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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

lebten, kaum 1500 übrig ließ. Auch noch in neuerer Zeit haben rasende Stürme an dem Vernichtungskampf gegen die Friesen Theil genommen; wollten wir jedoch all’ dieser traurigen Katastrophen gedenken, so würden wir den Raum dieser Zeitschrift theils zu sehr in Anspruch nehmen, theils würden wir dem freundlichen Leser nur herzzerreißende Schilderungen bieten können. Ehe wir jedoch Abschied nehmen, wollen wir schließlich noch der Inseln Sylt, Amrum und der Halligen gedenken.

Die Ebbe war bereits eingetreten, als wir uns der Insel Sylt näherten, und da das Fahrzeug nicht hart am Ufer anlegen konnte, so nahm der Fährmann uns auf seinen starken Rücken, und trug uns an’s Ufer.

Die Kliffe und Dünen Sylts und Amrums gewähren bei klarem, schönem Wetter einen imposanten, großartigen Anblick; sie bilden einen Damm gegen das majestätisch einherrollende Meer, das diese von der Natur gebildeten, riesigen Dämme nicht zu durchbrechen vermochte, und hängt von ihrer Existenz wesentlich die Erhaltung der Inseln und der hinter ihnen am Festlande liegenden Marschen ab. An den Dünen wird die Gewalt der Wogen und des Sturmes gebrochen, und letzterer wirbelt und peitscht mit seinen Eisenhänden den Sand oft so mächtig, daß man sich eher in die Sahara, vom Tod verbreitenden Samum überfallen, als nach einer Insel der Nordsee versetzt wähnen könnte. Man nimmt an, daß die Dünen dort entstanden, wo das Meer sandigen Boden und Sandbänke genug hat, und wo diese dann, eine Ufergränze bildend, durch den Sand, welchen die Fluth heranwälzte, vergrößert wurden. Auf der, über das Meer emporragenden Fläche schlugen alsdann Gräser ihre Wurzeln und befestigten dadurch den lockern Boden; Wirbelwinde häuften den Sand immer mehr an, welcher durch die allmälig fortschreitende Vegetation fester gebunden, endlich als Düne dem dahinter liegenden Lande Schutz gewährte. Andre behaupten, daß diese Dünen, welche ihre Stirn gegen Westen wenden und dem Gischt und den Stürmen Trotz bieten, einst die äußerste Grenze des festen Landes bildeten. Dies hier näher zu entwickeln, würde uns zu weit führen. Der schwächere Theil der sylter Dünen befindet sich in der Mitte, aber die Bewohner haben bereits eine solche Fertigkeit in dem Anbau des Halms, des Sandroggens und Sandhafers erlangt, daß sie dadurch die Insel gegen die heftigsten Angriffe der Stürme zu schützen vermögen. So hängt denn gleichsam von kleinen und winzigen Pflanzen, welche den Boden befestigen und den Flugsand auffangen, die Existenz der Insulaner ab.

Der Charakter der Sylter ist ehrenhaft und höchst schätzenswerth, sie sind vortreffliche Seefahrer, wie alle Friesen mehr oder weniger. So wie auf Föhr besorgen die Frauen die Feldarbeit; die ältern Männer, welche nicht mehr zur See fahren, liegen dem Fischfang ob, und verfertigen aus dem Halm der Dünen Seile, welche zum Dachdecken benutzt werden, so wie Besen; auch als Viehfutter und Brennmaterial bedienen sie sich des Halms. Ferner vertritt getrockneter Dünger, sowie eine eigne Erdart, der Salztorf, welcher gegraben wird, die Stelle der Feuerung. Der Baumwuchs gedeiht aus Sylt nur kläglich, und die rauhen Winde der Nordsee lassen keine hochstämmigen Bäume aufkommen, und dennoch müssen einst Wälder die Insel geschmückt haben, da man noch jetzt beim Graben Baumwurzeln und Baumstämme findet. Die Häuser der Dörfer sind gleichförmig gebaut und massiv, die Gärten werden von hohen, schrägen Steinwällen umringt, vielleicht um die Sträucher, Stauden und Küchengewächse gegen die rauhen Winde zu schützen. Der Sylter ist Seemann in seinem ganzen Wesen, die Sylterin ist von junonischem Wuchs, fleißig und im höchsten Grade ordnungsliebend, thatkräftig und freundlich, und scheinen bei ihr alle guten Eigenschaften des Frauenzimmers vertreten zu sein; ihre Keuschheit ist sprichwörtlich geworden, und scheint sie darin mit den Kliffen ihrer Insel, welche allen Angriffen der Stürme und des Meeres Trotz boten, zu wetteifern. Ihre Vergnügungen bestehen in Ballspiel und Tanz, und wenn die Tanzenden vom Promeniren zum Walzen übergehen, so wird dies durch einen Kuß angedeutet, eine Sitte, deren Nachahmung gewiß viele Herren auf dem Festlande wünschten. Welcher Leser, dem es bestimmt sein sollte, einst Schiffbruch zu leiden, würde nicht wünschen, nach dieser Insel verschlagen zu werden! Von der Treue und Anhänglichkeit des Weibes auf Sylt mag uns eine alte Sage berichten.

Ein Landwirth gab, nachdem er sein Heu glücklich eingebracht, den Nachbarn, welche ihm geholfen, einen Ernteschmaus. Während des Festes entstand unter den Gästen ein Streit, und der Wirth, welcher sich hineinmischte, schlug im Zorne einen der Streitenden todt. Entsetzt über seine That entfloh er, da er jedoch nach einigen Tagen nicht wieder zum Vorschein kam, so glaubte man, daß er nach dem Festlande entkommen sei, und die Frau mußte nun für ihn die Mannbuße bezahlen, und zu diesem Zwecke einen Theil ihres Landes verkaufen. Durch die Arbeit ihrer Hände versorgte sie nun sich und ihre Kinder, bis auf einmal das Gerücht entstand, die fromme, brave, tugendhafte Ose, so hieß die Gemahlin des Todtschlägers, sei schwanger. Man wollte nun wissen, wer ihr Liebhaber sei und achtete auf alle ihre Schritte, und so entdeckte man bald, daß ihr Mann noch lebe, der sich während mehrerer Jahre in den Dünen versteckt hatte, wo er von seiner Gattin mit Speise und Trank versehen worden war. Das Ungewöhnliche seiner Erhaltung, so wie die Treue seiner Frau rührte die Herzen der Insulaner, welche den Wiederaufgefundenen in ihre Mitte aufnahmen. Aber zum Angedenken an die hochherzige That des edlen Weibes, welches nicht allein sich und ihre Kinder, sondern auch den Gatten durch die Arbeit ihrer Hände ernährte, nannten sie die Dünenschlucht, in welcher sich der Flüchtling so lange verborgen gehalten halte, das Osethal, welchen Namen es noch heutigen Tages führt.

Viele Dörfer, die früher auf Sylt standen, sind theils vom Meere vernichtet, theils vom Flugsand verschüttet worden, und mußten die Bewohner derselben sich immer weiter vor ihren unermüdlichen Feinden zurückziehen. Noch jetzt kommen dann und wann Trümmer von Häusern, Kirchen und Kirchhöfen zum Vorschein, welche an die untergegangenen Ortschaften erinnern. Die Dörfer Rantum und Nieblum haben mehrere Male dem herandringenden Flugsande, der die Felder verwüstete, weichen müssen.

In dem nördlichen Theil der Insel findet man auf der Heide noch viele Hünengräber oder Riesenbetten, welche aus der heidnischen Zeit herstammen; einige enthalten Grabkammern, und findet man in denselben Menschenknochen und steinerne Waffen. Diese Gräber lassen sich auf das sogenannte Steinalter und in die graue Vorzeit zurückführen, als die Bewohner die Metalle noch nicht zu bearbeiten verstanden. Dieser Hügel sind jedoch nur wenige vorhanden, in größerer Menge dagegen sind die runden Grabhügel vertreten, in denen man Urnen, welche Asche enthalten, so wie küpferne und bronzene Waffen findet. Diese Grabhügel stammen aus einer spätern Zeit, dem sogenannten Bronzealter, als man die Verstorbenen verbrannte und über ihrer Asche und ihrer Grabkammer die Hügel zum Andenken an die Entschlafenen errichtete.

Wir aber wollen uns nicht in die Vorzeit versenken, sondern uns mit den Friesen der Gegenwart beschäftigen, und so mag es denn auch nicht unerwähnt bleiben, daß sie es sind, welche uns in Menge die wahre Perlenmuschel der Nordsee, die Auster, fischen. Die Austern bedecken ganze Strecken des Meeresgrundes, und werden diese Lagen „Austernbänke“ genannt. Man findet sie zwischen den größern Inseln und den Halligen und dem Festlande, sie liegen in verschiedener Tiefe, einige 20 Faden tief, andere dagegen sind bereits bei der Ebbe, wenn das Wasser sich zurückzieht, dem Auge sichtbar. Zum Fang der Auster bedient man sich des Austernstreichers; es ist dies ein eiserner Rahmen, der circa zwei Fuß breit und ein Fuß hoch ist; die untere Stange desselben geht nach vorn messerähnlich zu, und hinten ist ein viereckiges, unten aus dickem Eisendraht, an den Seiten jedoch und oben ein aus Garn verfertigtes Netz, befestigt. Dies Instrument wird mit einem langen Tau verbunden, und läßt der Fischer dasselbe, wenn er sich über der Bank befindet, in’s Wasser hinunter; er fischt nun während des Segelns, indem der Streicher die Austern vom Boden löst, welche alsdann in das Netz fallen.

Auf Sylt findet man eine Entenkoje, welche mit ihrem Teich und den Bäumen, welche sie umringen, in der baumlosen Umgegend einen höchst freundlichen, wohlthuenden Anblick gewährt. Auf den Dünen trifft man in großer Menge Möven, Strandläufer, Kibitze, Seeschwalben und andere Seevögel an, welche der Landschaft ein eigenes Gepräge verleihen.

Umgehen von einer so großartigen Natur, wie wir sie zu beschreiben uns bestrebten, erblickte der hochherzige Patriot, Jans Uwe Lornsen, der, ein ächter Ritter, die Herzogthümer aufrüttelte und sie auf den Weg des Fortschritts führte, das Licht der Welt. Aber wie so viele Männer, welche für das Recht in die Schranken traten, wurde auch sein hochherziges Streben mit Verbannung

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