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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)


„Die Gräfin,“ setzte er dann hinzu „verwendet sehr viel auf den Park; ich glaube, daß ihr jährlich seine Unterhaltung an tausend Thaler kostet.“

„Die Gräfin promenirt wohl häufig im Park?“ fragte ich.

„Wohl täglich zwei Stunden, wenn schönes Wetter ist.“

„Kann man die Dame sehen – wenn auch nur aus der Ferne?“ frug ich forschend.

Der alte Diener sah mich eine Weile an, grub dann, als ob er über Etwas nachsinne, mit seinem Stocke im Sande und fragte dann lächelnd: „Sie sind wohl auch ein Verehrer Schillers und wünschen die gnädige Frau seinetwegen zu sehen?“

Ich bejate es verlegen. „Das Verlangen, die edle Dame zu sehen, die uns an den Dichterfürsten Deutschlands so lebhaft erinnert, trieb uns hierher, und wir würden Kloschenen wirklich mit tief betrübtem Herzen verlassen, wenn wir die Gräfin nicht gesehen hätten.“

Der Diener las es gar deutlich in unsern Blicken und Gesichtszügen, wie aufrichtig und tief gefühlt unsere Worte seien und versprach uns, der Gräfin unsern Wunsch vorzutragen. Mit der größten Spannung warteten wir auf seinen Bescheid. Bald kehrte er zurück und sagte: „die Gräfin läßt um Ihre Namen bitten, meine Herren!“

Wir nannten sie ihm; er eilte wieder fort, und darauf erfreute er uns mit der Nachricht, daß uns die Gräfin nach einer halben Stunde in einem Sommerhäuschen erwarten werde.

Wir gratulirten uns gegenseitig zu diesem unverhofften Glücke und dankten dem alten Diener herzlich für seine Vermittlung. Wir säuberten uns schnell in dem Zimmer des alten Johann und machten uns dann um die bestimmte Zeit, von dem alten Diener geleitet, nach dem Sommerhäuschen auf. Ich war auf dem Gange dahin wirklich innerlich erregt und sprach kein Wort, obwohl mein Freund mit dem Alten gemüthlich plauderte.

Nach etwa tausend Schritten lag das Sommerhäuschen vor uns. Es war ein niedlicher Pavillon mit vielen großen Fenstern, an denen sich üppige Epheustauden bis zum Dache hinaufrankten.

„Treten Sie ein, meine Herren,“ sagte der Alte, als wir an der Thür des Häuschens angelangt waren, „die Gräfin erwartet Sie.“

Ich legte die Hand nicht ohne ein leises Zittern auf den Drücker und öffnete.

Wir befanden uns im nächsten Augenblicke vor der Dame, die einst der größte Dichter Deutschlands mit seinem reichen großen Herzen geliebt hatte. Die Gräfin erhob sich bei unserm Eintritte von einem mit grünem Sammet überzogenen Sopha und trat uns einige Schritte entgegen. Wir verbeugten uns tief, und nach einigen konventionellen Redeformeln nöthigte sie uns, auf zwei vor dem Sopha stehenden Stühlen zum Sitzen, während sie sich selbst wieder auf das Sopha niederließ. Ich hatte jetzt Gelegenheit, sie näher in’s Auge zu fassen. Die Gräfin mochte vielleicht fünfzig Jahre, eher etwas darüber zählen; einige dreißig Jahre waren seit ihrer Bekanntschaft mit Schiller verflossen, aber dennoch konnte man sie noch immer schön nennen. Ihr prächtiges Haar war noch ganz schwarz und voll; unter schön gewölbten Augenbrauen glänzten die feurigen geistreichen dunkeln Augen wie zwei blitzende Sterne; sie neigte sich etwas zur Wohlbeleibtheit, aber dennoch war ihre Haltung mit Hoheit und Anmuth gepaart. Ich konnte es mir wohl denken, wie sie in Jugendschönheit strotzend, auf Schiller einst einen so mächtigen Eindruck machte.

Als wir Platz genommen hatten, fragte sie mit einer weichen, aber sehr wohltönenden Stimme: „Sie haben sich meinen Park angesehen; wie gefällt er Ihnen?“

„Wir haben die Schönheit desselben bewundert und waren überrascht, in unserer Provinz Kunst und Natur so herrlich vereinigt zu sehen,“ erwiederte ich.

„Allerdings ist der Park ein hübsches Plätzchen, indeß hat die Natur das Meiste gethan.“

„Es läßt sich aber nicht leugnen, daß auch die Kunst viel zur Verschönerung des Parks beigetragen hat. Ueberall offenbart sich in den Anlagen ein feiner, sinniger, poetischer Geschmack,“ bemerkte ich.

„Sie schmeicheln, mein Herr,“ sagte die Gräfin mit etwas gehobener Stimme. „Sie irren wohl, wenn Sie einen eigenen Geschmack oder vielmehr menschliche Launen in den Parkanlagen erblicken wollen. Ich unterstützte nur die Natur und benutzte zur Verschönerung des Platzes nur die Winke, die sie mir gab.“

„So ist das Talent zu bewundern, das diese Winke verstand,“ erwiederte ich, und fühlte erst in dem Augenblicke, als ich es gesagt, daß ich doch eine andere Bemerkung hätte machen sollen.

„Lassen Sie das,“ versetzte die Gräfin fast unwillig. Dann fuhr sie in ihrem weichen Tone fort: „Es freut mich, daß der Park Ihnen gefallen hat, und wenn Sie sich noch länger in dieser Gegend aufhalten, so steht er Ihnen jederzeit offen.“

Wir dankten für die gütige Erlaubniß und bedauerten, nicht davon Gebrauch machen zu können, da wir unsere Streifzüge durch die Provinz noch fortzusetzen gedächten.

„Aber vielleicht auf’s Jahr,“ sagte die Gräfin, indem sie ihre Blicke auf uns freundlich ruhen ließ.

„Man sieht Naturschönheiten gern zwei Mal und zehn Mal und findet sie stets anziehender und reizender.“

Wir gaben das Versprechen, dem schönen Park, so bald es sich thun ließe, wieder einen Besuch abzustatten, setzten aber hinzu, daß sich das im künftigen Jahre schwerlich werde thun lassen, da wir eine Reise nach Thüringen und der sächsischen Schweiz in Absicht hätten.

„Ach, das unterlassen Sie nicht. In Sachsen ist es schön; da wird sich Ihnen die Natur in ihrer ganzen Herrlichkeit aufschließen. Könnte ich doch ein paar sächsische Berge nach Kloschenen hinzaubern.“

„Es geht aber nicht,“ setzte sie nach einer Weile hinzu, indem der weiche Ton ihrer Stimme eine wehmüthige Färbung annahm; „hier in Preußen ist es oft so kalt und todt, und die Sehnsucht nach dem schönen Dresden ergreift mich oft mit voller Gewalt.“

Sie schwieg, und mir war so wunderlich zu Muthe, so sonderbar gerührt hatte mich dieser wehmüthige Ton, daß ich gar nicht wußte, was ich darauf erwiedern sollte. Mein Freund aber, der kälteres Blut hatte, bemerkte: „Ja, Dresden soll eine herrliche Stadt sein und die Umgegend noch viel herrlicher. Ich kann es mir wohl denken, daß man sich um so lebhafter nach diesen Schönheiten zurücksehnt, je mehr man sie genossen und empfunden hat, und je länger man von ihnen getrennt wurde.“

„Gewiß, gewiß, mein Herr,“ sagte die Gräfin lebhaft. Dann aber fuhr sie wieder in ihrem sanften ruhigen Ton fort: „Wenn Sie nach Dresden kommen, versäumen Sie es nicht, das Städtchen Tharand zu besuchen. Es liegt in einer reizenden Gegend. Scheuen Sie nicht die Mühe, den Knieberg zu besteigen; die Ruinen des alten Schlosses Tharand stehen darauf. O, wie oft habe ich dort gestanden und meine Augen und meine Seele an all’ den Herrlichkeiten geweidet, die ich von dort aus überblickte!“

Mir kam es vor, als ringe sich bei diesen Worten ein Seufzer aus ihrer Brust, und ich hätte wohl darauf schwören können, daß sie in diesem Augenblicke an den großen Dichter dachte.

„Die Ruinen Tharands sind wohl jedem Deutschen heilig,“ sagte mein Freund; „denn sie sollen ein Lieblingsort des Dichterfürsten unserer Nation gewesen sein.“

Die Dreistigkeit meines Freundes erschreckte mich, und verlegen sah ich nach der Gräfin. Sie blickte uns aber ernst und ruhig an und erwiederte dann: „Sie meinen Schiller. So viel ich weiß, ist er allerdings mehrmals auf dem Knieberge gewesen, namentlich im Frühjahre, wenn ringsum Alles keimte und sproß; aber ich glaube, er hat andere Punkte bei Dresden mehr geliebt.“

Wir sahen, daß sie mit uns ungern von diesem Thema sprach, und darum ließen wir es fallen. Sie erkundigte sich darauf noch nach unsern Studien, unserm Reiseplan, und bot uns dann eine kleine Erfrischung an, die ihr Diener besorgen sollte. Sie rief einen in der Nähe des Sommerhäuschens arbeitenden Gärtner zu sich und ertheilte ihm, ohne daß wir es verstehen konnten, einen Auftrag. Der Gärtner verschwand, und bald darauf trat der alte Johann mit einer Flasche Rheinwein und einem Teller voll kleiner Kuchen ein. Die Gräfin kredenzte uns das erste Glas, wünschte uns eine glückliche Reise, und verließ dann so schnell das Sommerhäuschen, daß wir kaum Zeit hatten, unsern Dank für die gnädige Aufnahme abzustatten.

Ich blickte ihr so lange durch’s Fenster nach, als ich sie sehen konnte. „Ob in ihrem Herzen noch das Bild des großen Dichters leben mag?“ fragte ich mich. „Ob sie seiner noch gedenken

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