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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

dem Sinne, zu der ich nun und nimmer meine Einwilligung gebe. Da hat Er Seinen Bescheid.“

Mit diesen Worten rannte der alte Bastian aus dem Zimmer, und Peter, der selbst nicht wußte, wie ihm geschah, hatte alle Mühe, die lautweinende Johanna zu beruhigen, und sie von dem Onkel Bastian weg, zu der Tante Emerentia zu bringen.

Es war vierundzwanzig Stunden später und noch zu ziemlich früher Tageszeit, als Tante Emerentia sich heimlich selbst gestehen mußte, daß sie, wenn es so fortginge, einen sehr glücklichen Tag habe. Zwei böse Schuldner, die nach und nach so viele Zinsen bezahlt hatten, als das ursprüngliche Anlehen betrug, hatten auch das Anlehen selbst zurückgegeben. Ein Dritter hatte gegen Hergabe eines Pfandes, welches dreihundert Thaler werth war, Einhundert von ihr empfangen. Sie lächelte der alten Dienerin zu, was sie sonst nie that, und gab dieser den Befehl zur Bereitung einer Milchsuppe; welche ungewohnte Freigebigkeit die Dienerin in ein solches Erstaunen setzte, daß der Befehl ihr eigens mit dürren Worten wiederholt werden mußte. Kopfschüttelnd ging die alte Barbara hinaus, fest überzeugt, es sei mit der Herrschaft nicht recht richtig.

Zu dieser höchst glücklichen Stunde traf Peter mit seiner Johanna bei der Tante ein. Er stellte ihr das junge blühende Mädchen vor und fragte bedeutender zaghaft als gestern bei dem Onkel: „Wie gefällt Ihnen meine Braut?“

Die alte Dame nickte zum Gruße mit dem Kopfe und sagte dann:

„Reden wir zuerst von Geschäften und lassen die Windbeuteleien einstweilen bei Seite. Wo ist der Pachtschilling? Wo sind die Rechnungen und Beläge? Wie steht es draußen auf dem Gute? Eines nach dem Andern, umständlich und deutlich.“

Peter mußte mit der größten Ausführlichkeit berichten. Tante Emerentia erließ ihm nicht das Geringste. Als endlich der kleinste Umstand erschöpft, und die Quittung für den gezahlten Pacht unterschrieben war, wiederholte Peter schüchtern seine Frage:

„Wie gefällt Ihnen meine Braut?“

„Wie kann ich das jetzt schon wissen?“ entgegnete die Tante fast verdrießlich. „Um das zu sagen, müssen wir erst einen Scheffel Salz mit einander verzehrt haben.“

Barbara, die eben durch das Zimmer ging, bekreuzte sich ob solcher Verschwendung und die Tante fuhr fort:

„Ich will der Mamsell schon auf den Zahn fühlen, und dabei braucht der Herr Neffe nicht zu sein. Gehe Er Seinen Geschäften nach. Unterdessen werde ich discursive erfahren, was ich erfahren will, und Ihm dann meine Meinung ganz offen sagen.“

Peter mußte, wohl oder übel, seines Weges gehen, was nicht ohne schwere Seufzer geschah, denn er war des gestrigen Auftrittes bei dem Onkel eingedenk und fürchtete, derselbe könne sich hier, wenn auch in etwas anderer Weise wiederholen, und dann sei all’ und jede Hoffnung für immer verloren.

Ehe aber noch das inquisitorische Frage- und Antwortspiel beginnen konnte, war die Barbara mit der Suppe fertig, und Tante Emerentia mußte, wohl oder übel, die Fremde zum Mitessen einladen, was die Barbara sehr ungnädig aufnahm, weil sie dabei den Kürzeren zog, denn das Bereitete reichte nicht für Zwei, geschweige denn für eine Dritte.

Man setzte sich zum Essen. Tante Emerentia, welche scharf beobachtete, fragte mit aufgeworfenen Lippen:

„Ist Ihr etwas an der Suppe nicht recht?“

„Nehmen Sie es mir nicht übel,“ sagte Johanna, nur mühsam das Lachen bezwingend, „aber Ihre Köchin muß sich das Lehrgeld wiedergeben lassen. Sie hat die Suppe ordentlich zu salzen vergessen und Butter hat sie auch nicht hinein gethan.“

Barbara schrie laut auf. Die Tante aber erwiederte:

„Butter und Salz! Warum nicht gar Zimmt oder Vanille und Marzipan zum Zubeißen. Wie müßte denn die Suppe nach Ihrem Recept gekocht werden? Ich setze voraus, daß Sie überhaupt eine Suppe kochen kann.“

„Ob ich das kann!“ sagte Johanna, vor Freude strahlend, denn nun war sie in ihrem Elemente. Sie entwickelte ihre Ansichten von der Kochkunst mit überraschender Sicherheit, und war von ihrem Gegenstände so sehr erfüllt, daß sie gar kein Arges daraus hatte, welche Wirkung diese Offenbarungen auf ihre Zuhörerinnen hatte.

Barbara wäre vor Entsetzen fast taub geworden und wünschte es ganz und gar zu werden, denn sie schnitt jämmerliche Gesichter und hielt sich beide Ohren mit den Händen zu. Tante Emerentia aber lehnte sich immer weiter vor, den Kopf seitwärts gebogen, damit der Zornesblick ihrer schielenden Augen das junge Mädchen desto tödtlicher treffe; sie wechselte die Farbe zu dreien Malen und kreischte ihr endlich zu:

„Halte ein! Halte endlich ein, unseliges Geschöpf. Das ist die offenbarste Verschwendung, die, mit dem weißen Stocke in der Hand, in’s Elend führt.“

„O, nicht doch!“ entgegnete Johanna unbefangen. „Das Gesinde darf nicht verkürzt werden, sonst leidet die Herrschaft selber Noth. Arbeiten, wenn es nöthig ist, vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht, dafür aber auch Krug und Schüssel allezeit; bis zum Rande gefüllt. Was haben denn Knecht und Magd für ihr mühseliges Dasein, wenn nicht das Bischen Essen und Trinken? Sie müssen ja für uns arbeiten, also müssen wir auch den Ueberfluß mit ihnen theilen.“

„Bettelpack!“ stöhnte die Tante, welcher der Zorn die Sprache raubte.

„Ach ja!“ entgegnete Johanna, die den Sinn dieses Wortes mißdeutete. „Armuth giebt es, Gott sei es geklagt, übergenug, und man weiß nicht, wie man dem Uebel steuern soll. Da thut denn Jeder nach Kräften das Seine. Das hätten Sie sehen sollen, wie es Sonnabends bei uns auf der Försterei zuging. Vom frühen Morgen an kamen die Armen von den umliegenden Dörfern. Der Vater gab Jedem einen Dreier, Sechser oder Groschen, die Mutter stand am Herde und hatte für die Kranken und Gebrechlichen stets ein Näpfchen bei der Hand; die Kinderchen kamen zu mir, denn sie wußten, daß sie da wohl aufgehoben waren. Ja, meine liebe Madame, es ist wohl schön bei uns draußen, wenn wir Sonntags in der Kirche sitzen und der Herr Pastor uns mit ernsten Worten das Christenthum predigt, aber es ist noch schöner, wenn man die Hungrigen gespeist, die Durstigen getränkt, die Kranken gepflegt hat, und sie nun mit hundert Segenswünschen auf den Lippen getröstet von dannen ziehen. Das ist die köstlichste Erinnerung, die ich aus dem Vaterhause mit mir genommen habe, und die ich, wenn es Gottes Wille ist, daß ich den Peter bekomme, in seinem Hause wieder herstellen will.“

„Will Sie das?“ fragte scharf die Tante.

„Ja, gewiß will ich es;“ sagte Johanna treuherzig, „denn das bringt dem Hause Heil und Segen für Kind und Kindeskind. Wie sollte ich das meinem lieben Peter nicht gönnen?“

„Noch habe ich keinen Athem wieder,“ sagte Tante Emerentia im vollen Zorn, „sonst würde ich Ihr meine Meinung sagen, daß Sie zittern und beben sollte. Mit solchen Ansichten ist Sie im Stande, Millionen, ja, ein ganzes Königreich zu vergeuden, geschweige denn ein kleines Gut, welches nicht einmal dem Herrn Liebsten gehört, sondern der Familie, und welches er nur aus Gnade und Barmherzigkeit verwalten darf. Versteht Sie mich? Der Familie, in welche Sie sich gern drängen möchte, aber zu der Sie keinen Zutritt haben soll, so lange ich noch den Mund bewegen und die Zunge rühren kann. Sie gewissenlose Verschwenderin, Sie!“

„Du mein himmlischer Vater, was ist doch nur das?“ rief in Thränen ausbrechend, die geängstigte Johanna. „Dort werde ich verstoßen, weil ich eine dumme Gans bin, die spart und auf Ordnung hält und hier – O, Peter! Peter! Wo bist Du? Komm doch und bringe mich von hier weg!“

Peter, der von seiner Ungeduld getrieben, eben eingetreten war, eilte auf Johanna zu und schloß sie in seine Arme. Obgleich Alles ihm zeigte, daß hier nichts Tröstliches vorgefallen sei, fragte er doch, wenn auch mit großer Zerknirschung:

„Wie gefällt Ihnen meine Braut?“ !

Da brach die Tante los. Unaufhaltsam, wie eine Schleuse ergoß sich ihr Zorn. Sie verbot dem Neffen auf das Strengste jede Fortsetzung eines Verhältnisses, das nicht nur eine Familie, sondern Land und Leute zu Grunde richten könne, und verlangte, daß die schreckliche Person, welche solche verderbliche Grundsätze predige, ihr Haus sogleich verlassen solle.

(Schluß folgt.)
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