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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

kehrte er zuweilen bei demselben ein, und ward immer willkommen geheißen.

Der Alte, der viele Jahre als Jäger in der hochfürstlichen Leibcompagnie gedient, und dann ein beschauliches Waldleben geführt hatte, wußte viel zu erzählen von Krieg und Frieden. Peter hörte aufmerksam zu und schwatzte gern mit dem Alten. Noch lieber aber sprach er mit des Försters holdseligem Töchterlein, der schönen Johanna, die ein lebenslustiges, fröhliches Waldkind war und von städtischen Manieren, so wie von den guten und schlimmen Begleiterinnen derselben keine Ahnung hatte.

Johanna zeigte für den Peter eine gleiche Vorliebe, und kaum konnte sie die sechste Abendstunde erwarten, zu welcher Zeit der junge Herr Nachbar sich täglich einzufinden pflegte. Der Förster, der trotz seiner vorgerückten Jahre noch ein paar gesunde Augen hatte, merkte bald, wie hoch es an der Zeit sei, und daß die Stunde seines Töchterchens geschlagen habe. Darum, als sie einst traulich neben einander saßen, Hand in Hand, Auge in Auge, keines Wortes mächtig, ihre tiefinnersten Gefühle mit leserlicher Schrift in allen Mienen ausgeprägt, trat der Förster hinzu, legte seine Hände auf ihre Häupter und sagte:

„Gott segne Euch, Kinder. Und wenn eines alten Mannes Fürbitte etwas gilt, werdet Ihr glücklich bei einander sein. Mir kommt es vor, als müßte ich bald von hinnen und da ist es mir eine Beruhigung, meine liebe Johanna von treuer Hand beschützt zu wissen.“

Und als ob der alte Herr mit prophetischer Zunge gesprochen hätte, traf ihn mit dem Beginn des Jahres das Schicksal, von einem Wilddiebe hinterrücks erschossen zu werden. Kummer und Trübsal herrschten im Forsthause.

Das Begräbniß war vorüber und Johanna begriff, daß sie nicht im Forsthause bleiben und die Besuche ihres jungen Freundes annehmen dürfe. Zur rechten Zeit erinnerte sie sich, in der Residenz eine alte Muhme zu haben. Diese willigte ein, die Verwaiste bei sich aufzunehmen, bis eine Versorgung für sie gefunden wäre und Peter, der gerade dahin wollte, um seinen Verwandten den Pacht zu zahlen, und über den Zustand des Gutes den gewohnten Jahresbericht abzustatten, bot sich zum Begleiter an. Kaum war dies besprochen, als er sowohl an den Onkel, als an die Tante schrieb, daß er ihnen seine Braut vorstellen werde, und sie bat, ihm ihren Segen zu seiner ehelichen Verbindung zu geben. Es erfolgte darauf mit wunderbarer Uebereinstimmung der Bescheid, daß man eine solche Zusage nicht ohne Weiteres ertheilen könne, sondern dies erst geschehen werde, wenn man die Braut kennen gelernt, und sie ihnen gefallen habe. Der Neffe möge ihnen deshalb das junge Mädchen zuführen, worauf der Bescheid seiner Zeit erfolgen werde. Peter theilte diese Nachricht seiner Geliebten mit, und die Reise, welche demnächst angetreten wurde, verursachte Beiden ein nicht geringes Herzklopfen, das immer beängstigender wurde, je näher sie der Residenz kamen.

Onkel Bastian hatte gerade mit seinem alten Diener die wichtige Frage erledigt, welche Arrangements für die künftige Woche zu treffen wären, und begab sich, mit der Aussicht auf sieben anderweitige fröhliche Tage in sein Garderobezimmer, als Peter sich melden ließ, um den Pachtzins zu bringen, und zugleich seine Braut vorzustellen.

Johanna war in einer neuen Welt. Der Glanz, die Pracht, welche sie hier umgaben, und von der sie nicht die entfernteste Ahnung hatte, verblendeten sie. Es wurde ihr unter dieser Fülle von Sammet und Seide, diesen Statuen und Bildern fast unheimlich, und sie sah dem Eintreten des Onkels mit großer Angst entgegen.

Herr Bastian kam. Ein kleiner, zierlicher Herr, wohl frisirt, toupirt und mit großer Sorgfalt gekleidet. Er musterte die fortdauernd knixende ländliche Schöne durch das Augenglas, und hörte nicht darauf, daß sein Neffe mit steigender Ungeduld zwei bis drei Mal nach einander fragte:

„Wie gefällt Ihnen meine Braut?“

„Hm! Hm!“ sagte Onkel Bastian nach einer Pause. „Sie sind willkommen, mein liebes Kind. Und da wir, wenn es Gottes Wille ist, nahe mit einander verwandt werden sollen, ist es nicht mehr als billig, daß wir uns genauer kennen lernen. Darum, Neffe, gehe getrost Deiner Wege und besorge Deine Geschäfte; ich werde unterdessen schon auf die Unterhaltung der jungen Dame bedacht sein.“

Peter ging mit schwerem Herzen, denn er fürchtete, daß die Unterhaltung mit dem Onkel möglicherweise schlimm ausfallen könne. Unterdessen fand diese vorerst gar nicht statt, denn Johanna vermochte vor lauter Respekt kein Wort hervorzubringen. Als aber die erste Scheu überwunden war, holte sie das Versäumte redlich nach. Sie horchte den Mittheilungen des Onkels, der ihr einen hohen Begriff von seiner glänzenden Lebensweise beibringen wollte, und mit seinen Beschreibungen stets das totale Gegentheil erreichte. Johanna schlug vor Verwunderung die Hände zusammen und lachte aus vollem Halse, als sie hörte, daß man hier statt früh mit der Sonne aufzustehen, bis gegen Mittag im Bette bleibe, und wenn man auf dem Lande abgegessen hätte, den Morgenkaffee trinke, wobei man Bilderbücher lese und sonstige Possen treibe. Sie begriff nicht, wie man sich beim Dunkelwerden zum Mittagessen begeben, drei bis vier Stunden am Tische sitzen bleiben und von zwanzig Gerichten essen könne. Am Lächerlichsten aber kam es ihr vor, daß zu der Zeit, wenn im Forsthause schon Alles längst eingeschlafen war, die Damen und Herren große Toilette machten und sich anschickten, Gesellschaften zu besuchen, die oft erst mit dem anbrechenden Morgen endeten.

Onkel Bastian hatte Unglück. Was er auch vorbrachte, um Johannens Theilnahme zu erregen, schlug in das gerade Gegentheil um. Er war außer aller Fassung, wußte nichts weiter zu sagen und hielt inne, indem er in stummer Verzweiflung mit der flachen Hand auf der Stirn trommelte.

Das that Johanna leid. Sie hielt den Onkel für krank und indem sie ihn trösten wollte, schüttete sie, ohne es zu ahnen, eine Fluth von Oel in das ohnehin hell aufprasselnde Feuer.

„Das kann ich mir wohl denken, lieber Herr,“ sagte sie freundlich, „daß Sie bei einer solchen Lebensweise elend und miserabel werden müssen. Man sieht es Ihnen ja auch auf den ersten Blick an.“

„Was?“ rief Onkel Bastian und machte eine gewaltige Anstrengung, um den aufsteigenden Zorn niederzukämpfen. Der alte, eitle Herr, der gern noch für einen Stutzer gelten wollte, der hinreißend und unwiderstehlich sei, sollte so miserabel und elend sein, daß eine hergelaufene Bauerndirne ihm das Siechthum bei dem ersten Blicke von der Stirn abläse? Johanna, die den zornigen Schreckensruf für einen Schmerzenslaut hielt, legte, wie beschwichtigend, ihre Hand auf seinen Arm und sagte begütigend:

„Da wollen wir bald Rath schaffen. Wenn es Gottes Wille ist, daß der Peter und ich ein Paar werden, machen Sie sich von allem hiesigen Wirrwarr los und ziehen zu uns auf das Gut. Da will ich Sie hätscheln und pflegen, daß es eine Lust ist. Sie erben meines Vaters großen Sorgenstuhl. Wenn Sie allein nicht fort können, will ich Sie führen. Sie dürfen sich getrost auf mich stützen, denn ich bin gesund und stark. Sie sehen vom Kohlgarten aus, da wo die blau angestrichene Bank steht, die Sonne über den Berg aufgehen, und des Abends spielen Sie mit dem Peter eine Parthie Deutsch-Solo, wie er es früher mit meinem seligen Vater gethan. So treiben wir es einen Tag wie alle Tage, außer des Sonntags, wo wir mitsammen zur Kirche gehen, und bald bei dem Herrn Pastor, bald bei dem Herrn Schulzen, oder diese bei uns das Mittagsbrot essen. Das soll ein Leben werden.“

Johanna hielt erschreckt inne, denn der Onkel fuhr so plötzlich vom Stuhl auf, als sei er von einer Tarantel gestochen. Länger hielt er es nicht aus. Er rasete im Zimmer auf und ab, und rief ein Mal über das andere:

„Tollheit! Wahnsinn! Verrücktheit in optima forma! Und das will in die Familie hinein? Alter Balthasar, wo bist Du? Ich ersticke! Balthasar! Balthasar!“

„Hier, Herr!“ rief der alte Diener, erschrocken herbeieilend, und Johanna rief händeringend:

„Ach Gott! Was ist doch nur das! Ich habe es so herzlich gut gemeint.“

In diesem Augenblicke kam Peter, der es nicht länger hatte aushalten können, zurück, und mit Mühe den auf- und abrennenden Onkel festhaltend, fragte er mit versetztem Athem:

„Wie gefällt Ihnen meine Braut?“

„Ganz und gar nicht!“ platzte der Alte heraus. „Ganz und gar nicht, Monsieur Peter. Und wenn Er noch irgend Etwas auf Seinen Onkel giebt, wenn Er in der Verwandtschaft bleiben und den fetten Pacht behalten will, schlage Er sich diese Heirath aus

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