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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

oder mißverstanden, ist es ihnen fast nie vergönnt, die süßen Früchte einer solchen Liebe zu genießen – sie bleibt ihnen eine vom Himmel gefallene Blume.

Franz hatte das Glück, eine Ausnahme von dieser traurigen Regel zu machen; er liebte Henrietten mit grenzenloser Leidenschaft, und Henriette erwiederte diese Liebe. Wie Bruder und Schwester schlossen sie sich einander an, wie zwei Kinder, die man bewundert, wenn sie sich Bahn durch eine Menge brechen.

Henriette war ohne Herkunft und ihr Vermögen gering. Franz jauchzte vor Glück, als er dieses Unglück erfuhr. Wäre Henriette die Tochter einer reichen Familie gewesen, so hätte der glühend liebende Commis verzweifeln müssen – aber die Geliebte war arm, und er heirathete sie.

Von diesem Augenblicke an schüttete Fortuna ihr Füllhorn über den armen Commis aus. Henriette hatte unter der Obhut einer Tante gelebt; diese Tante aber gab sich als die Mutter zu erkennen, als Franz um die Hand seiner Geliebten warb. Die Enthüllung dieses Geheimnisses beeinträchtigte seine Liebe nicht im Mindesten – er führte seine Braut zum Altare.

Die jungen Eheleute wohnten bei der Mutter. Eines Abends – es mochten vier Wochen seit der Hochzeit verflossen sein – sagte die Mutter zu dem Schwiegersohne:

„Machen Sie sich selbstständig, Franz; als Commis sind Sie zu lange von Ihrer jungen Frau getrennt. Es macht mir Kummer, daß die schönste Zeit Ihrer Ehe auf diese Weise verfließt.“

„Selbstständig?“ fragte Franz mit einem schmerzlichen Lächeln.

„Wie verstehen Sie das, Mutter?“

„Sie gründen ein eigenes Bankgeschäft.“

„Mein Vermögen besteht aus sechstausend Mark.“

„Genügen fünfmalhunderttausend Mark, um einen soliden Grund zu legen?“ fragte lächelnd die Mutter.

„Ich habe den Muth, mit dieser Summe anzufangen.“

„So fange an, Franz!“ sagte Henriette, indem sie ihm ein Portefeuille überreichte.

Als der erstaunte junge Mann den Inhalt den Portefeuilles prüfte, fand er Papiere darin vor, die ihm einen Credit von fünfmalhunderttausend Mark bei der städtischen Bank eröffneten.

Sprachlos sah Franz seine Schwiegermutter an.

„Nehmen Sie nur die Aussteuer Henriette’s,“ sagte lächelnd die alte Dame. „Ich habe lange um das Vermögen meines Kindes processirt – Sie sehen, mein Proceß ist gewonnen!“

Franz kaufte das alte Haus in der W.straße, das damals gerade ausgeboten wurde, erwarb sich das Bürgerrecht, und eröffnete sein Comptoir. Nach Abschluß der ersten Jahresrechnung ergab sich, daß er fünfzehn Procent Gewinn aus dem Umsatze seiner Kapitalien gezogen hatte. Das zweite Jahr wäre ergiebiger ausgefallen, wenn der Banquier mit dem Vermögen seiner Frau nicht zu vorsichtig speculirt hätte. Das dritte Jahr aber versprach eine reiche Ernte: der Leser weiß, wie es begonnen hat. Wäre Henriette’s Mutter nicht seit länger als einem Jahre todt gewesen, er würde die beiden Geschäfte, die man ihm gewissermaßen aufgedrungen hatte, ihrem Einflusse zugeschrieben haben. Franz war eitel genug zu glauben, seine Tüchtigkeit und Rechtschaffenheit allein bewirkten die Ausdehnung seines Geschäfts.

Henriette war eine vollendete Schönheit von dreiundzwanzig Jahren, und hatte sie ihrem Gatten auch noch kein Kind geschenkt, so war ihre gegenseitige Liebe doch dieselbe geblieben – eine fast dreijährige Ehe hatte sie nicht abzukühlen vermocht.

Der erste große Gewinn hatte den jungen Banquier zu kühnen Unternehmungen angestachelt; sein Ehrgeiz gab den Einflüsterungen der Spekulanten Gehör, und er betheiligte sich bei einer Eisenbahnlinie, die man in dem benachbarten Fürstenthume errichten wollte. Da von ihm die Aufforderung zu Actienzeichnungen ausgegangen war, ernannte man ihn zum Mitgliede des Comité’s und zum Kassirer. Sein Credit wuchs mit jedem Tage, und von allen Seiten deponirte man Gelder in seinem Bankhause. Der Agent Philipps arbeitete nur für ihn, man drängte sich mit ihm, in Verbindung zu treten, und jede Speculation glückte. Bald ward Franz Soltau ein Fürst an der Börse.

Die geheimnißvolle Geschichte mit Edmund Kolbert und Sophie Saller schien im Drange den Treibens vergessen zu sein.

Da sagte Henriette eines Morgens zu ihrem Gatten:

„Franz, heute ist der fünfzehnte September.“

„Ich weiß es; ist er Dir besonders merkwürdig?“

„Sophie Saller muß heute kommen.“

„Ganz recht; das Vierteljahr ist zu Ende. Ich hatte das arme Mädchen vergessen.“

„Arm, sagst Du? Ich sollte meinen, eine Rente von viertausend Mark jährlich schützte vor Armuth, auch wenn wir den Gewinn nicht in Betracht ziehen wollen, den ihr Kapital gebracht hat.“

„Sei ohne Sorge, liebe Frau; ich werde meiner Mündel den Gewinn zu Gute schreiben.“

„Hoffentlich werden wir heute etwas Näheres über die geheimnißvolle Schöne erfahren?“

Soltau versprach, sich darum zu bemühen, und ging in sein Comptoir. Er trat zu dem jungen Commis, der bereits emsig arbeitete.

„Herr Lambert, erinnern Sie sich des jungen Mädchens, das Sie vor drei Monaten mir anmeldeten?“

Der Commis erröthete; er begriff die Absicht seines Chefs nicht.

„Ja, Herr Soltau. Ich notirte an demselben Tage eine Zahlung von tausend Mark an Sophie Saller.“

„Sophie Saller wird heute wahrscheinlich wiederkommen. Bereiten Sie sich vor, ihr zu folgen, wenn ich Ihnen einen Wink gebe. Es liegt mir daran, etwas Näheres über das junge Mädchen zu erfahren, dessen Vermögen man in meiner Bank deponirt hat. Sie sind gewandt genug, um unbemerkt diesen Zweck zu erreichen.“

Lambert verneigte sich, als Zeichen, daß er gehorchen wolle.

Von diesem Augenblicke an zitterte die Feder in der Hand des jungen Mannes und so oft die Thür sich öffnete, zuckte er heftig zusammen. Der Auftrag seines Prinzipals hatte ihn in eine fieberhafte Spannung versetzt. Um elf Uhr endlich erschien die so sehnlich Erwartete: sie trug dasselbe Kleid noch, dasselbe schwarze Mäntelchen, denselben Hut von grüner Seide. Schüchtern, wie das erste Mal, trat sie auch heute ein.

„Kann ich Herrn Soltau sprechen?“ fragte sie flüsternd.

Lambert verlor fast die Fassung; Sophie schien in dem Vierteljahre, daß er sie nicht gesehen hatte, noch schöner geworden zu sein. Wie bestürzt senkte sie die Augen, als sie sah, daß der junge Mann sie anstarrte.

„Herr Soltau ist in seinem Kabinet!“ stammelte endlich der Commis.

Und zugleich öffnete er ehrfurchtsvoll die Glasthür. Sophie dankte durch eine graziöse Verneigung und trat in das Kabinet.

Der Banquier empfing sie artig und mit einem sichtlichen Wohlwollen.

„Ich bitte, nehmen Sie Platz, Fräulein Saller, und schreiben Sie die Quittung über Ihre Rente. Lorenz,“ rief er durch die Thür, „bringen Sie tausend Mark in Golde!“

„Die Quittung, mein Herr, ist bereits geschrieben!“ antwortete Sophie mit bewegter Stimme. „Ich erlaube mir, sie Ihnen zu überreichen.“

Der Banquier nahm das Papier.

„Es scheint Ihnen daran zu liegen,“ sagte er lächelnd, „Ihren Besuch bei mir so viel als möglich abzukürzen; ich bedauere, daß es mir nicht erlaubt ist, mehr für Sie zu thun, als Ihr Vermögen auf die übliche Weise zu verzinsen. Die liebenswürdige Clientin würde wohlthun, mir eine ausgedehntere Vollmacht zu geben oder zu erwirken.“

„Mir genügt die Summe, die ich von Ihnen erhalte, mein Herr! Die Verwendung des Kapitals bleibt Ihnen überlassen.“

„Wenn ich nun im Stande wäre, durch geschickte Speculationen Ihre jährliche Revenue zu verdoppeln?“

„So würde ich nur meine bedungene Rente annehmen und darüber quittiren.“

Der Kassirer trat ein und brachte das Geld. Soltau zählte es, wie das erste Mal, selbst auf den Tisch. Sophie steckte die Goldstücke in ihre Plüschtasche, dankte und wollte sich entfernen.

„Fräulein Saller, ich bitte um eine kurze Unterredung! Als Sie das erste Mal mich besuchten, sprachen Sie mir Ihr unbedingtes Vertrauen aus - wie kommt es, daß Sie mich des Vergnügens berauben, Sie näher kennen zu lernen?“

„Erblicken Sie darin kein Mißtrauen, Herr Soltau; eben weil wir Ihnen vertrauen, hegen wir die Zuversicht, daß Sie ein Familiengeheimniß ehren werden. Und außerdem würde ich Ihnen auch nicht sagen können, was ich selbst nicht weiß. Ihrer Güte verdanke ich die Vermittelung der Rente, die mich vor

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