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und Böhmen verdankt einen seiner blühendsten Industriezweige dem Quarzsande. Denn aus jenem blendendweißen Sande wird unter Zusetzung einiger Kali’s und färbender oder entfärbender Mineralien das Glas gewonnen, welches für das bürgerliche Leben nicht minder wichtig geworden ist als für Kunst und Wissenschaft. Das Glas hat unsern Wohnungen die Behaglichkeit der Beleuchtung verliehen, mit Glasmosaiks und Glasgemälden schmückte das schöpferische Mittelalter seine dämmerigen Dome, mit Hülfe des Glases studirt der Physiker den Lichtstrahl, mit Glasröhren, Retorten und Näpfchen experimentirt der Chemiker, mit Spiegeln schmückt der Tischler das Zimmer, das Glas im Fernrohr eröffnet dem Astronomen den Blick in die Unendlichkeit des Sternenhimmels, das Glas im Mikroskop erschließt dem Naturforscher die Unendlichkeit des unsichtbar Kleinen, mit dem Fernrohr in der Hand leitet der Feldherr die Schlacht, durch’s Fernrohr schaut der Lootse nach gefährdeten Schiffen, dem Glas der Brille verdankt der Augenschwache wohlthuende Hülfe, dem Glase entlockt der Mensch die zauberhaften Lichtspiele der Panoramen, der Zauberlaterne, des Kaleidoskops und anderer optischer Instrumente. Unsere ganze Gegenwart mit ihren tiefeingehenden Wissenschaften, mit ihren farbenblitzenden Kronleuchtern im Ballsaale, mit ihren Sternwarten und photographischen Ateliers, mit ihren fensterreichen Industriepalästen und Bijouteriehallen, mit ihren Optikern und Chemikern; ein Herschel und Ehrenberg, ein Liebig und Arago, ein Humboldt und Newton, ein Fraunhofer und Schwerd, ein Young und Bouillet, jene glänzenden Entdeckungen am Himmel und in den Stäubchen der Erde, würden wir uns ihrer erfreuen und rühmen können, wenn das Glas aus der Reihe der Dinge gestrichen würde, wenn der Quarzsand nicht in den Dienst des Menschen getreten wäre? Gegenüber den Verdächtigungen, mit welchen die Beschäftigung mit der Natur gegenwärtig verfolgt wird, beweist uns der Quarzkiesel, daß sich der menschliche Geist, Gesittigung, Bildung, Kunst und Wissenschaft an der Benutzung der Materie entwickelt. Das Unscheinbarste wird oft das Bedeutsamste und das Verachtetste das Kostbarste. Sagt doch schon Hiob: „Nicht kann man der Weisheit gleichstellen Gold und Glas,“ und Kaiser Nero rechnete seine Glasvase zu den Kostbarkeiten seines Palastes, da sie eine halbe Million Thaler werth war; ein englischer Herzog des 15. Jahrhunderts nahm, wenn er sein Schloß verließ, jedesmal die Fenster mit, weil er diesen kostbaren Schatz nur in seiner Nähe sicher glaubte.

Verfolgen wir die Geschichte des Glasverbrauchs! Irrthümlich wird von der Sage behauptet, daß phönizische Seefahrer durch Zufall beim Kochen ihres Mittagsmahles am sandigen Strande das Glasschmelzen entdeckt hätten. Denn da das Schmelzen des Quarzsandes eine sehr große Hitze erfordert, so reicht ein gewöhnliches Kochfeuer natürlich nicht hin, um Sand in Glas zu verwandeln. Dagegen sind in den Todtengewölben der Egypter, die vor etwa 4000 Jahren mit Gemälden versehen wurden, bereits Glasbläser dargestellt, die an der Pfeife eine Glasflasche ausblasen, und wenn wir dem Worte „Glas“ selbst nachgehen, so werden wir nach dem uralten Kulturlande Indien geführt, von woher das Wort stammt und fast durch die ganze Welt verbreitet ist, weil mit der Waare auch deren Name von Volk zu Volk ging. Unser deutsches Wort Glas, welches offenbar mit Glanz, Glut, Glast, glatt, klar u. s. w. verwandt ist, hat seinen Stamm in dem Sanskritworte kelasa, welches glänzend, leuchtend bedeutet, womit die Hindus den Krystall und Diamant bezeichneten. Die Fabrikanten des Alterthums verstanden aber weder reines Spiegel- noch Fensterglas zu machen, sondern beschränkten sich auf Schmucksachen, Korallen, Perlen und Trinkgefäße aus farbigem Glase. Daher fehlte den Palästen der Pharaonen wie der römischen Kaiser, den Prunkgemächern des Darius wie Alexander’s das Fensterglas, welches man durch Vorhänge, Jalousien oder Hornscheibchen ersetzte. Die Tempel und Königsschlösser des Alterthums entbehren daher jener traulichen Wohnlichkeit, welche das Glasfenster dem Hause verleiht. Wie luxuriös würden dem Welteroberer Cyrus oder Cäsar unsere Bürgerhäuser oder unsere Kaufhallen mit den mächtigen Spiegelscheiben erscheinen, denn selbst unter der späteren Kaiserzeit der Römer waren gläserne Schüsseln und Glasbecher kostspieliger Luxus, wie etwa zu unsern Zeiten ein Gold- oder Silberservis. Nicht einmal Spiegel verfertigte man aus Glas, sondern aus Silber oder polirtem Stahl, und des Archimedes berühmte Brennspiegel, mit denen er die römischen Schiffe angezündet haben soll, waren nur blanke Metallplatten von sehr geringer Brennweite. Nur die Unwissenheit der Römer vermochte die unglaubliche Fabel zu erfinden, daß man mit solchen Metallspiegeln von einer Festungsmauer aus die unten im Hafen liegenden Schiffe anzünden könne.

Obschon die egyptischen Glashütten Gefäße, Teller, Lampen, Schalen, Becher und Flaschen fabricirten, obschon die alten Assyrer Glaswaaren verfertigten und in Sidon und Tyrus bedeutende Glasfabriken arbeiteten, so blieb doch bei den Griechen das Glas bis zu Alexander’s Zeit unbekannt, und im römischen Reiche fanden Glaswaaren erst unter den Kaisern Eingang, zu deren Zeit man zu Rom Glasfabriken errichtete, in denen grünliches Glas geblasen, gedreht, gepreßt und zu allerlei Luxusartikeln verarbeitet wurde. Noch besser gelangen buntfarbige Glasflüsse, die man zu Mosaikarbeiten, Perlen und Edelsteinen benutzte, und unter Konstantin wurden sogar die Glasarbeiter abgabenfrei. Durch die Römer lernten Gallier und Deutsche Glaswaaren kennen und hielten den bunten Tand der Perlen für kostbare Güter, wie es die Bewohner Amerika’s und der Südseeinseln zur Zeit ihrer Entdeckung ja auch thaten. Der römische Luxus verwendete das bunte Glas aber nicht blos dazu, Badezimmer ganz mit marmorartigen Glastafeln auszulegen und sogar die Wände mit ihnen zu bedecken, er lernte nicht nur doppelfarbige Schalen und Becher mit aufgeschmolzenen Figuren verzieren, sondern schloß auch das Fenster des Badezimmers mit mattweißem gepreßtem Fensterglas. Um dieselbe Zeit, etwa 2000 Jahre vor Christo, hatten auch die Chinesen bereits große Fertigkeit in der Verfertigung des Glases, aus welchem sie Spiegel, Spielzeug, Glocken, Trompeten, natürlich gefärbte Trauben mit seidenen Blättern u. dergl. machten, aber ihre Fenster mit ölgetränktem Papier schlossen.

Erst das Christenthum bringt einen Fortschritt in die Glasbenutzung und damit in das Kulturleben der Völker. Der Zweck der Kirche, welche die Gemeinde von der Welt abschließen sollte, machte es nothwendig, daß man die kleinen Fenster schloß und zugleich das Innere der Bedeutung des Gebäudes angemessen schmückte. In der Regel hing man vor die Fenster schön gestickte Teppiche, wie es noch einige Jahrhunderte lang fast allgemeine Sitte blieb, in großen Kirchen dagegen setzte man bunte Glasstückchen so zusammen, daß sie ein Teppichmuster darstellten, und schloß mit dieser Glastafel die Fensteröffnung. Auf diese Weise floß ein bunter Lichtschein in das Innere der Pfeiler- und Bogenhallen und füllte den dämmerigen Raum mit wunderbaren Lichtspielen. Schon der Frankenkönig Gildebert (um 580) schmückte eine Kirche mit bunten Glasfenstern, und zu derselben Zeit besaß die Sophienkirche zu Byzanz, der Dom zu Ravenna, Rom u. s. w. solche Zierde; Wilfried holte für seine Peterskirche in York 670 aus Frankreich bunte Glasfenster, Leo III. versah mit ihnen den Lateran (um 800), doch größere Räume bedeckte man noch nach altrömischer Weise mit Horn oder Marienglas. Doch finden wir schon im 7. Jahrhundert in deutschen Klöstern Glasmacher, welche bunte Perlen und Glasstückchen verfertigten. Diese bunten Glasstückchen brachten aber die kunstsinnigen Mönche auf den Gedanken, aus ihnen Gemälde zusammenzusetzen, wie die Römer mit bunten Steinen den Fußboden belegten und sie zu bildlichen Darstellungen zusammenpaßten. Damit war der Anfang der Glasmalerei erfunden; denn nun strahlten in schillernden Farben die Personen des Alten und Neuen Testaments von den Wänden, Kuppeln und Nischen der alten Kirchen zu Rom, Venedig, Ravenna, Pavia, Aachen u. s. w., und Theodorich wie Karl der Große ließen in ihren Palästen große Scenen aus der Weltgeschichte, die Thaten ihrer Vorfahren und ihren eigenen Hof in solchen Bildern aus bunten Glasstückchen zusammensetzen. Wie glitzerte und schimmerte es da in der alten Markuskirche zu Venedig, im Königssaal zu Pavia, in dem Reichssaal zu Aachen und Ingelheim! Noch steht ja das Marienbild in der Giebelnische des marienburger Ordenshauses, dessen bunte Außenseite aus lauter Glasstiften besteht. Nun fing man an, auf ähnliche Weise auch die Kirchenfenster mit solchen bunten Glasbildern zu schmücken, worin das Benedictinerkloster Tegernsee in Baiern etwa um’s Jahr 1000 den Anfang machte, indem es den Fensterraum mit Arabesken oder teppigartigen Mustern oder anderem Zierrath füllte, wie er dem Baustile angemessen war. In Klostergängen wurde auf solche Weise die heilige Schrift in einer langen Reihe von Figuren dargestellt, bis man etwa seit der Mitte des 14. Jahrhunderts auf Glas malen und diese Farben einbrennen lernte, womit die eigentliche Glasmalerei erfunden war. Diese

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_243.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)