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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

VII.
Der Auferstandene.

Ehe Franz am andern Morgen in das Comptoir ging, betrat er das Zimmer seiner Frau. Es war leer. Leise öffnete er die Thür ihres Kabinets – Henriette lag noch in einem sanften Schlafe. Ihre zarten Wangen waren leicht geröthet, und ein weißes Häubchen suchte umsonst die Locken zu verbergen, die auf die Schultern herabquollen. Durch die rosigen Lippen schimmerten die weißen Zähne wie Korallen. Ihr leises Athmen war kaum zu vernehmen.

„Die Schöpfung lügt nicht!“ dachte der entzückte Banquier. „Eines solchen Schlummers kann sich nur die Tugend erfreuen.“

Unbemerkt zog er sich zurück. Das Gewitter, das gestern den Horizont seines ehelichen Lebens getrübt, hatte seine Liebe erfrischt, wie der Regen die stets der Sonne ausgesetzten Blumen. Und man kann Soltau’s Liebe mit einer solchen Blume vergleichen, denn die Sonne des Glücks hatte sie stets erwärmt, sie bedurfte der Erfrischung eines Gewitterregens. Wie anders betrachtete er heute die Dinge! Er hätte die armen Menschen bedauern mögen, die ihn um seinen Schatz beneideten. Leichten Herzens ging er an die Arbeit. Gegen zwölf Uhr trat Ludwig Lambert in sein Kabinet und gab ihm einen Brief.

„Wer brachte ihn?“

„Ein alter Mann; er wartet im Comptoir auf Antwort.“

Der Banquier erbrach den Brief und las:

„Mein Herr!

„Ein Elender hat es gewagt, die Ehre Ihrer Gattin anzutasten, indem er Ihnen einen Ring überreichte, der einen Schein von Schuld auf sie werfen mußte. Der Zufall hat mich die Fäden des Netzes erkennen lassen, mit dem der Advokat Sie umstrickt. Diese Nacht auf dem Balle kam ich zu spät, um den ersten Angriff auf Ihre Ruhe zu verhindern, aber noch zeitig genug, um Sie den Feind würdigen zu lehren. Sie sehen, ich bin in ein Geheimniß eingeweiht, das unter den wenigen Personen bleiben muß, die es kennen. Der Advokat muß unschädlich gemacht werden, und dies kann nur durch mich geschehen; wollten Sie es unternehmen, Sie würden Ihre Ehre und die Ihrer Gattin auf das Spiel setzen. Der Ring, den er Ihnen gab, ist falsch und die Steine sind unecht. Fragen Sie bei dem Juwelier nach, der den echten und den unechten gefertigt hat. Ich bitte, mir durch Ueberbringer dieses Briefs den falschen Ring senden zu wollen, er soll mir als Waffe dienen, mit dem ich den Advokaten zu züchtigen gedenke. Sollten Sie Anstand nehmen, ihn mir anzuvertrauen, so betrachten Sie die Summe als Kaution, von deren Zinsen Sie Fräulein Sophie Saller die Rente zahlen. Uebrigens forschen Sie nicht weiter nach meiner Person, Sie könnten sonst in den Verdacht gerathen, den Todtenschein eines Lebenden erschlichen zu haben, um seine Lebenspolice zu verwerthen. Es liegt also in Ihrem Interesse, mich durch Ihre Indiscretion und Neugierde nicht zum Leben zu erwecken. Vergessen Sie nicht, daß der Advokat der Bruder des Kaufmanns ist, den Sie vor einigen Jahren ruinirt haben, weil er Ihre Gattin verleumdete. Der Bursche will sich an Ihnen rächen; sein Plan ist so schlau angelegt, daß er endlich nicht nur die Ehre Ihrer unschuldigen, liebenswürdigen Gattin brandmarken, sondern auch den oben ausgesprochenen Verdacht wegen der Lebenspolice auf Sie wälzen und Sie verderben muß. Nur ein Todter kann Ihr Schützer und Ihr Retter sein.

Verschonen Sie meinen Boten mit Fragen, und übersenden Sie den Ring.

Edmund Kolbert.“

     P. S.

„Der Sicherheit wegen verbrennen Sie diesen Brief, wenn Sie ihn gelesen haben.“

Wir unternehmen es nicht, die Bestürzung des armen Banquiers zu beschreiben. Er müßte verblendet gewesen sein, hätte er nicht einsehen wollen, daß hier ein großes, wichtiges Geheimniß obwaltete, in das man ihn wider seinen Willen und selbst unbewußt hineingezogen hatte. Die Angelegenheit mit der Lebenspolice war weder abzuleugnen noch rückgängig zu machen, und wer bürgte ihm dafür, daß der Advokat nicht auf der Spur sei, die zur Entdeckung dieses Geheimnisses führte? Durfte er es wagen, ohne seine Firma zu beflecken, die Sache zur Sprache zu bringen? Sollte er Anlaß zu einer Untersuchung geben, die ihn compromittiren mußte? Oder sollte er voreilig die Plane eines Unbekannten durchkreuzen, der sich später dafür rächen würde? – Der schwarze Ballgast konnte demnach kein anderer gewesen sein, als Edmund Kolbert, und Miß Belling und Sophie Saller waren eine und dieselbe Person. Franz beschloß, dem Unbekannten den Ring zu senden und ihm zu überlassen, den Advokaten, den er allen Grund zu fürchten hatte, unschädlich zu machen.

In dem Comptoir stand der alte Mann, der Bote des Briefs. Er war sehr anständig gekleidet und hatte ernste, ehrwürdige Züge.

„Ich bitte, mein Herr, nehmen Sie einen Augenblick Platz!“ sagte Soltau, indem er an ihm vorüberging.

Der Greis verbeugte sich und nahm den Stuhl, den ihm Lambert gab.

Henriette hatte mit Ungeduld auf ihren Mann gewartet. Sie war ein wenig blaß nach der Ballnacht, aber diese Blässe gab ihrer Schönheit einen wunderbaren Reiz. Franz küßte mit einer unbeschreiblichen Seligkeit seine Gattin, die durch den Brief von allem Verdachte gereinigt war. Die neu entstandenen Verwickelungen galten ihm Nichts gegen das Glück, das er in der Ueberzeugung fand: Henriette’s Liebe hat sich nicht geändert. Beide liebten sich einander zu rein, als daß der zugleich grausame und wohlthätige Eindruck, den die Scene in der verflossenen Nacht ausgeübt, nicht eine Spur in ihrer Seele zurückgelassen hätte, die Jeder mit gleichem Eifer zu verwischen strebte. Sie wetteiferten in der gegenseitigen Annäherung.

„Mein Kind,“ begann er mit einer Zärtlichkeit, die nicht ganz frei von Affectation war, „ich muß Dich an die unglücklichste Stunde unsers gemeinschaftlichen Lebens erinnern.“

„Warum?“

„Man fordert den zweiten, den unechten Ring von mir.“

„O, ich wußte es Wohl, daß er falsch war. Sende ihn zurück, Franz; mich peinigt ein drückendes Gefühl, so lange ich ihn in unserm Hause weiß.“

Sie holte beide Ringe. Franz war ein Kenner – die Verschiedenheit der Steine, die ihm Abends beim Kerzenlicht entgangen, war jetzt bemerkbar. Im Uebrigen war eine täuschende Aehnlichkeit vorhanden.

„Wird ihn der Advokat ferner nicht mißbrauchen?“ fragte sie besorgt, während der Banquier den Ring in ein Papier siegelte.

„Dann werde ich ihm entgegenzutreten wissen!“ antwortete Franz, der seiner Frau den wahren Zusammenhang der Sache verschweigen wollte, um sie nicht zu beunruhigen. „Laß das Frühstück serviren, Henriette, in einer Viertelstunde bin ich wieder bei Dir.“

Er ging in das Comptoir zurück, und übergab dem alten Manne das Papier. Dieser grüßte höflich und entfernte sich. Nach dem Frühstück ging Franz zur Börse. Ergiebige Geschäfte boten sich ihm, ohne daß er sie suchte; es schien, als ob an diesem Tage ein besonderer Glücksstern über dem Banquier schwebte. Philipps war nicht zu sehen, wohl aber bemerkte er in dem Gewühle den Advokaten Eberhardi, der nicht selten die Börse besuchte, um Geschäfte zu machen. Eberhardi war mehr Wucherer und Börsenspekulant, als Rechtsanwalt; seine Praxis war eine moderne: er verlieh Gelder zu hohen Zinsen und hatte Wucherer zu Clienten. Man sagte, daß er sich in einem Jahre ein bedeutendes Vermögen erschunden habe. Diesem Umstande verdankte er seine Anwesenheit auf dem Balle des Schiffsrheders.

Der Advokat schien den Banquier gesucht zu haben. Kaum hatte er ihn bemerkt, so verfolgte er ihn. An einem der großen Pfeiler trafen beide zusammen. Mit der Keckheit, die Haß und Rache verleihen, redete er Soltau an, indem er ihn am Arme ergriff.

„Mein Herr, ich bitte um eine kurze Unterredung, denn ich habe Ihnen nicht nur wichtige Entdeckungen zu machen, sondern auch Erklärungen von Ihnen zu fordern, die Sie mir als Mann von Ehre nicht verweigern können.“

„Wenn Ihre Entdeckungen sich auf einen gewissen Ring beziehen, so muß ich Sie bitten, zu schweigen,“ antwortete Franz.

„Uebrigens werden Sie Ihr Eigenthum, ein nachgemachtes Juwel mit falschen Steinen, durch eine dritte Person zurückerhalten, von der Erklärungen zu fordern Sie mehr Grund haben als von mir.“

Ein bitteres Lächeln verbreitete sich über das Gesicht des Advokaten.

„Fürchten Sie nicht, daß jener Kapitain Belling dem Kriminalgericht entgeht; aber ich möchte nicht gern, daß Madame

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