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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

spie, was gerade ausgesehen, als ob man einen Feuerteufel machte (der Satan war aber wahrscheinlich ein Sohn des Angeschuldigten). Bröckel und Weber glaubten wirklich, es sei der Teufel gewesen! Bröckel erhielt den Auftrag, zu des „Grafen oder Geistes“ Erlösung in das Kloster zu St. Leonhardt ein Opfer von 99 Fl. zu stiften oder er werde in 99 Tagen sterben, wo dann der Geist des Grafen erlöst, Bröckel’s Geist aber den Schatz hüten müsse. Bröckel gab jedoch das Geld nicht und die Sache zerfiel.

Ein anderer sehr vermöglicher Bauer, M. Schmoll, in Hausen, hatte auch einen Geist im Hause – seinen verstorbenen Schwiegervater. Jetter bannte denselben unter lautem Jammern und Gewimmer des Geistes bei Licht und Bibel: der Geist ließ sich nach Angabe der Schmoll’schen Eheleute von da an nicht mehr hören. Schmoll verkaufte ein paar Stiere und Jetter erhielt 200 Fl. von dem Gelde! Jetter bekannte nach längerem Läugnen dieses und sagte: das Gewimmer wäre von einer Katze hergekommen, die unter „argem Gemauzel“ die Küchenstiege herabgesprungen, von ihm aber gepackt, in einen Sack gesteckt und fortgetragen worden sei. Die Schmoll’s hätten aber geglaubt, es jammere ein Geist. –

Durch den Landjäger Kaller in Bemkenheim, welcher sich einen Plan machte, den Angeklagten zu fangen, wurde das Treiben des Jetter aufgedeckt, und es ergiebt sich, daß derselbe im Ganzen wenigstens 400 Fl. sich unerlaubter Weise verschafft hat. In seinem Verhöre gestand der Angeklagte fast sämmtliche Thatsachen insofern unumwunden zu, als er bei der ganzen Angelegenheit redlich zu Werke gegangen sei, und die empfangenen Gaben zwar nicht an das Kloster, aber doch zu sonst vielen wohlthätigen Zwecken, wie Almosen etc. abgegeben haben will; auch behauptet er, er habe, wie damals, so jetzt auch, den Glauben, das Schatzheben könne gelingen. Ueberhaupt bot das Verhör mit den Angeklagten und den Zeugen ein komisch-tragisches Schauspiel dar: man war erstaunt über die Verschmitztheit der Betrügenden und über die Bornirtheit der betrogenen Partei. Ja, man höre: anstatt daß die Hauptbetheiligten, nachdem ihr furchtbarer Aberglaube und Unsinn bereits während der zwei Tage andauernden Gerichtsverhandlung im Saale wiederhallt, jetzt zur Vernunft kämen, sind sie noch schnurstracks und beharrlich der Meinung, daß sowohl ihr Zauberer wirklich Geister erscheinen ließ, als daß sie auch selbst Geister gesehen und gehört haben. Z. B. der 70jährige Bröckel behauptet: vor ungefähr zwanzig Jahren sei ihm eine weiße weibliche Gestalt erschienen, habe ihn umarmt und fortzuziehen gesucht! Schmoll aber bleibt dabei, nach der Bannung durch Jetter habe sein Schwiegervater (welcher nach seiner Ansicht „geistet,“ weil er ihn in seinem Testament vielleicht etwas verkürzte!) nicht mehr rumort! Und wiederum hat der alte Bröckel von dem in seinem Hause verborgenen Schatz, z. B. auch eine goldene Sperrkette gesehen!

Der Angeklagte wurde für schuldig erklärt und unter Einrechnung eines Theils der unverschuldeten Untersuchungshaft zu einer Arbeitshausstrafe von drei Jahren und neun Monaten und zur Tragung sämmtlicher Prozeßkosten verurtheilt. Er vernahm das Urtheil mit großer Gleichgültigkeit.

Sie sehen, daß das Volk von Schwaben nicht so ungläubig ist, wie man es schon verschrien hat.




Das neue Rathhaus in Hamburg.

Die merkwürdige deutsche Stadt, einst Königin der Elbe und des Welthandels mit ihren Hanseschwestern, jetzt in dem merkwürdigen Rufe, daß sie eine Republik sei, in der That aber die abhängigste Gemeinde und Wirthschaft in der Welt, abhängig von England, abhängig von benachbarten und sehr entlegenen Staaten und deren Rescripten, ist mit eigenen, aber noch mehr von außerhalb zugeflossenen Mitteln wieder so schön aus ihrer Asche hervorgestiegen, wie selten ein Phönix. Die schönsten und prachtvollsten Bauten sind aber immer noch unterwegs und zum Theil nur erst in architektonischen Zeichnungen vorhanden. Die stolzeste neue Kirche (St. Nicolas) steckt noch im Rumpfe und der Thurm, welcher alle Thürme Europa’s nach dem straßburger Münster an Höhe übertreffen soll, fängt erst an, sich zu erheben. Von dem zweiten größten Prachtbau, dem Rathhause, fehlt nicht nur die Krone, sondern auch Alles vom Körper und Haupte, ja selbst der erste Anfang noch. Doch läßt sich an baldiger Vollendung unter Direktion des hamburger Hauptbaumeisters und Engländers Mr. George Gilbert Scott nicht zweifeln.

Wir geben aus seinen architektonischen Modellzeichnungen zu diesem Baue die Hauptansicht von der Vorderfront aus. Auch ohne besondere architektonische Bildung wird man leicht sehen, daß bei aller Pracht im Großen und Zierlichkeit im Kleinen dieses Bauwerks die Manie Scott’s, Alles zu gothiciren, an einem modernen Rathhause und republikanischen Regierungsgebäude durchaus nicht mit Geschmack angebracht ist. Der gothische Stil hat einmal einen romantisch-religiösen, durch Spitzbogen und Strebepfeiler, schlankes Emporstreben und Durchbrechung materieller, massiver Wände zur Durchsichtigkeit von brabanter Spitzen Materie und Irdisches verläugnenden, d. h. erhabenen Charakter. Im Rathhause soll aber die irdische Republik Hamburg regiert, nicht negirt, irdisches Geld gesammelt und vom Senate wieder zum Besten der Republik, d. h. für irdische Zwecke ausgegeben werden. Dabei denkt Niemand an den Himmel, und überhaupt hat die Republik Hamburg nichts Himmlisches. Der gothische Stil des Rathhauses drückt also in keiner Weise Etwas aus, was mit den Zwecken desselben irgend Etwas gemein hätte. Die gothische Form ist also hier eine eitele, leere, nichtssagende, mißbrauchte. Selbst der moderne, ächte Religions-Kultus strebt nicht mehr mittelalterlich-erhaben schlechtweg vom Irdischen los, sondern sucht es umgekehrt als göttlich zu würdigen und den Himmel auf der Erde, im Irdischen zu erkennen und zu genießen. Deshalb ist im Allgemeinen auch für Kirchen der gothische Stil keine lebendige, ästhetische Form mehr und gerade deshalb, weil er der herrlichste, gewaltigste, klassischste für das mittelalterliche Religions- und Kultus-Ideal, also für ein ganz historisch bestimmtes, historisch vergangenes Streben und Sehnen war.[1]

Für moderne Architektur-Aesthetik ist daher auch der Geist vom gothischen Stile gewichen. Man macht im großartigsten Maßstabe der Nachahmung z. B. am neuen Parlamentsgebäude zu London nur die Schnörkel, nur die Ausartung desselben mechanisch und thatsächlich mit der Maschine nach. Und die am neuen Rathhause zu Hamburg oben hinlaufenden Decorationslöcher sehen gar aus, als sollten die Frau Senatorinnen dort Wäsche trocknen.

Hamburg sieht prächtig aus in seinen neuen Stadttheilen, es würde aber eine schönere, geschmackvollere Physiognomie tragen, wenn es sich guten und großen deutschen Baumeistern anvertraut hätte, statt einem Engländer. In nichts sind die Engländer so verrufen, als in der Geschmacklosigkeit ihrer Architektur, in ihren Bauten, die im Durchschnitt weiter nichts sind, als mit Papier überklebte Zelte, barbarische Holz- und Steinhütten mit wildem Wachtfeuer im Kamin, mit Barbarei an den Wänden, überklebt mit Tapete, verhüllt mit Teppich und Wachstuch. Allerdings ist Mr. Scott einer der gebildetsten Architekten Englands, aber doch auch wieder für moderne Bautenschönheit ganz unbrauchbar, weil er nichts als schön anerkennt, als das, wofür er in irgend einer alten Kirche ein Muster und Ideal nachweisen kann, wegen seiner Gothomanie. Er ist gelehrt, geschickt, hat aber nichts Schöpferisches, keinen Schönheitssinn. Wir wollen hier nicht verrathen, weshalb Mr. Scott über die deutschen Architekten, die sich mit Modellen und Entwürfen für die St. Nicolaskirche einfanden, siegte, wissen aber, daß der meisterhafte Entwurf G. Semper’s aus Dresden (um es allgemein auszudrücken) nur von dem englisirenden Geiste in Hamburg zu Gunsten des Scott’schen zurückgewiesen ward.

Wie die Sachen nun stehen, muß man das Rathhaus und die St. Nicolaskirche und das ganze neue Hamburg eben hinnehmen, wie es ist und wird, obwohl gerade Deutschland und deutsche


  1. Mit den Ansichten unsers verehrten Mitarbeiters über gothische Architektur können wir uns doch nicht ganz einverstanden erklären.
    D. Redakt.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_188.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)