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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

durch die verschiedenen deutschen Münzverhältnisse weit mehr im Alleinsein, als in der Association, kurz, wir erkennen bei genauem Vergleiche, daß die vier genannten großen Handelsstädte in ihrem kommerziellen Wesen durchaus nicht der heutigen Zeit und deren Anforderungen gefolgt sind. Dort will Jeder noch nach seiner „eigenen Façon“ reich werden, während man an andern Orten Kapital und Arbeitskräfte vereint, und auch wirklich Gigantisches schafft. So haben die Hamburger länger als dreißig Jahre die Dampfschiffverbindung nach England, zum Nachtheil der deutschen Konsumenten, ohne Konkurrenz gelassen, und wahrlich, die Engländer verstanden ihr Monopol zu benutzen; wir mußten dreißig Jahre lang acht und neun Pence per Kubikfuß Fracht bezahlen, während jetzt die Frachtsätze der englischen Kompagnie vier und die der deutschen drei Pence betragen, wobei noch eine bedeutende Dividende zur Vertheilung kommt. Neunzehntel der Passagiere waren und sind heute noch Deutsche, aber die Perfidie der Engländer konnte sich nicht bequemen, nur die geringste Rücksicht hierauf zu nehmen, und Aufwärter und Aufwärterinnen auf ihren Dampfern anzustellen, welche der deutschen Sprache mächtig waren. Wie viele Frauen und Kinder müssen heute noch, von der Seekrankheit geplagt, sich abquälen, um sich nur wegen Verabreichung eines Glases Wassers verständlich zu machen.

Es herrscht in Hamburg ein wahrhaft widerlicher Respekt vor Allem, was englisch ist; während die Seelenaufkäuferei (wie früher für Brasilien) für die englische Fremdenlegion eben in Hamburg ihren Hauptwerbeplatz aufschlug, duldete man offiziell die Anwesenheit eines englischen Kriegsschiffes inmitten der Elbe, um die auf hamburgischem Gebiete geworbenen Schlachtopfer schnell nach Helgoland bringen zu können. Man denke sich nur den entgegengesetzten Fall, ein deutsches Kriegsschiff läge auf der Themse, um englische Matrosen für deutsche Kriegszwecke zu werben und zu einem Kriege, in dem England (wie jetzt Deutschland) neutral wäre – würden in einem solchen Falle wohl die Engländer ebenso bescheiden geschwiegen haben, als die Hamburger?

Aber die Zeiten, wo die Hansestädte Macht und Ansehen hatten, ist vorüber; ihre Selbstständigkeit besteht nur noch nach Innen in der Selbstverwaltung, deren sich hoffentlich andere Städte, welche einem großen Staatsverbande angehören, mit der Zeit ebenfalls wieder erfreuen werden. Die Hanseaten sind dem Handel gegenüber, was das Zunftwesen gegenüber der neuen großen Industrie ist – Zopfthum, und ihr Bestehen stützt sich nur auf die ihnen von der Natur gewährte geographische Lage, sie üben aber weder in politischer noch in kommerzieller Beziehung außerhalb ihrer städtischen Grenzen irgendwie einen Einfluß mehr aus; Jeder wird einräumen, daß auf den Börsen der Hansestädte die Preise der Staatspapiere und Aktien gar nicht, und die der Kolonialprodukte nur durch den Einfluß der Kosumenten des Binnenlandes festgesetzt werden.

Die hohe Bedeutung Hamburgs für Deutschlands Industrie und Handel läßt sich weit richtiger und vorurtheilsfreier beurtheilen, wenn man den Verkehr zwischen Norddeutschland und England genau kennt. Ein früher als erwartet eintretender Frost schneidet die Dampfschiffverbindung binnen drei Tagen völlig ab, und Güter, welche aus Böhmen und Sachsen für die Verschiffung nach den Kolonien bestimmt waren, um zur gewissen Saison einzutreffen, bleiben liegen. Natürlich leidet zuerst der Besteller in England durch die Unterbrechung, seine bereits bezahlte Waare kommt zu ungelegener Zeit; aber weit mehr leiden die sächsischen und böhmischen Arbeiter, denn die folgende Bestellung für die nächste Saison bleibt aus, manchmal sogar versorgt sich der Besteller auf andern Märkten, und zahlt gern einen höhern Preis, sobald er mit Bestimmtheit auf die rechtzeitige Lieferung rechnen kann, anstatt sich der Gefahr auszusetzen, seine Waare am deutschen Hafenorte nutzlos überwintern zu sehen.

Diese Hamburger Winterquartiere kosten natürlich viel Geld, obgleich die Eisenbahn die Benutzung der Dampfer von Glückstadt aus, selbst wenn der Hamburger Hafen mit Eis bedeckt ist, noch eine kurze Zeit gestattet. Im Allgemeinen aber muß es für die heutige Verkehrswelt keine Naturstörungen dieser Art mehr geben, die Technik hat wahrhaft Gigantisches geleistet, um nicht am Ende die Störung des Verkehrs durch einen Frost umgehen zu können.

Es bedarf dazu zunächst einer Brücke, um die diesseits der Elbe kommenden Güter sofort auf Eisenschienen nach Kuxhafen zu senden; hier am Ausfluß der Elbe müssen jene zeitgemäßen Einrichtungen, Docks, errichtet sein, deren ein Reich, wie das deutsche, zu besitzen berechtigt ist.

Aber bekannterweise will man in offiziellen Hamburger Kreisen weder von einer Elbbrücke noch von einem Winterhafen in Kuxhafen gern sprechen hören, die Brücke würde manche alte früher erworbene Gerechtigkeit und dergleichen entwerthen, und gar ein Hafen in Kuxhafen, der könnte ja emporblühen und mit dem Hamburger rivalisiren, besonders wenn wie natürlich eine Eisenbahn bis zur großen hannoverisch preußischen Straße die Güter direkt bis zur Elbmündung bringt, um dort verschifft zu werden.

Was noch in Betreff der im Obigen erwähnten Versandung der Elbe zu bemerken bleibt, kann sich jeder Unparteiische selber denken. Entweder die Hamburger besitzen nicht die Mittel, oder sie wollen sie nicht hergeben, um die Gefahr zu beseitigen, welche durch das Versanden des Elbstromes dem gesammten industriellen und merkantilen Norddeutschland und Oesterreich droht. Jedenfalls handelt es sich um die Existenz des deutschen Verkehrs, um das fernere Bestehen großer Fabrikdistrikte, für deren Fabrikate die Verschiffung erschwert wird, und es ist hohe Zeit, diesen Gegenstand öffentlich, d. h. auch in nicht Hamburgischen Kreisen, zur Sprache zu bringen.

Hätten wir in Deutschland eine Stelle, von wo aus das Volk vereint solchen Hindernissen entgegentreten kann, wahrlich, sie wären längst beseitigt, aber die einzelnen Uferstaaten laboriren an der unpraktischen und unbeholfenen Schreibseligkeit des zwar sehr intelligenten, aber wirtschaftlich oft kenntnißlosen Beamtenthums. Man läßt das Selbstinteresse nicht aufkommen, und hat stets Staatsinteressen vor Augen, aber das Selbstinteresse schafft eben jene großen Unternehmungen, auf welche die Engländer und Amerikaner so stolz sind. Hätte das Staatsinteresse einer Elbbrücke oder eines Winterhafens bedurft, es wäre längst, zwar noch nicht beschafft – denn so schnell geht’s in Deutschland nicht – aber mindestens im Plane fertig, das Selbstinteresse hätte Beides und sogar die Herstellung des Elbstromes beschafft, aber man versteht nicht die richtigen Mittel zur Erweckung des erforderlichen Selbstinteresses zu ergreifen.

Wenn die deutsche Nation eine Einigkeit wünscht und erstrebt, so weiß sie auch warum. Die Presse hat bisher sich mehr auf staatspolitischem Boden gehalten, und verstand es wenig, dem Volke klar zu machen, worin eigentlich die Einigkeit zu erstreben sei, und welche Mittel dafür angewendet werden müssen. Es war dies Nichtwissen unserer Presse, wo eigentlich die Uneinigkeit schadet, daran Schuld, daß man nur allgemein hingeworfene Redensarten von Münz-, Maaß- und Gewichtseinheit dem Volke bot, ohne tiefer einzudringen und der ganzen deutschen Nation (Deutschösterreich inbegriffen) die großen wirthschaftlichen Folgen der Zerfallenheit klar zu machen.

Mögen die Leser der Gartenlaube, welchem Berufe und welcher Parteistellung sie auch angehören, es dem Verfasser dieser Briefe glauben, daß nur durch ein inniges Zusammenhalten der deutschen Nation in allen ökonomischen Angelegenheiten, und durch vereinte Abhülfe gefährlicher Uebelstände ebenso wie durch gemeinsames Schaffen großer Bauten die Concurrenzfähigkeit der deutschen Arbeit und des deutschen Gewerbfleißes anderen Völkern gegenüber ermöglicht wird.

Man möge sich nicht von einzelnen auf Industrie-Ausstellungen errungenen Eroberungen blenden lassen und glauben, die Industrie sei in voller Blüthe, der Absatz gesichert, – es ist dies nicht der Fall, sobald auf der einen Seite jene Zollschranken bestehen, die scheinbar die Industrie schützen sollen, in Wirklichkeit nur die Trägheit schützen, und auf der andern jene Hindernisse, wie die Elbzölle, Zunftgesetze, Niederlassungsbeschränkung, Mangel an Brücken, zunehmende Versandung der Flußmündungen, Münz-, Maaß- und Gewichtsdifferenzen und dergleichen mehr, die nur geeignet sind, die Anstrengungen der Nation unfruchtbar zu machen.

Wir haben es erlebt, wie die Staatspolitik es für zweckmäßig hielt, die Mündung der Donau zu verstopfen, wir haben ferner zur Schande Deutschlands erlebt, wie inmitten des Rheinstromes mit Steinen beladene Schiffe versenkt wurden: dies sind die vom blinden Wahne dem allgemeinen Verkehr gewaltsam bereiteten Hindernisse. Die Volkswirthschaft aber lehrt uns die Hindernisse, welche dem allgemeinen Verkehr noch entgegenstehen, zu beseitigen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_259.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)