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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

einem Stuhle neben dem Kamine gesessen und das Gespräch unbemerkt belauscht hatte. Sein Gesicht war bleich und von einem vollen, schwarzen Barte eingerahmt: Er trug elegante schwarze Ballkleidung. Geräuschvoll ging er hinter dem Rücken des jungen Mannes vorüber und verschwand in dem Gewühle der Tänzer, die ihre Damen zu den Plätzen zurückführten.

Der lästige Ballgast verneigte sich und verließ Henrietten, die von bekannten Damen umringt ward.

Um zehn Uhr reichte man den Gästen Erfrischungen. Soltau nahm den Arm seiner Frau und führte sie durch die Säle, wo er bald hier, bald dort Bekannte traf. In einem der prachtvollen Nebenzimmer saß ein kleiner Kreis Herren und Damen. Auch Philipps, der Agent, befand sich unter ihnen; er zog Franz und Henrietten in die Gesellschaft und forderte sie auf, hier die Erfrischungen einzunehmen. Die Damen, unter denen Soltau’s Gattin einige Bekannte traf, gruppirten sich um den Thee, die Männer um eine Bowle Ananaspunsch.

Plötzlich zog der Banquier seinen Freund in eine Fenstervertiefung, von wo aus sie den Kreis der trinkenden und plaudernden Damen übersehen konnten.

„Philipps,“ flüsterte er aufgeregt, „kennst Du alle diese Damen?“

„Ich glaube.“

„Wer ist das junge Mädchen in dem blauen Kleide mit schwarzen Spitzen?“

„Wo?“

„Sie spricht jetzt mit meiner Frau.“

Philipps lächelte, indem er leise ausrief: „Sollte diese Fee auch Dich bezaubern, da Du eine so schöne Frau besitzest, um die man Dich allgemein beneidet?“

„Laß den Scherz, und sage mir, was Du von ihr weißt.“

„Sie und jene alte Dame in dem schwarzen Oberrocke, die neben ihr sitzt, sind die beiden einzigen Personen, von denen ich Dir weiter nichts sagen kann, als daß ich sie hier vorgefunden habe, und daß das junge Mädchen mir, wie aller Welt, den Kopf verdreht.“

„Das ist seltsam!“ murmelte der Banquier.

„Franz, fast bereue ich, Dich hier aufgehalten zu haben!“

„Hast Du ihren Namen gehört?“

„Nein!“

Die beiden Männer beobachteten einige Augenblicke das reizende Geschöpf, das sich lächelnd mit Madame Soltau unterhielt. Die Unbekannte glich einer zarten, halb entfalteten Knospe; Henriette einer kaum erblühten Rose, die frisch im Morgenthaue duftet.

„Ich muß Gewißheit haben!“ murmelte Soltau, wie im Selbstgespräche.

„Worüber, Franz, worüber?“

Der Banquier ging zu seiner Frau.

„Verzeihung, meine Damen,“ sagte er, „wenn ich einen Augenblick störe. Henriette,“ wandte er sich zu seiner Gattin, ohne die Blicke von der Unbekannten abzuwenden, „ziehst Du ein Glas Limonade dem Thee vor?“

Seine Absicht war, sich bemerkbar zu machen, und den Eindruck seines Erscheinens zu beobachten. Das junge Mädchen sah ihn an, und blieb ruhig.

„Ich danke, Franz, für Deine Aufmerksamkeit!“ antwortete Henriette. „Willst Du mir aber eine besondere Gefälligkeit erzeigen, so trage Sorge, daß wir mit diesen beiden Damen bei der Tafel zusammensitzen.“

„Wir nehmen an, daß wir nicht lästig fallen!“ fügte das junge Mädchen hinzu.

Franz verneigte sich, und zog sich zurück.

„Das ist ihre weiche, wohlklingende Stimme, das sind ihre schönen Augen, ihre schwarzen Haare – mit einem Worte, es ist das Madonnengesicht Sophie’s!“ dachte er überrascht, indem er das Zimmer verließ, um den Herrn vom Hause aufzusuchen.

,Heute soll sie mir nicht spurlos verschwinden!“

Franz traf den Festgeber in dem Speisesaale, wo er mit dem Arrangement der Tafel beschäftigt war. Der Banquier trug dem Schiffsrheder seine Bitte vor.

„Nennen Sie mir die Namen der beiden Damen, neben denen Ihre Frau Gemahlin zu sitzen wünscht, und ich werde sofort die Einrichtung danach treffen.“

„Wenn ich die Namen wüßte, mein lieber Freund!“ rief

Franz, indem er seine Verlegenheit unter einem Lächeln verbarg.

„Ich hoffe, sie von Ihnen zu erfahren.“

„Wo befinden sich die Damen?“

„Folgen Sie mir, ich werde sie Ihnen zeigen!“

Die beiden Männer, anscheinend in einem gleichgültigen Gespräche, traten Arm in Arm in die Thür des Seitenkabinets. Die Gesellschaft unterhielt sich, so daß sie die Angekommenen nicht bemerkte.

„Sehen Sie neben meiner Frau die junge Dame im blauen Kleide?“

„Ich sehe sie!“

„Nun diese und ihre Nachbarin meine ich!“

Der Schiffsrheder war ein jovialer Mann; er sah seinen Freund lächelnd an, dann flüsterte er ihm in’s Ohr:

„Miß Belling scheint selbst den Männern, die schöne Frauen haben, den Kopf zu verdrehen! Ihre Gattin, mein Bester, macht eine gefährliche Bekanntschaft!“

„Ich habe Gründe, etwas Näheres über diese Dame zu erfahren. Ehe ich meiner Frau gestatte, sich ihr anzuschließen, möchte ich wissen, wer sie ist.“

„Miß Belling ist eine Amerikanerin von guter Familie,“ antwortete der Rheder, indem er mit dem Banquier aus der Thür zurücktrat, um die Aufmerksamkeit der Gesellschaft nicht zu erregen. Die alte Dame ist Madame Lay, eine Freundin meiner Frau, von der auch die Einladung zum Balle ergangen ist.“

„Und in welcher Beziehung steht Miß Belling zu Madame Lay?“

„Darüber kann ich Ihnen keinen Aufschluß geben, weil ich mich nicht darum gekümmert habe. Aber jedenfalls sind beide Damen respektable Personen, meine Frau würde sie sonst nicht zu unserm Feste gezogen haben.

Ein Diener rief den Hausherrn ab.

„Miß Belling wird neben Madame Soltau sitzen!“ sagte er lächelnd, indem er sich entfernte.

Der Banquier wußte jetzt nicht um ein Haar mehr, als zuvor. Er trat in die Thür und betrachtete Miß Belling: sie war Zug für Zug Sophie Saller. Soltau hätte sein ganzes Vermögen gegen einen Schilling verwettet, daß Miß Belling und Sophie eine Person seien. In diesem Augenblicke blieb ihm Nichts weiter, als sie für die von dem Hausherrn bezeichnete Amerikanerin zu nehmen. Das geheimnißvolle Dunkel, das die schöne Rentenbezieherin umgab, ward immer dichter, und Soltau’s Neugierde natürlich immer größer.

Man ging zur Tafel. Soltau führte seine Gattin. Miß Belling und ihre Begleiterin erschienen am Arme eines schwarz gekleideten Mannes. Die Ordnung der Plätze war, wie sie der Banquier gewünscht hatte: die Unbekannte saß zwischen Madame Soltau und der alten Dame, neben Letzterer nahm der Herr im schwarzen Fracke seinen Platz.

„Philipps,“ flüsterte Soltau seinem Freunde zu, der neben ihm saß, „mir ist, als ob ich den Mann, der Deine Schöne geführt hat, heute nicht zum ersten Male sähe. Kennst Du ihn?“

„Nein; aber ich hoffe, ihn diese Nacht noch kennen zu lernen.“

„Er erinnert mich an den Verkäufer der Lebenspolice.“

„Wahrlich nein! Jener war jünger und hatte braunes Haar – dieser ist schwarz wie ein Italiener. Wir werden ja sehen – in einer Stunde weiß ich mehr.“

Das Souper ging unter gleichgültigen Gesprächen vorüber, und der Ball begann wieder. Soltau tanzte mit seiner Frau einen Walzer. Die Unbekannte erschien am Arme des jungen Agenten Philipps. Man bewunderte allgemein das reizende Geschöpf.

„Henriette,“ flüsterte der Banquier, als er mit seiner Gattin ruhete, „Du hast Dich mit Miß Belling lange unterhalten –“

„Wer ist Miß Belling?“ fragte verwundert die junge Frau.

„Sie war Deine Nachbarin bei Tische.“

„Ach so! Die junge Dame meinst Du. Nun?“

„Was glaubst Du, wer sie ist?“

„Aus der Unterhaltung habe ich sie als eine geistreiche, liebenswürdige Person kennen gelernt. Mehr zu erfahren, war unmöglich, ohne den Anstand zu verletzen. Du kennst ihren Namen, Franz?“

„Ich erfuhr ihn, als ich die Plätze besorgte.“

„Den Interesse an ihr ist eben so groß, als sie schön ist!“

„Du wirst es erklärlich finden, wenn ich Dir sage, daß ich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_211.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)