesem Rufe und schrieb ein Buch über die ganze Expedition, die auch in dem Hafen von Hakodadi einlief, und den japanesischen Behörden und der Stadt selbst einen Besuch abstattete. In Folge davon kam der Vertrag zwischen England und Japan zu Stande, der ersterem dieselben Rechte einräumt, welche sich schon Amerika freundschaftlich ertrotzt hatte.

Hakodadi, an der Südostküste der nach Nipon größten Insel des japanesischen Reichs, Jesso, in der Provinz Matsmai, ist die Königin eines der besten und geräumigsten Naturhäfen in der Welt. Er besteht aus einer, über eine deutsche Meile weit in’s Land hineinlaufenden Bucht des großen oder stillen Oceans, gegen dessen oft furchtbare Wogen ihn unerschütterliche Felsen schützen, die nur eine verhältnißmäßig enge Einfahrt in die beinahe halbkreisförmige Bucht zulassen. Am südlichen Rande dieser Bucht erhebt und streckt sich Hakodadi am Wasser entlang und hoch hinauf in ein großartiges Amphitheater von waldigen Bergen, aus denen Häuser, Tempel und Villen hell hervorblicken, von waldigen Bergen, die zuletzt weiß und kahl bis über die Schneelinie sich erheben und in einem Kegel eines ausgestorbenen Vulkans zuspitzen. Ob er jetzt vielleicht wieder durch den Tod der japanesischen Hauptstadt Yeddo lebendig geworden ist? Die ersten Berichte von dem Erdbeben, welches am 15. November Yeddo größtentheils zerstört und über 30,000 Einwohner in seinen Berstungen und Klüften verschlungen haben soll, lauteten entsetzlich. Nähere Kunde scheint bis jetzt noch nicht angekommen zu sein.

Unten am Wasser entlang vor der Stadt strecken sich Bollwerke, blos von künstlerisch behauenen und ohne jedes Bindemittel verbundenen Steinen gebaut. An ihnen entlang wimmelt es von Booten aller Größen und Formen. Am niedrigen, fruchtbaren Gestade nisten bis über die Sehweite hinaus nach beiden Seiten Häuser und Hütten, Meiereien und Dörfer zwischen Gärten und Bäumen. In den Gebirgsterrassen herrschen besonders Birken, Buchen und Fichten vor. Hakodadi liegt mit Mittel-Italien und dem südlichen Frankreich unter gleichem Breitengrade.

Das englische Geschwader erschien Anfangs Juni vorigen Jahres im Hafen von Hakodadi, wurde aber durch die Nothwendigkeit einer Reihe von Ceremonien, welche die japanesische Staatswürde um sich barrikadirt hat, und die alle erst durchgemacht werden mußten, lange aufgehalten, ehe sie den eifersüchtig nach dem Ideal der Schutzzöllner verschlossen gehaltenen Boden betreten durften.

Erst mußten sich die englischen Befehlshaber bei dem Hafenmeister von Hakodadi einführen. Dann entstand die wichtige Frage: darf der Gouverneur von Matsmai den englischen Commodore bei sich sehen oder muß ersterer seine Aufwartung vorher dem Commodore machen? Die Sache war schwer zu entscheiden. Der Gouverneur half sich aus diesem kitzeligen Dilemma, wofür es keine Vorbilder und Instruktionen gab, durch Krankheit und befahl seinem Lieutenant, den Anfang zu machen, und sich auf das Flaggenschiff des englischen Geschwaders zu begeben. Dieser erschien denn auch eines schönen Morgens in allem Pompe amtlichen Auftretens auf einem von zwanzig Ruderern getriebenen Boote, in dessen Mitte ein langer, oben mit Leder überzogener Speer als Zeichen des Ranges gehalten ward, begleitet von einer Menge anderer, schwarz und weiß (der japanesischen Nationalfarbe) bewimpelter Boote. An der Außentreppe des englischen Flaggenschiffes angelangt, erhob sich der Gouverneur-Lieutenant, während die Ruderer alle in ersterbender Ehrfurcht auf die Nase fielen, um ihm blos Rücken zu zeigen. Die Audienz bestand in Auswechselung einiger höflichen Reden durch Dolmetscher und einer Einladung von Seiten des japanesischen Beamten, sich dem Gouverneur vorzustellen.

Zwei Tage darauf landete der englische Commodore mit Gefolge, und ward einige Stufen empor in ein Haus geführt, wo die Gäste von japanesischen Beamten mit Thee bedient wurden, während sie auf den Gouverneur warteten. Die Fenster hatten Scheiben von weißlich-braunem Papier und außen gegitterte Läden, um Wind und Regen abzuhalten. Der Boden war durch’s ganze Haus mit dicken Matten bedeckt, auf welchen die Herren alle schweigend und mit bloßen Füßen einherschritten, da Jeder die Schuhe auszieht, ehe er in ein solches dickwattirtes Haus eintritt. Der Japanese liebt es nicht, klappernde und polternde Schritte in seinem Hause zu hören. Alles geht daher unhörbar, barfuß oder in Socken auf dicken, dreifachen Stroh- und wollenen Matten umher. In den dunkeln Tempeln mit seltsamen Figuren, Chiffern, Schnitzwerken und Götzenbildern hat dieses unhörbare und nur dämmernd sichtbare Umhergleiten schweigender Gestalten etwas gar unheimlich Feierliches und ist geeignet, eigenthümliches „Graueln“ der Andacht und Furcht vor geahnten, unbegreiflichen, unsichtbaren Geistern und Göttern hervorzurufen und zu nähren. Solche Gewalten über den schwachen Menschen braucht besonders der Despotismus und weiß ihn gut zu benutzen und auszubeuten.

Die Unterredung mit dem Gouverneur war ebenfalls kurz und etwas unbeholfen durch Dolmetscher. Die Hauptsache kam nachher, nämlich Benutzung der erwirkten Erlaubniß, sich die Stadt anzusehen. Freilich wurden die seltsamen, angestaunten Fremden, sobald sie aus dem hölzernen Verschlage des Zollhauses heraustraten, ehrerbietigst von Polizei in Empfang genommen, die zwar nicht nach Paß und Legitimationen fragte, und auch Niemanden arretirte, aber vor den Engländern gebieterisch vorausschritt und den Leuten winkte und befahl, Thüren und Fenster gegen die Blicke der Fremden zu schließen, und sich selbst unsichtbar zu machen. Vor der Polizei hört auch in Japan aller Spaß auf, und so gehorchten die Leute vor ihr, um hinter ihr desto eifriger ihrer eigenen Natur und Neugier zu folgen. Hinter ihr öffneten sich mit wahrer Hexerei von Geschwindigkeit Thüren und Fenster

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_290.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2017)