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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Soll ich warten, Herr?“

„Nein!“

Der Fiaker lenkte um, und fuhr nach der Stadt zurück.


VIII.
Das Rendevous.

Der Abend war so finster, daß man die Vorübergehenden nicht sah, sondern nur ihre Schritte hörte. Die Alleen, die sich in verschiedenen Richtungen nach der Vorstadt hinziehen, waren still; die Flammen der spärlich angebrachten Gaslaternen verbreiteten in der nebelschweren Luft nur einen kleinen Lichtkreis. Franz kannte zwar die Gegend, aber bei der dichten Finsterniß wußte er nicht, wo die Kirche lag. Da erklangen plötzlich zwei Schläge durch die stille Luft: die Glocke von Sanct Georg schlug halb acht. Der arme Banquier bebte zusammen, als ob der schwere Hammer der Uhr seine Brust getroffen hätte. Schaudernd hüllte er sich in den kurzen Pelzmantel und schlug die Richtung ein, die ihm die Uhr bezeichnet hatte. Nach fünf Minuten stand er an dem Portale der Kirche.

Ort und Zeit paßten vortrefflich zu einem Stelldichein, das kein Ohr belauschen durfte. Die nächste Umgebung des stillen Gotteshauses war wie ausgestorben, selbst das Geräusch der Stadt konnte man nicht mehr vernehmen. Eine Frau mußte gewaltige Beweggründe haben, um sich hierher zu begeben, und Franz fragte sich unwillkürlich, warum man diesen unheimlichen und unbequemen Ort gewählt habe. Ihm blieb nicht viel Zeit zum Nachdenken, denn eine Gestalt huschte an ihm vorüber und verschwand wie ein Gespenst hinter dem nächsten Strebepfeiler der Kirche. Franz drückte sich fest an den Baum, der ihm zur Seite stand.

Zwei Personen befanden sich also auf dem Platze. Sollte Henriette die dritte sein?

Fünf Minuten der gräßlichsten Qual verflossen dem Harrenden, da ließ sich hinter ihm das leise Geräusch von Schritten vernehmen. Die Person, die sie verursachte, war nicht zu erkennen, aber Franz, dessen Kopf wie im Fieber brannte, hielt sie für die leichten Schritte einer Frau. Er hatte sich getäuscht: gleich darauf erschien die Gestalt eines Mannes, die vor dem Portale auf und abzugehen begann. Wer war nun die erste Person gewesen? Der Banquier wartete mit angehaltenem Athem auf die Entwickelung der Dinge.

„Großer Gott,“ dachte er, „ist es so weit gekommen, daß ich bei Nacht und Nebel die Vorstadt besuchen muß, um meine Frau auf dem Verbrechen der Treulosigkeit zu ertappen?“

Unwillkürlich entquoll seiner Brust ein lauter Seufzer. Er erschrak – er hatte seine Anwesenheit verrathen, denn der Mann blieb stehen. Nach zwei Secunden schritt er auf den Baum zu – Soltau, der seiner Sinne kaum noch mächtig war, trat ihm entgegen; er hatte die Vorsicht vergessen, die er beobachten wollte.

„Es ist eine unangenehme Ueberraschung, wenn man statt der Frau den Mann findet!“ sagte der Banquier mit bebender Stimme.

„Und nicht wahr, mein Herr, Sie suchen eine Frau?“

Der Mann schlug schweigend seinen Mantel um die Schultern, und wollte sich entfernen.

„O, mein Freund, so entkommt man mir nicht; ich will wissen, wer die zweite Person bei diesem Rendezvous ist!“

Der Unbekannte bemühte sich, sein Gesicht zu verbergen; Franz aber riß ihm den Mantel ab, packte mit Riesenkraft seine beiden Schultern, und sah ihm in das Gesicht. Die vor Schrecken entstellten Züge des Advokaten Eberhardi grins’ten ihn an.

„Herr Soltau,“ stammelte er, „vergessen Sie Ihren und meinen Stand nicht!“

„Der Advokat!“ murmelte Franz betroffen, indem er ihn fahren ließ. „Gehen Sie, ich weiß genug!“

Eberhardi nahm ruhig seinen Mantel vom Boden auf, und warf ihn um die Schultern.

„Mein Herr,“ sagte er, „mir scheint, Madame Soltau hat Sie abgeschickt, um das zu erfahren, was ich ihr selbst mitzutheilen versprochen habe. Der Gatte hat das Recht, die Geheimnisse seiner Frau zu kennen!“ fügte er höhnend hinzu. „Die schöne Henriette hat eine große Unvorsichtigkeit begangen, wenn sie indiskret gewesen ist; aber ich beklage sie, wenn man sie ertappt hat.“

„Denken Sie besser von meiner Frau, Herr Advokat – sie hat mir Ihre Verfolgungen mitgetheilt!“ flüsterte Franz, der immer noch die Ehre seiner Gattin nicht völlig preisgeben wollte.

„Desto besser!“ lachte höhnend Eberhardi. „Also hat man mich vorsätzlich betrogen. Diese Perfidie will ich mit der größten Offenherzigkeit bezahlen. Herr Soltau, Sie haben mit Hülfe Ihres Vermögens meinen Bruder ruinirt – ich richte Sie mit meiner Wissenschaft zu Grunde. Mein Bruder hat in einer Gesellschaft die Behauptung ausgesprochen, Ihre Frau erfreue sich der geheimen Protektion eines mächtigen Mannes – wohlan, ich bin im Stande, Ihnen juristische Beweise zu liefern.“

„Mein Herr, mein Herr!“ stammelte Franz, den die Wendung der Dinge fast zu Boden warf.

„Hätte die schöne, bewunderte Henriette gewußt, daß ich ihr sagen wollte: Madame Soltau, mir ist jetzt die Quelle bekannt, aus der die Kapitalien Ihres Mannes geflossen, sie würde sicher keinen Stellvertreter geschickt haben.“

„Aus welchem Grunde luden Sie meine Frau zu dieser Unterredung ein?“

„Ich habe mir vorgenommen, offen zu sein, und ich werde es sein. Seit der Geschichte mit dem Ringe habe ich die reizende Madame Soltau näher kennen gelernt, die, als sie vor ihrer Verheiratung noch bei ihrer Tante war, meine Aufmerksamkeit erregt hatte. Um diese Zeit führte und gewann ich für die Tante einen Prozeß. Es handelte sich um fünfmalhunderttausend Mark, um die Summe, mit der Sie Ihr Geschäft gründeten. Der Prozeß war gegen die dänische Regierung gerichtet, die mit dem Vermögen eines flüchtigen Verbrechers auch das Vermögen Henriette’s confiscirt hatte. Wenn ich sagte, ich gewann den Prozeß, so ist das nicht ganz richtig, Herr Soltau, denn der raffinirteste Jurist würde das nicht ausgerichtet haben, was eine Reise Henriette’s und der Tante nach Kopenhagen ausrichtete. Das Geld wurde zurückgegeben, ohne daß man den Prozeß beendete.“

„In welcher Beziehung stand der Verbrecher zu Henriette?“

„Er war –“

Der Advokat konnte nicht fortfahren, denn in diesem Augenblicke erfaßte ihn eine Hand so kräftig beim Halse, daß ihm die Worte in der Kehle stecken blieben. Die Gestalt eines, in einen Pelz gehüllten Mannes stand vor dem bestürzten Banquier. Der würdige Rechtsanwalt krümmte sich wie ein Wurm an der Eisenfaust dieses Mannes, der sich ruhig, als ob ihn durchaus Nichts behinderte, zu Soltau wandte.

„Mein Herr,“ sagte er, „das, was Sie hier erleben, ist eine Fortsetzung der Infamie, die der Rechtsanwalt – ich will dieses Prädicat noch einmal schänden, indem ich es diesem ausgefeimten Schurken beilege – die der Rechtsanwalt mit dem Diamantringe begonnen hat. Ihre Gattin und Ihre Schwiegermutter sind nie in Kopenhagen gewesen. Daß der Prozeß um Henriette’s Vermögen so rasch gewonnen wurde, ist einzig und allein nur mein Werk. Dieser Bursche – er schüttelte den Advokaten, daß er laut röchelte – dieser Bursche würde ihn im Leben nicht gewonnen haben. Ihre Gattin, Herr Soltau, ist rein wie der Schnee, der in diesem Augenblicke vom Himmel fällt.“

„Aber mein Herr, was für ein Interesse leitet Sie, daß Sie sich zum Protector meiner Frau aufwerfen?“ sagte mit fester Stimme der Banquier, der um jeden Preis Aufklärung erlangen wollte.

„Das Interesse für Sie, Herr Soltau.“

„Für mich? Für mich?“

Der Fremde streckte die rechte Hand, welche den Advokaten hielt, so weit als möglich aus, augenscheinlich deshalb, daß der Geknebelte die Worte nicht verstehen sollte, die er dem Banquier zuflüsterte: „Sie haben die Lebenspolice Edmund Kolbert’s gekauft – Edmund Kolbert ist ein rechtlicher Mann, er duldet nicht, daß Sie für diese Gefälligkeit Undank ernten. Gehen Sie nach Hause, mein Herr, kränken Sie Ihre Gattin nicht durch ungerechten Verdacht, und fürchten Sie diesen Advokaten nicht mehr, der von jetzt an schweigen und zittern wird. Nehmen Sie den Ring zurück, damit er nicht zum zweiten Male gemißbraucht werde. Ich forderte ihn von Ihnen – jetzt bedarf ich seiner nicht mehr, da ich den Advokaten in der Hand halte.“

„Mein Herr, wir müssen uns näher kennen lernen – ich muß mit Ihnen sprechen!“ rief Franz.

„Fordern Sie das nicht, Herr Soltau!“ antwortete schmerzlich die bebende Stimme Kolbert’s. „Sie untergraben den Grund,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_235.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)