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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

gewann so lebhafte Theilnahme, daß die bedeutendsten Maler der folgenden Jahrhunderte die Zeichnungen zu den Glasgemälden entwarfen, welche der eigentliche Glaser mechanisch nachzeichnete, malte und einbrannte. Zugleich war diese Kunst aus den Händen der Geistlichen in die der Bürger gekommen, welche sie handwerksmäßig betrieben, so daß sie herabkam und gar verloren ging. Erst in neuester Zeit hat sie der Nürnbürger Frank 1827 wieder entdeckt, und der Breslauer Höcker auf alte Weise die Fenstergemälde des marienburger Schlosses wieder hergestellt.

So viel verbraucht auch Glaswaaren, buntes Glas und vielleicht auch seit 1250 gläserne Spiegel waren, so blieben die Wohnungen doch ohne Verglasung. Denn im 14. und 15. Jahrhundert wurde es als Merkwürdigkeit erwähnt, daß in Basel einige Häuser Glasfenster statt geölten Papiers oder Horns hätten; im 15. Jahrhundert hatten die Könige von Frankreich nur bunte Glasfenster, denn erst gegen Ende des 14. Jahrhunderts lernte man weißes Glas verfertigen und bildeten sich die ersten Glaserinnungen. Das Rathhaus in Zürich hatte noch im Jahre 1402 Tuchfenster, die Schlösser des Adels in England Fenster aus Weidengitter oder feiner Eichenrinde; im 16. Jahrhundert hatte in ganz England nur das königliche Schloß Glasfenster, die übrigen Häuser Flechtwerk statt Glas; im Anfang des 17. Jahrhunderts kannte man in Frankreich fast nur papierne Vorfenster, und 1750 besaßen Paläste zu Mailand und Florenz nur Papierfenster, und Glasflaschen waren im 15. Jahrhundert noch eine Seltenheit, während jetzt z. B. die Fabrik von Breffet in England wöchentlich 60,000 liefert, und die Fabrik des Franzosen de Vicolaine jährlich 3 Millionen. Die erste Glashütte erhielt England erst 1557, Schweden 1640, Portugal 1750. Im Mittelalter hatte sich Venedig der Glasfabrikation bemächtigt, indem es Spiegel und Glasperlen verfertigte, von denen die letztern noch heute in Ostafrika als Münze gelten. Venetianische Glasfabrikanten erhielten Adelsrang, und der Staat verbot schon 1275 die Ausfuhr des Glassandes. Auf der Insel Murano lagen diese Glashütten, denen Venedig seinen Reichthum und seine Macht neben der Weberei und dem Handel verdankte. Gegenwärtig hat man nicht nur Fensterglas machen lernen, sondern man spinnt auch ein Glasstück in einer Minute zu einem Faden von 90,000 Fuß aus, den man wie Seide verweben und Kleider daraus verfertigen kann. Zuerst machte man kleine grünlich-runde Fensterscheiben, später tafelförmige. Eine einzige englische Fabrik macht jährlich 21 Millionen Q.-Fuß Tafelgläser, Belgien 32 Millionen Q.-Fuß, die 14 Millionen Franks Werth haben. Die erste Spiegelfabrik ward in Deutschland 1697 zu Neustadt an der Dosse, in Frankreich 1665 bei Cherbourg errichtet, und kurz darauf lernte man die Spiegel gießen, so daß eine französische Fabrik Spiegel von 150 Zoll Höhe und 100 Zoll Breite, England einen solchen von 18 Fuß 2 Zoll Höhe und 10 Fuß Breite verfertigte, der 20 Centner wog.

Seit man das Glas rein und in großer Menge darzustellen wußte, ist es Gemeingut geworden, so daß auch der Aermste des Glasfensters nicht entbehrt, welches dem Licht freien Zutritt und eine Aussicht gewährt, dagegen Kälte und Wind abhält. Wie trübselig mag es sich in den Schlössern der deutschen Kaiser gewohnt haben, deren offene Fensteröffnungen man mit Tuch oder Läden schloß! Wie qualvoll mag dem Kranken eine lange Krankheit geworden sein, da er sich abgeschlossen von Licht und Sonne halten mußte! Da konnte er sich nicht erquicken am Anblick des blauen Himmels und der grünen Bäume, da konnte er nicht nach banger Nacht den jungen Tag und das rosige Morgenroth begrüßen! Gewiß, wir haben dem Glase viel Annehmlichkeit, Bequemlichkeit und Wohnlichkeit zu danken.

Aber die Chemie ist ihm noch größeren Tribut schuldig. Denn das Glas, welches große Hitze aushält, den Säuren widersteht und durchsichtig ist, bleibt das vorzugsweise geeignete Mittel für chemische Experimente, die Medicinflasche das beste Gefäß für die Arznei. Ohne gläserne Röhren und Retorten wäre die Chemie auf niedriger Stufe stehen geblieben, so daß auch hier das unscheinbare billige Glas von der größten Wichtigkeit wird. Nicht minder groß ist die Bedeutung des Glases für die riesigen Fortschritte der übrigen Naturwissenschaften, welche mit der Verbesserung der Glasbereitung Hand in Hand gingen, weil das Prisma und das Fintglas die Mittel und Werkzeuge zu tiefern Forschungen hergaben.

Man kann mit Recht behaupten, daß die Welt für unsere Vorstellung von derselben eine ganz andere geworden ist, seit man in dem Glas das Werkzeug gefunden hatte, durch welches man den ungreifbaren und unwägbaren Lichtstrahl erfassen, theilen, behandeln, brechen, zurückwerfen, seine Wärme, Farbe und Natur, die Schnelligkeit seiner Bewegung berechnen, ungeheure Fernen dicht vor’s Auge und unendlich Kleines bis zu klarster Sichtbarkeit vergrößern konnte. Das Licht war den Griechen und Römern ein Geheimniß, von dessen Wundern sie keine Ahnung hatten, denn erst die Araber bemerkten etwa tausend Jahre nach Christo die Lichtbrechung und suchten den Bau des Auges zu begreifen. Drei Jahrhunderte später verfertigte man in Italien die ersten Brillen, und sechs Jahrhunderte später in Holland das erste Fernrohr. Von da ab begannen die gewaltigen Fortschritte in der Erkenntniß der Welt, die jedesmal von der Verbesserung der Glasfabriken und optischen Instrumente ausgingen. Da verdankten Galilei und Kepler die günstigen Erfolge ihrer Forschungen dem von ihnen verbesserten Fernrohr, da erfand Kircher 1646 die Zauberlaterne, Porta 1650 die Camera obscura, verfertigte Gregory 1663 Spiegelteleskopen, lehrte Newton die Natur der Farben, berechnete Römer 1675 die Geschwindigkeit des Lichtes, erfand Lieberkühn 1730 das Sonnenmikroskop, Dolland 1755 das achromatische Fernrohr, entdeckte Malus 1808 die Polarisation des Lichtes, Daguerre 1838 die Lichtbilder, erwarben sich Herschel, Fraunhofer u. A. durch ihre Teleskopen unsterbliche Namen. Jene Leuchtthürme auf Klippen und an Häfen bedienen sich der Spiegel, um die Lichtstrahlen meilenweit hinaus auf’s Meer zu werfen, die Wunder des Himmels, die Beschaffenheit von Sonne und Mond, die Erklärung vieler wunderbaren Erscheinungen über und auf unserer Erde, die Luftspiegelungen, Regenbogen, der wunderbare Bau des menschlichen Auges sind uns erst durch Hülfe der gläsernen Prismen, Spiegel und Linsen begreiflich geworden; die Urformen der Dinge, die Steinarten, der Bau der Baumrinde und Baumblätter, das Zellgewebe der Pflanzen, des thierischen und menschlichen Körpers, und damit der Grund vieler Krankheiten wird durch das Mikroskop erkennbar, ganze Gebirge und die Bodenbedeckung ungeheurer Länderstriche hat sich unter dem Mikroskop in Thierleichen und Panzer und dem Auge unsichtbare Thierchen verwandelt, in den Bau der kleinen Geschöpfe, in ihr Entstehen und Verwandeln hat uns das Mikroskop die Einsicht eröffnet, wogegen das Teleskop Lichtnebel in Sternenwelten auflöste, und der Farbenmesser die Entfernung und die Natur der Sterne aus dem aufgefangenen Lichtstrahl kennen lehrte. Wer hat endlich nicht von den Wundern des Glaspalastes zu Sydenham und der Industriepaläste gehört? Was sind gegen diese Bauwerke aus Glas und Eisen mit ihren malerisch geordneten Waaren und Fabrikaten, mit ihren Kunst- und Alterthumssälen die sieben Wunder des Alterthums? Steigt der Taucher nicht in der Glasglocke hinab in die Meerestiefe? Entzückt uns nicht die Glasharmonika durch ihre weichen, seelen- und klangvollen Töne? Sind nicht unsere Barometer und Thermometer von Glas? Und welche unermeßlichen Vortheile bringen diese dem Naturforscher wie dem Oekonomen, dem Physiker wie dem Chemiker, dem Fabrikanten wie dem Kranken?

Wohin wir blicken, überall finden wir die sprechendsten Beweise von der weltgeschichtlichen Bedeutung des Glases, auf dessen Benutzung unser bürgerliches, technisches und wissenschaftliches Leben zum großen Theil gegründet ist. Am Glase erkennen wir recht augenscheinlich die Eigenthümlichkeiten der verschiedenen Zeitperioden. Dem Alterthum diente das Glas nur zum Luxus, dem Mittelalter zum Schmuck der Kirchen, die Neuzeit macht es zum Gemeingut, schenkte uns die Wohlthat verglaster Fenster, machte es zum Werkzeug der tiefsten wissenschaftlichen Forschungen und ein Glaspalast zum Triumph der Baukunst wie der Industrie.

Fr. K. 

Für die Abgebrannten in Eibenstock ging ferner ein:

Hr. Adolf Marzann in Hohenelbe 1 Thlr. – Von einem Lesezirkel der Gartenlaube in Rudolstadt 2 Thlr. 10 Ngr. – Hr. Superintendent Stern in Marggrabowa in Ostpreußen 21 Ngr. 4 Pf. – Hg. in Connewitz 1 Thlr. – B., Poststempel Dessau 1 Thlr. – Frau Emilie A. aus Bernburg 1 Thlr. – Aus Gerstungen, Ertrag einer Einsammlung bei den dortigen Honoratioren 2 Thlr. 9 Ngr. – J. K. in Eilenbürg 1 Thlr.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_244.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)