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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

als Rache gegen die diplomatisch-mißbrauchte „christlich-germanische“ Kultur über drei Welttheile wüthete, zerstörte auch diese alexandrinische Bildung und Bibliothek. Alexandrien und die ganze Kultur am Nil herauf behielt aber Lebenskraft genug, sich auf’s Neue in die Geschichte heraufzuarbeiten. Das neue Egypten wird, trotz sinnloser Despotie, zusehends mit jedem Tage eine mächtigere, thätigere Völkermasse. Der alte und der jetzige Vicekönig importirten nach allen Kräften europäische Industrie und Wissenschaft und wissen dafür auch zu exportiren. Der neue Welthandel, mit der englisch-indischen Ueberlandpost, mit den Handelsinteressen der Levante, Oesterreichs, Frankreichs und selbst Amerika’s durchschneidet die Landenge von Suez (s. Gartenlaube Nr. 8) und führt so neue Lebensadern zum Nil, der großen Schlagader des ältesten, dauerhaftesten Kulturlebens. Alexandrien, vor zwanzig Jahren noch eine traurige, verschüttete orientalisch-muselmännische Perle mit kaum 10,000 müssigen, schmutzigen Prophetengläubigen, zählt jetzt schon über 30,000 Bewohner aller Völker und Farben, unter deren geschäftigem Treiben die Stadt immer voller, frischer und weltstädtischer wird. Handlungsreisende und Kaufleute von London, Paris, Berlin, aus dem Innern Afrika’s und Asiens, Schiffskapitaine aus allen Weltgegenden sitzen, Cigarren rauchend, auf den Balkons französischer Hotels und blasen im Anblick der „Nadel Kleopatra’s,“ der Pompejus-Säule und anderer Ruinen des fünf Mal gestorbenen, sechs Mal wieder auferstandenen Egyptens Havannadüfte in den klaren, trostlose Sandflächen und einzelne Palmen und Oasen überspannenden Himmel hinein. Durch die Entdeckung des Weges nach Indien um das Cap der guten Hoffnung herum, verlor Alexandrien das Emporium des indisch-europäischen Handels; aber noch blieb es Hauptsammelplatz der Kaufleute, die zwischen Asien, dem Innern Afrika’s und dem mittelländischen Europa Güter austauschen. Und als eine Hauptstation der englisch-ostindischen Ueberlandpost gewann es doppelt wieder, was es durch Entdeckung des Caps der guten Hoffnung verloren.

Die Ankunft dieser Post ist jedesmal die Periode großer Aufregung und bunter Lebendigkeit in Alexandrien. Sobald das Dampfschiff heranbraus’t, wimmelt der Hafen von malerischen Booten, unter denen die rothbewimpelten, vierundzwanzigruderigen des Pascha’s mit den ganz weißgekleideten, glänzend braunen Ruderern ganz besonders zwischen den dunkeln Kriegs- und den Handelsschiffen aller Völker malerisch hervorstechen. Dampf- und Segelschiffe fliegen ab und zu, und bienenschwärmige Leute aller Farben wuseln und schreien ladend und löschend durcheinander. In die Stadt hinauf führen helle, glatte Trottoirs zwischen hohen, stattlichen Häusern, des Nachts beleuchtet, wie die beste europäische Residenzstadt. Uniformirte Jungen schreien den Fremden an, daß er sich die Stiefeln wichsen lassen möge, eben so munter und diensteifrig wie in London. Omnibus, Postwagen, Privatkutschen, Lastwagen unter Waarenballen schwer rasselnd, bedecken die buntbelebten Straßen. Die indische Post und die australischen Brieffelleisen kommen und gehen auf Kameelen zu Lande über die Wüste von Suez.

Indische Passagiere füllen den Omnibus, der Reisende und Handelsspeculanten bringt und nimmt. Die in Abbildung gegebene Scene stellt das Postamt und östlich die britische Kirche und das französische Consulat dar. Die Kisten auf den Kameelen enthalten die Briefe und Güter der indischen Post. Die Kisten sind sehr stark aus zolldicken Bretern gefügt, damit sie ohne Verletzung von den hohen Rücken der Kameele fallen und den gelegentlichen Angriffen coptischer und arabischer Kameeltreiber und Räuber in der Suezwüste Widerstand leisten können. Die große, breite Frankenstraße Alexandriens kann sich mit den stolzesten Häuserreihen europäischer Städte messen.

Diese kulturhistorische und kommerzielle Bedeutung hat Alexandrien vorzugsweise dem Engländer Thomas Waghorn zu verdanken, welcher sich durch Wiederherstellung des alten Ueberlandswegs von Europa nach Ostindien unter Anwendung der Dampfschifffahrt berühmt gemacht hat. Er hatte die Ueberzeugung gewonnen, daß das rothe Meer der in jeder Beziehung vorzüglichste Weg nach Indien sei, berichtete in diesem Sinne an die englische Regierung und brachte es zu Stande, daß zur Beförderung der indischen Post eine regelmäßige Dampfschifflinie von Marseille über Malta nach Alexandrien und von Suez nach Bombay errichtet wurde, während er zugleich eine Wüstenpost über den Isthmus von Suez errichtete und eine Dampffchiffcommunication auf dem Nil und dem Kanal von Alexandrien in’s Leben rief.




Aerztliche Strafpredigten.
Nr. I.
Gegen die Unwissenheit der Menschen in Bezug auf ihre Gesundheit.

Unverschuldetes Unglück nennt Ihrs, – nothwendige Folge Eures Thuns und Treibens, also wohlverdiente Strafe, nenne ichs, wenn Ihr oder Euere Angehörigen von Krankheit oder wohl gar von frühem Tode heimgesucht werden. – Denn nicht ohne Ursache wird man krank und stirbt vor der Zeit, und gar nicht so schwierig ist es in den meisten Fällen, die krankmachende und tödtende Ursache (Noxe, Schädlichkeit) oder doch ihre nachtheiligen Folgen zu vermeiden und zu mildern. Aber freilich muß man, um dies zu können, – und dies sollte doch eigentlich jeder vernünftige, richtig gebildete Mensch können, – mit jenen Schädlichkeiten und ihren Folgen, so wie mit der Einrichtung des menschlichen Körpers bekannt sein und nicht dem unsinnigen Glauben anhängen, daß dies nur des Arztes Sache sei, wie das Stiefelmachen die des Schuhmachers. Frage Dich doch einmal, Leser, was Du eigentlich von Deinem Körper und seiner ordentlichen Pflege, von Entstehung, Verhütung und naturgemäßer Behandlung seiner Krankheiten weißt? Nichts! Was für unnützes Zeug hast Du dagegen während Deines Lebens in Deinen Kopf gestopft, blos um es wieder zu vergessen. Und was Deinen Arzt betrifft, hast Du den etwa schon danach gefragt, was Du zu thun hast, um nicht krank zu werden? Und gerade darin besteht doch das rechte Wissen des Arztes, daß er Krankheiten zu verhüten versteht. Du läßt ihn nur rufen, wenn Dir’s schlecht geht, und zwar zum Gesundmachen. Ob und in wie weit dies aber der Arzt überhaupt kann, ob es dieser Arzt besser kann als jener, ob diese oder jene Heilmethode die vernünftigere, darüber suchst Du Dich gar nicht weiter zu unterrichten, obschon durch eine solche Unkenntniß Dein körperliches Wohl so sehr gefährdet ist. Von was für kleinlichen Umständen ist außerdem oft die Wahl des Arztes abhängig? Der Eine nimmt den Arzt, welcher gerade am meisten in der Mode ist; der Andere oder auch seine Frau wählt sich einen Heilkünstler mit angenehmem Aeußern, eleganter Kleidung und zarten Manieren; ein Dritter erbt gewissermaaßen seinen greisen Hausdoctor oder dessen Sohn und behält dieses Erbstück aus Pietät; ein Vierter holt sich einen wohlhabenden, nicht sehr beschäftigten Arzt, um ihn nicht zu bezahlen; Manchen wird der Arzt von den Schwiegereltern octroyirt, Andere verfallen einem Arzte aus verwandtschaftlichen oder gesellschaftlichen Rücksichten u. s. f. Die Meisten fühlen sich aber, ihrer Unwissenheit und ihres Aberglaubens wegen, zu Charlatanen, die weder vom gesunden, noch vom kranken Menschenkörper Etwas wissen, sowie zu solchen Heilkünstlern hingezogen, die angeblich auf unnatürliche, übersinnliche Weise kuriren, den Kranken irgend einen Hokuspokus vorgaukeln und lächerliche Versprechungen schneller Heilung machen. Und was für unbillige, inhumane Anforderungen werden nicht, trotz deö gewöhnlich erbärmlichen Honorares, von den Kranken an den Arzt gestellt! Stundenlang muß er sich, obschon er dabei wie auf Kohlen sitzt, wegen versetzter Blähungen von Hypochondristen und Hysterischen vorlamentiren lassen; nervöse, reizbare Dämchen, fortwährend in Thränen schwimmend, soll er wo möglich aus zehn Schritt Entfernung lispelnd und bücklingend examiniren und kuriren, aber ja nicht anrühren; die Frau vom Hause wünscht Neuigkeiten erzählt, die Mutter ihre leidenden, in der That aber ungezogenen Kinder (die man durchprügeln möchte) bemitleidet und sogar bei schmutziger Nase und beschmiertem Munde geküßt zu haben; bei Tag und Nacht, bei Wind und Wetter werden seine sofortigen Dienste, oft rücksichtslos gefordert, sobald es dem Kranken oder seinen Angehörigen gerade beliebt; Besuche, Arznei und Diät

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_278.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2017)