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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

dieser angenommenen Natur muß dann aber alles, was der Teufel thut, denkt und fühlt, zu einander stimmen. Benähme er sich in einer Scene edel, oder lief er z. B. bei dem nächtlichen Ritt am Galgen vorbei zu Fuße neben Faust her und rief keuchend: „Reite nicht so geschwind, ich komme Dir ja nicht nach!“ so fiel er mit solchen Zügen aus seiner angenommenen Natur. Was an einem Menschen natürlich, würde an ihm unnatürlich, unwahr erscheinen.

Nun wollen wir das Gesagte speciell auf das Lied anwenden. Der Gedanke: „Was ich erlitten und erlebt, habe ich in Liedern geschildert,“ kann wahr sein. Aber etwas Schönes finden wir nicht darin. Goethe drückt ihn in seinem bekannten Gedichte: „An die Günstigen,“ aus wie folgt:

„Was ich irrte, was ich strebte,
Was ich litt und was ich lebte,
Sind hier Blumen nur im Strauß;
Und das Alter wie die Jugend,
Und der Fehler wie die Tugend
Nimmt sich gut in Liedern aus.“

So dargestellt, mit den wohllautenden Versen, Gleichnissen etc. gefällt er uns, „nimmt er sich gut aus,“ wie Goethe in dem letzten Vers sagt, d. h. wird der wahre Gedanke auch schön, hat er eine poetische oder dichterische Form erhalten.

Wenn ein schlechter Kerl sagt: „Der Trunk ist meine einzige Lust auf dieser Welt,“ so ist das ein Gedanke, den ein schlechter Kerl haben kann, der in seinem Munde also wahr ist; daß es aber ein schöner Gedanke sei, wird Niemand behaupten, Jedermann ihn vielmehr für einen häßlichen erklären.

Wir hören ihn in Kaspar’s Lied im Freischütz in folgender Weise ausgedrückt:

Hier im ird’schen Jammerthal
Gäb’s doch nichts als Plack und Qual,
Trüg’ der Stock nicht Trauben;
Darum bis zum letzten Hauch
Seh’ ich auf Gott Bacchus Bauch
Meinen festen Glauben.

In dieser Form gefällt er uns, bis – auf „Bacchus Bauch“, das nicht besonders klingt. Besser hätte der Dichter gesagt: „Setz’ ich auf Gott Bacchus Schlauch.“

Der folgende Gedanke, zu einem verkannten Freunde gesprochen:

„Alle Welt verläßt Dich, ich aber bleibe Dir treu“ ist an sich edel und gut, und mag in Prosa ausgesprochen sich lesen lassen. Nun denken Sie sich diese Gesinnung in folgender Weise ausgedrückt:

„Wenn Dich alle Männer und Weiber
Und Schöpse von Kindern verkennen und
Verachten, so
Bin ich doch wirklich nicht
Solcher Art, und ich
Bleibe Dir treu, darauf kannst Du Dich verlassen.“

So erscheint der an sich edle Gedanke durch die gemeinen Ausdrücke, die unsymmetrischen Verse, kurz die miserable Form, läppisch, lächerlich, unschön.

Die folgenden Verse haben eine gefällige Form:

„Des Menschen Antlitz leuchtet schön,
Drum will ich jetzt spazieren gehn.“

Aber der Gedanke ist unsinnig.

In dem ersten Beispiel sehen Sie einen wahren und angenehmen Gedanken schön dargestellt. Im zweiten erscheint eine wahre, aber häßliche Empfindung gefällig ausgedrückt, im dritten ist ein edles Gefühl in eine schlechte Form gebracht, im vierten endlich erscheint in einer schönen Form ein dummer Gedanke. Die ersten beiden Beispiele gefallen, weil Wahrheit und Schönheit vereinigt sind. Das dritte mißfällt, weil der Gedanke wahr, aber die Darstellung unschön ist. Das vierte endlich mißfällt, weil die Form schön, aber der Inhalt dumm erscheint und nicht wahr ist.

Und hiermit, denke ich, ist klar, daß die Kunst und Poesie nicht blos die Schönheit, sondern auch und zuerst die Wahrheit darstellt; daß der Stoff schön, aber auch häßlich sein kann, wenn er nur wahr ist; daß die Form aber jederzeit schön sein muß, weil ohne sie der wahrste Gedanke keinen vollbefriedigenden Kunstgenuß verschafft.

Den Stoff zu Liedern tragen alle Menschen in sich, denn jeder Mensch hat ein Herz, das Leiden und Freuden empfindet. Jeder Mensch hat auch so viel Einbildungskraft, um sich in die Zustände anderer Menschen zu versetzen, wenn er sie auch nicht selbst durchlebt hat. Wenige Sterbliche giebt es ferner, die nicht zuweilen wenigstens bedeutende Gedanken, Ansichten u. s. w. hätten. Aber wenige Menschen, verhältnißmäßig genommen, können Lieder machen. Dazu gehört Dichtungskraft und Dichtungskunst. Es giebt besonders fein und glücklich organisirte Naturen, die nicht allein von den Ereignissen, welche sie berühren, leichter, lebhafter und stärker als viele Andre erregt werden, sondern die auch, was sie einmal gesehen, in der Einbildungskraft, was sie dabei empfunden, in dem Gemüth wieder hervorrufen (reproduciren), ja selbst, was sie niemals gesehen und empfunden haben, doch durch ihre vorstellenden Kräfte in sich entstehen lassen können. Dies ist die Dichtungskraft oder das Dichtungsvermögen. Solche haben gewöhnlich auch einen besonders starken Trieb, das Geschaute und Empfundene dichterisch auszusprechen. Haben sie sich die dazu nöthigen Regeln und Gesetze durch Studium ähnlicher Produktionen erworben und sich tüchtig geübt, so besitzen sie Dichtkunst.

So vielerlei Arten von Einzelgefühlen es giebt, so vielerlei Arten von Liedgedichten sind möglich. Die allgemeinste Eintheilung derselben ist die in geistliche und weltliche oder profane. Jene nehmen ihre Stoffe allein aus den religiösen Empfindungen, diese greifen überall hin, wo Zustände und Vorgänge des weltlichen Lebens oder Erscheinungen in der äußern Natur Gefühle erzeugen. So haben wir Liebes-, Trink-, Jagdlieder u. s. w.

So viel über das Lied, als bloßes Gedicht betrachtet. Viel kann der wirkliche Dichter damit auf den empfänglichen Leser wirken. Aber Vielen auch, was sich in den geheimnißvollern, dunklern Tiefen der Seele an wunderbaren und mannigfaltigen Regungen daneben und ineinander hinschlingt, ist dem Wort zu schildern nicht vergönnt.

„Die arme Sprache!“ haben Sie gewiß oft selbst ausgerufen, wenn irgend ein warmes Gefühl Ihre Brust erregte und Sie nach Aussprache desselben drängte! Welche Worte Sie dafür auch wählen und finden mochten, sie drückten verhältnißmäßig doch nur matt, farblos, skizzenartig das aus, was Sie innerlich als sicherlich vorhanden, aber mit Worten ungreifbar, mehr dunkel ahnend, als deutlich sehend empfanden.

Hier tritt nun an die Stelle der Dichtkunst eine andere, die Tonkunst. Dieser stehen weit reichere Mittel als jener zu Gebote, die geheimnißvollen Erscheinungen des Gemüths an’s Tageslicht und zur Wirkung zu bringen.

Da ich mich nun den größten Theil meines Lebens selbst bemüht habe, die Freuden und Leiden des Herzens in Tönen zu schildern, so kann ich Ihnen, abgesehen davon, was mir darin gelungen oder nicht gelungen sein mag, über die Mittel, welche dem Tonkünstler zu Gebote stehen, und über die Verwendung derselben behufs seiner Ausdruckszwecke aus Erfahrung Auskunft geben, und daher versuchen, das Lied in musikalischer Hinsicht zu erklären. Das macht jedoch einen Brief für sich nothwendig, den Sie bald erhalten sollen.




Blätter und Blüthen.

Eine Sklaven-Tragödie in Amerika. Obgleich eine englische Hofdame (die deshalb von der Königin entlassen ward) die Sklaverei in Amerika in einem besondern Buche als ganz gemüthlich vertheidigt und beweist, daß die Sklaven nicht frei sein wollten, daß man ihnen mit ihrer Freilassung drohe, wenn sie unartig seien, daß sie sich unter einander schimpfen: „Du bist so schlecht, wie ’n freier Nigger,“ obgleich auf diese Weise das inhaltvolle, selten verstandene, selten von hoher Obrigkeit honorirte Wort Freiheit zum Schimpfworte geworden, giebt es doch auch sogar Schwarze, welche die Freiheit lieben und sich theuer loskaufen und ein ganzes Leben dafür opfern, giebt es doch Sklavinnen, die als Mütter ihre Kinder lieber morden, statt sie in die Sklaverei zurückschleppen zu lassen.

Das Gesetz wegen flüchtiger Sklaven, welche die nicht Sklaven haltenden nördlichen Staaten verpflichtet, flüchtige Sklaven an den Süden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_219.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)