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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

aber Tonietto war schon fort, und Maria hatte Niemand gesehen. Sie hatte wohl erwartet, daß man sie dort suchen würde, und war daher direct nach der ersten Marschstation gegangen. Zu gleicher Zeit mit Tonietto kam sie dort an, der, wie ein Verbrecher, von zwei Gensd’armen escortirt wurde. Diese hatten indessen ihr Möglichstes gethan; sie hatten ihn schonend behandelt und nicht gefesselt. Sie erkannten Maria und ließen sie zu ihm. Sie theilte ihnen den Proviant aus, den sie Tonietto mitgebracht, und durfte so ein paar Stunden bei ihm bleiben.

Vergebens suchte er sie zu überreden, des Abends zurückzukehren; ihr Entschluß war unerschütterlich.

Während der Nacht wurde Tonietto eingesperrt. Maria suchte sich bei einer armen Frau ein Asyl. Am folgenden Morgen, lange bevor der Tag noch grauete, stand sie schon wieder an der Thür seines Gefängnisses und wartete bis er herauskäme.

Aber welcher Anblick, als er endlich kam! Die Hände gefesselt, mit Daumschrauben gespannt, dutzendweise an ein langes Tau gejocht, wie Galeerensträflinge, so wurde er mit einem Zuge Renitenter weiter geschleppt. Die Andern waren empört über diese Schmach; gleichwohl wußten sie, daß diese Strafe kaum ein paar Tage dauern würde, höchstens bis jenseits der Alpen, bis zur Reserve. Aber wie mochte Tonietto zu Muthe sein, seiner Braut ein solches Schauspiel zu geben! Sie ging muthig neben ihm.

„Aber was willst Du, was denkst Du, Maria?“ bat er, „was bezweckst Du, daß Du mich so begleitest?“

„Daran habe ich noch nicht gedacht,“ erwiederte sie lächelnd, „ich wollte Dich wiedersehen, und Dich ein wenig begleiten, das ist Alles!“

Und sie fing wieder an von ihrem Vorschlage zu sprechen, als Marketenderin[WS 1] mit dem Regimente zu ziehen. Tonietto widersetzte sich dem aber mit aller Kraft; er sprach ihr von ihren Eltern – und sie weinte.

So ging sie traurig weiter. Die Andern machten sich lustig über sie, die Gensd’armen, die gewechselt hatten, begegneten ihr unfreundlich. Bei der Mittagsruhe ging es noch schlimmer. Die Gefangenen wurden in die Scheune eines Gasthauses eingeschlossen. Maria wollte an der Thüre warten, man jagte sie weg. So blieb sie von ferne stehen und wartete, ohne auch nur einen Bissen Brot oder einen Schluck Wasser zu nehmen, wartete so lange, bis sie endlich die Gefangenen, gefesselt wie am Morgen, wieder heraustreten sah. Rasch war sie wieder an der Seite Tonietto’s; sie näherte seinen Lippen eine schöne Frucht, die seine trockene Kehle erfrischte; dann setzte sie unermüdlich ihre Reise fort. Vergeblich bat, flehte, beschwor er sie, ihn zu verlassen; sie ging und ging, und wußte weder was sie that, noch was sie wollte.

Endlich, des Abends, nicht weit mehr von dem Nachtquartier, holten sie die beiden Brüder ein. Sie beschworen Maria mit Thränen in den Augen, mit ihnen zurückzukehren. Sie widersprach ihnen nicht. Tonietto vereinigte seine Bitten mit den ihrigen. Endlich gab sie nach, und bald war man darüber einig, daß sie bis zur Nacht zusammenbleiben, dort sich erholen und dann des Morgens zum letzten Male Abschied nehmen und sich trennen wollten.

Tonietto brachte die Nacht, wie gewöhnlich, im Gefängnisse zu; sie ging mit ihren Brüdern in ein Gasthaus.

Aber kaum hatte sich das arme Kind zu Bette gelegt, als sie, erdrückt von den Anstrengungen, der Hitze, und noch mehr von der Angst und Noth der letzten Tage, von einem brennenden Fieber ergriffen wurde. Heftige Fieberphantasien stellten sich ein; ihr Zustand wurde höchst bedenklich.

Der Morgen kam. Einer ihrer Brüder blieb an ihrer Seite, der andere lief nach dem Gefängnisse. Nur ein paar Worte konnte, er in aller Eile Tonietto von ihrer Krankheit sagen, ihm die Hand zum Abschied drücken, – und, ungestüm, ohne auch nur Zeit zu haben zu antworten, wurde er mit den Andern fortgerissen, auch von dem Letzten der Seinen grausam getrennt.

Maria blieb vierzehn Tage zu Bette. Ihre Brüder verließen das Zimmer nicht. Ihre Mutter kam, sie zu pflegen. Endlich, sobald sie so weit hergestellt war, um die Reise ertragen zu können, kehrten sie zusammen zur Heimath zurück.

Maria war nicht wieder zu erkennen. Niemand konnte sie ansehen, ohne das innigste Mitgefühl. Es war eine arme zarte Blume, die der rauhe Sturm geknickt, ein Bild des Kummers, ein rührendes Bild des Schmerzes. Nur langsam, nach und nach begann sie, sich zu erholen, seit die Eltern Tonietto’s den ersten Brief von ihm erhalten hatten. Ich erinnere mich noch wörtlich seines Inhaltes.

„Lieber Vater,“ so schrieb er, „der erste Gebrauch, den ich von meinen Händen mache, seit ihre Fesseln gelöst sind, ist, Euch diesen Brief zu schreiben. Wir sind glücklich hier bei der Reserve angekommen, in einer Stadt, die Besançon heißt. Man sagt, daß wir nicht lange hier bleiben werden. Ich bin schon ganz eingekleidet; Ihr würdet mich nicht wieder erkennen; am ganzen Körper haben wir die Nummer des Regiments und der Kompagnien; wir sind gezeichnet wie die Heerden zu Hause. Sobald wir eingekleidet waren, begann das Exerciren. Es scheint, hier thut man nichts Anderes von Sonnenaufgang bis zur Nacht. Unser Aller Hoffnung ist, daß es zum Kriege kommt; dann haben alle diese Quälereien ein Ende; und dann, waren wir einmal im Feuer, sind wir keine Rekruten mehr. Rekrut! das ist ein Schimpfwort, das sie uns den ganzen Tag zurufen. Seid also getrosten Muthes, liebe Eltern! Schreibt mir doch bald Nachrichten von der armen Maria. Ich habe viel gelitten, als sie mich die beiden ersten Tage begleitete.

„Ich hoffe, daß ihr Niemand das böse gedeutet hat, und ich bitte Euch, sie statt meiner zu umarmen; Ihr wißt, auch auf dies letzte Glück mußte ich verzichten. Grüßt mir freundlich ihre Brüder, ihre Mutter, meinen Bruder, und endlich unsern guten Schullehrer; ihm verdanke ich den großen Trost, daß ich Euch heute schreiben kann.

„Lebt wohl und bleibt mir gut. Euer Sohn Tonietto.“

Der zweite Brief war von Magdeburg datirt.

Unter Anderm schrieb er: „Ich war in der großen Schlacht bei Jena. Man hatte mir gesagt, daß das erste Feuer große Angst mache. Für mich, muß ich sagen, war es der beste Trost, den Gott mir schickte, seit ich Euer Haus verlassen. Seit diesem Tage sagt mir Keiner mehr; Rekrut! Ich bin sogar zu den Grenadieren einrangirt – “

Ein anderer Brief kam im nächsten Winter, ich weiß nicht mehr, aus welchem Theile Polens datirt; ein anderer Brief kam noch im Sommer desselben Jahres von Aranda am Duero in Spanien. Es waren immer Berichte von neuen Schlachten. Man sah, daß er an dem Handwerke Geschmack fand. Er war Korporal, dann Sergeant geworden; endlich hatte er das Kreuz erhalten.

So verflossen zwei Jahre. Eines Tages hielt ich, wie gewöhnlich, meine Schule; da trat ein Kind ein, sagte einem andern ein leises Wort, dieses sagte es seinem Nachbar, und in einem Augenblick machte die Nachricht die Runde durch die Schule; alle sprangen sie auf, ich konnte sie nicht zurückhalten, „Tonietto ist da!“ riefen sie, „Tonietto ist da!“

Wir liefen Alle hin. Ich fand Tonietto zwischen seinem Vater und Maria. Eine siegende, unendliche Wonne strahlte aus seinen dunkeln Augen, er sah wie verklärt vor Freude, vor Entzücken. Maria weinte und schluchzte wie ein Kind; sie konnte kein Wort sprechen. Ihre Brüder und Verwandten, die ganze Familie stand um sie herum.

Als er mich sah, stand er auf und reichte mir die Hände. Er erzählte mir, daß sein Regiment aus Spanien zur italienischen Armee bestimmt, durch Piemont marschire; er hatte drei Tage Urlaub erhalten, um seine Eltern zu besuchen, und – – er hatte zu viel sonst zu thun, als daß er mir mehr davon hätte sagen können.

Er nahm die Hand Maria’s und bedeckte sie mit Küssen, mit einer Gewandtheit und Unbefangenheit, die er wahrlich bei seinem Abmarsche nicht gehabt. Ich begann zu fürchten, daß er sich geändert haben möchte. Aber ich sah ihn den andern und die folgenden Tage; ich plauderte weitläufig mit ihm; er war noch immer derselbe brave und gute Junge. Vielleicht war freilich seine Liebe nicht mehr ganz dieselbe wie früher; aber so war es noch besser. Der männliche Charakter, den ihm seine neue Lebensweise gegeben, hatte seiner Zärtlichkeit eine andere Form eingeprägt. Er verzehrte sich nicht mehr in Lamentationen und Seufzern, er strebte energisch nach seinem Ziel; er gab sich ernstlich Rechenschaft über seine Hoffnungen und faßte bestimmte Pläne.

Sehr bald hoffte er, Dank seiner Kenntnisse, Offizier zu werden; dann, sagte er, sei nichts leichter, als den Heirathsconsens zu erlangen; verweigere man ihm den, so könne er den Dienst verlassen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Markedenterin
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_247.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)