Seite:Die Gartenlaube (1856) 190.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Beiträge zur Wiederauferstehung Hamburgs hier ein größeres Recht geben als je, deutsche Kunst und deutschen Schönheitssinn geltend zu machen. Darin würde zugleich die hauptsächlichste Anerkennung des großartigen und klingenden Mitleids liegen, welches Deutschland gegen das abgebrannte Hamburg bewies. In ähnlichen Unglücksfällen, welche deutsche Städte und Gegenden betraf, hat Hamburg im Allgemeinen wenig oder kein Talent der Dankbarkeit gezeigt.

Abgesehen vom Stile wird das neue Rathhaus namentlich im Innern eine der großartigsten und geräumigsten Civil-Bauten sein. Obenan steht die weite, hohe Senator-Halle mit verschiedenen Bureaux, Commission-Zimmern, Archiv-Räumen um sie her. Dann kommt der Versammlungssaal der Bürger-Abgeordneten, worin letztere mit dem Senate monatlich einmal das Wohl der merkwürdigen Republik berathen, mit Nebensälen für Lokal- und Kirchsprengel-Vertreter. Der dritte Hauptsaal wird die Finanz-Verwaltung und ein Dutzend Steuer-Departements in sich abfächern. Daneben Gerichtshöfe, eine fünfte Abtheilung für verschiedene Bureaux der Verwaltung und Rechtspflege über Bankerotte, Heirathen u. s. w. Das große „Gehege“ wird zu Börsen- und kaufmännischen Geschäften der großen Geldmänner und Handelsfirmen dienen. Die Kosten des großen Baues sind auf 1 Million Thaler berechnet worden, dieselbe Summe, welche für den Bau der St. Nicolaskirche veranschlagt ward.




Fräulein von Arnim.
Eine Erinnerung.

Vor einigen Tagen blätterte ich in dem Tagebuche meines Vaters, das er sehr sorgsam geführt hat. Unter manchem Interessanten fand ich auch eine Unterredung, die er und ein guter Freund mit der Gräfin Marie Henriette Elisabeth von Kunheim gehabt hatten. Da die genannte Dame in der Lebensgeschichte unseres großen Dichters Schiller unter dem Namen Fräulein von Arnim eine wichtige, wenn auch noch nicht ganz aufgeklärte Rolle spielte, so dürfte es manchem Leser dieses Blattes erwünscht sein, wenn ich die angedeutete Stelle aus dem Tagebuche hier mittheile.

Friedland an der Alle, den 12. Juli 1820.

Der heutige Tag ist unstreitig der denkwürdigste, den ich mit meinem Freunde B. auf der diesjährigen Ferienreise erlebt habe. Es ist unverzeihlich, daß ich nach fast dreijährigen Studien in Königsberg noch nicht weiß, daß Fräulein von Arnim, die von Schiller Angebetete, in der Provinz lebt! Durch Zufall erfuhr ich es erst heute, und das Glück, was mir sonst nicht immer lächelt, vergönnte mir sogar eine Unterredung mit der berühmten Dame. Wir wanderten nämlich heute früh durch das Dorf G. und sahen seitswärts vom Wege ein prächtiges Gut.

„Wie heißt jener schöne Landsitz?“ fragte ich einen Mann, der uns mit einer langen Pfeife im Munde entgegen kam und den ich, worin ich mich auch nicht getäuscht hatte, für den Schulmeister des Orts hielt.

„Das ist das Dorf Kloschenen!“ antwortete der Gefragte, indem er uns höflich „einen guten Morgen“ bot und mit uns weiter ging.

„Und wem gehört das Gut?“

„Der Gräfin von Kunheim. Jedenfalls,“ fuhr der redselige Mann fort, „sind die Herren von der Universität und kennen also unsern großen Schiller und dessen Lebensgeschichte. Dann wird es vielleicht von Interesse für Sie sein, zu erfahren, daß die Gräfin von Kunheim jenes Fräulein von Arnim ist, die der große Dichter einst so sehr geliebt hat. Sie werden wissen, daß sie nicht reich war, und da Schiller ebenfalls nichts besaß, wie es den Gelehrten oft geht, hat er sie auch nicht heirathen können.“

„Die Gräfin Kunheim ist wirklich das ehemalige Fräulein von Arnim?“ fragte ich, überrascht von der Mittheilung, die mir der Schulmeister gemacht.

„Zu dienen, meine Herren! Jetzt ist sie indeß nicht mehr arm, sondern reich, sehr reich. Ihr Mann, der selige Graf, der im Jahre 1815 starb, hinterließ ihr ein großes Vermögen. Schade, daß der ganze Reichthum nach ihrem Tode unter viele Verwandte vertheilt wird; denn Kinder hat die Gräfin keine.“

In meiner und meines Freundes Seele stand sofort der Vorsatz fest, einen kleinen Abstecher zu machen, um die Dame zu sehen und vielleicht gar zu sprechen. Ich fragte daher den Schulmeister, ob die Gräfin gerne Fremde zu sich lasse, und ob wir beiden Studio die Aussicht zu einer Unterredung mit ihr hätten.

Der Schulmeister erwiederte, daß die Gräfin sehr zurückgezogen lebe und selten Fremde empfange. „Sie hat,“ setzte er mit geheimnißvoller Miene hinzu, „den großen Dichter gewiß noch immer in sehr gutem Andenken und liebt ihn vielleicht noch. So viel steht fest, daß sie ihn nicht vergessen hat, und mit dem alten Johann, der schon Bedienter bei ihrer Mutter gewesen ist, und der Schiller persönlich gekannt hat, noch oft von dem großen Dichter spricht.“

Der Schulmeister bemerkte, wie sehr uns seine Mittheilungen interessirten und gern begleitete er uns noch eine Strecke, um uns den Weg nach Kloschenen zu zeigen. Wir hatten uns ja trotz der ungünstigen Aussichten, die uns der Schulmeister gemacht, zu einem Abstecher nach dem Gute entschlossen.

„Der alte Johann,“ fuhr der Schulmeister fort, „hat mir mehr als einmal erzählt, daß die Gräfin bei der Nachricht von Schiller’s Tode heftig geweint hat und der selige Graf darüber lange verstimmt gewesen ist. Ich glaube fast, daß ihre Ehe nicht zu den glücklichsten gehört hat, obwohl der Graf seine Frau sehr liebte. Sie muß übrigens in ihrer Jugend eine ausgezeichnete Schönheit gewesen sein, und sie war es noch vor etwa zehn Jahren. Schade, daß sie nicht Schiller’s Frau wurde. Der alte Johann meint, ihre Mutter sei die Ursache davon gewesen, und sie habe das Verhältniß des Dichters mit ihrer Tochter nur geduldet, um reiche und vornehme Freier herbeizulocken. Als aber Schiller gemerkt habe, daß man ihn täusche, sei er auf- und davongegangen. Die Gräfin soll nach dieser Trennung Tage lang geweint haben.“

Wir waren an dem Wege, der nach Kloschenen führt, angelangt.

„Gehen Sie immer auf dieser Straße gerade fort, so sind Sie in einer Stunde in Kloschenen,“ sagte der Schulmeister. „Besehen Sie sich den Park, vielleicht treffen Sie darin auch die Gräfin.“

Er zog sein Käppchen, wünschte uns eine glückliche Reise und kehrte dann nach dem Dorfe zurück; wir aber wanderten getrost weiter und waren nach einer guten Stunde in Kloschenen. Da wir es nach den Mittheilungen des Schulmeisters für erfolglos hielten, eine Unterredung mit der Gräfin zu erbitten, abgesehen davon, daß wir als namenlose Bursche es auch nicht wagten, diese Gunst nachzusuchen, so beschlossen wir, nur den Park in Augenschein zu nehmen. Ich kann nicht läugnen, daß wir die Hoffnung hegten, bei dieser Gelegenheit vielleicht der edeln Dame in den dunkeln Gängen des Parks zu begegnen oder doch wenigstens ihre Gestalt an einem Fenster des Schlosses zu erblicken.

Die Erlaubniß, den Park zu betreten, ward uns ohne Umstände gewährt und wir durchkreuzten denselben nach allen Richtungen, stets hoffend, daß uns die Gräfin in irgend einem der vielen schattigen Gänge entgegenkommen werde. Das Glück schien uns aber nicht günstig zu sein; denn wir bemerkten keine menschliche Seele, so sehr wir auch Gesicht und Gehör anstrengten. Unmuthig über unser Mißgeschick waren wir bereits willens, den Park zu verlassen, als wir einen Diener mit silberweißem Haar trafen, der unserer Vermuthung nach der alte Johann sein mußte, von dem der Schulmeister gesprochen hatte. Wir grüßten höflich. Der alte Mann erwiederte den Gruß freundlich und fragte uns, wie uns der Park gefalle.

„Es sind hier herrliche Anlagen“ sagte ich; „man findet dergleichen selten in unserer Provinz. Ueberall offenbart sich ein feiner Geschmack, und ich wünschte mir wohl so ein Stückchen Park auf meine dereinstige Landpfarre.“

Der alte Diener lächelte und stimmte mir bei, daß der Park schön sei, meinte aber, daß er drüben in Deutschland nicht wenige gesehen habe, die ihn an Schönheit überträfen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_190.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)