Seite:Die Gartenlaube (1856) 176.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

sein schlechtes oder gutes Aussehen. Er fing dann sofort an zu zählen, eins – zwei – drei etc. und so fort, bis die Anfragen oder Komplimente vorüber waren. Eines Tages nach einer längern erst eben überstandenen Krankheit, war er zu Tische geladen. Alles freute sich über sein gutes Aussehen, als er eintrat. Gegen Ende der Mahlzeit konnte es jedoch seine Frau nicht länger über sich gewinnen, zu verschweigen, daß er nur darum so gut aussehe, weil er sich geschminkt habe, als er in die Gesellschaft gegangen sei.

„Hast Du’s nun endlich vom Herzen herunter,“ sagte er darauf, „ist Dir nun leichter? Nun ja, ich habe mich roth angestrichen, um dem Bedauern wegen meiner Krankheit auszuweichen und lieber wegen meiner Gesundheit beneidet zu werden. Aber weil meine Frau eine solche Plaudertasche ist, so will ich nun auch das Maul nicht halten und erzählen, was mir mit ihr vor Kurzem auf dem Wege nach Erfurt passirt ist. Wir fuhren an einem blau blühenden Feld vorbei, und ich sagte: „Sieh’, wie schön der Flachs steht!“ Darauf weist meine Frau auf das Feld daneben und sagt, um ihre außerordentlichen Wirthschaftskenntnisse zu zeigen: „Auch das Werg daneben steht recht gut!“

Es dürfte übrigens wenig bekannt sein, daß sich Musäus seine Volksmährchen, die durch die geniale Einkleidung allerdings die seinigen wurden, von einem kleinen Kerl, einem gewesenen Tambour, Namens Rüppler, erzählen ließ, den er mit einer Pfeife Taback und einem Glas Schnaps in die geeignete Stimmung und Begeisterung zu setzen verstand.




Schlangen. (Nachtrag zu dem Artikel in Nr. 12.) Die Schlangen sind eine der größten Plagen der Naturforscher, weil sie sich nicht classificiren lassen und mit der größten Verschiedenheit die familiärste Gleichartigkeit verbinden. Linné theilte sie nach Lage, Zahl und Gestalt der Schuppen ein, aber diese machen nicht ihre innere Verschiedenheit aus. Andere machten andere Klassen, ohne damit Ordnung und Klarheit in diese scheußlichen Gewinde zu bringen. Wir halten uns an die natürlichste Art, sie zu unterscheiden: sind sie giftig oder nicht? groß oder klein? Was für ein Unterschied zwischen der 40 Fuß langen Liboga von Surinam und den Millionen Schlangen am Senegal und Kap der guten Hoffnung, die, nicht länger als 3 Zoll, große sandige Ebenen überdecken? Die Schlangen haben wie die Fische keine Grenze in ihrem Wachsthum. Ihre cartilaginösen Knochen sind in jedem Alter noch der Ausdehnung fähig. Man hat auf Java Schlangen von 50 Fuß Länge gefunden, die sonst blos höchstens 20 Fuß lang vorkamen. Auf Java giebt es eine Art, die einen ganzen Buffaloochsen zermalmt und ganz verschlingt.

Nach der Größen-Verschiedenheit bietet sich besonders der Grad ihrer Schädlichkeit als unterscheidendes Merkmal. Es giebt giftige und ganz unschuldige Schlangen. Das Schlangengift ist eins der merkwürdigsten und fürchterlichsten Präparate der Natur. Es tödtet oft auf der Stelle und verwandelt den ganzen vergifteten Körper binnen wenig Minuten in eine geschwollene, zersetzte, faul-gährende Masse. Das Gift sitzt in zwei großen Fangzähnen, die von der obern Kinnlade über die untere herabhängen. Schlangen ohne diese Fangzähne gelten durchweg für nicht giftig. In unserm Klima kennen wir blos die Viper als giftig, in Ost- und Westindien und den Tropen beschränken sich die giftigen auf die Klapperschlange, die Peitschenschlange und das Scheusal von Grausamkeit, die Cobra de Cabelo. Sie sind überall selten und selbst die Viper unsrer Gegenden kann als Rarität gezeigt werden. Man findet sie zuweilen zwischen trockenem, kalkigen Boden, von 1 bis 3 Fuß lang, schmutzig gelb mit schwarzen, rhomboidischen Flecken auf dem Rücken, die an der Seite dreieckig sind und auf dem Bauche in continuirliche Schwärze zusammenlaufen.

Die Klapperschlange kommt in keinem Theile der alten Welt vor und beschränkt sich auf die einsamen Theile Amerika’s. Die gewöhnliche Größe ist 4–5 Fuß mit einer Dicke etwa eines menschlichen Beines. Der Kopf ist groß, der Hals dünn, mit einer großen Schuppe über jedem Auge, das außerdem durch bewegliche Lider geschützt wird. Die Schuppen sind ungeheuer hart, orangefarbig mit allen möglichen Spielarten bis zum Schwarz. Das merkwürdigste Charakteristikum dieser Schlangen ist die Klapper im Schwanze von dünnen, harten, hohlen Knospen, die in leicht beweglichen Gelenken an einander gefügt sind und bei der leisesten Bewegung klappern und rasseln. Thier und Menschen fliehen im größten Schrecken vor dieser Musik, nur nicht einige Geierarten, welche davon angezogen, diese Musikanten geschickt zu packen und mit Appetit zu verzehren wissen. Im Uebrigen aber musicirt sie nur in der größten Einsamkeit. Jedes andere Geschöpf kennt instinktmäßig den schnellen, schrecklichen Tod von ihrem Bisse, obwohl sie, wenn nicht gereizt, mit der grazösesten Geschwindigkeit vor allen Thieren vorbeieilt, die nicht zu ihrer Beute gehören. Gereizt richtet sie sich blitzschnell auf, zieht den Kopf zurück und hackt ihre Zähne in den Feind. Der Biß schmerzt sofort ärger, als ein Bienenstich und wird mit jedem Augenblicke fürchterlicher, wobei alle Glieder schwellen. Selbst der Kopf dehnt sich entsetzlich aus, sobald das Gift ihn erreicht hat. Unter den entsetzlichsten Qualen, bald heftigem, bald stillstehendem Pulse, stirbt der Mensch in 5 bis 6 Stunden, während welcher zugleich alle Säfte zersetzt und in faule Gährung übergehen.

Vor einigen Jahren baute eine ausgewanderte Familie in Canada ihre Hütte an einen felsigen Abhang. Des Nachts wurde sie von einer ganzen Heerde Klapperschlangen, die unter dem Herde der Hütte lagerten, überfallen und größtentheils einem schrecklichen Tode geweiht. Kinder wurden in den Armen ihrer Mütter gebissen. Die Phantasie darf sich diese Schreckensscene kaum ausmalen, aus der nur zwei Menschen entkamen, welche sich durch’s Dach oben geflüchtet.

Die Fangzähne der Klapperschlangen behalten, ausgezogen, ihre tödtliche Kraft Jahre lang. Ein vom Biß derselben getödteter Mann hinterließ seine Stiefeln, durch welche er gebissen war, einem Erben, der ebenfalls starb. Der zweite Erbe der Stiefeln starb ebenfalls. Man untersuchte letztere und fand den Fangzahn einer Klapperschlange in dem dicken Hackenleder derselben.

Nach der egyptischen und Manilla-Giftschlange ist die Hutschlange (Cobra de Cabelo) die fürchterlichste. Sie ist 6–8 Fuß lang, größer und kleiner in ihren sechs verschiedenen Arten, hat einen katzenartigen Kopf (von hinten gesehen) und Augen, die von Weitem wie mit einer Brille bedeckt, aussehen. Die Haut ist weiß, nur durch Schuppen farbig. Ihr Biß tödtet nach etwa einer Stunde, während welcher die Säfte noch ärger zersetzt werden, als nach dem Biß der Klapperschlange.

Um noch ein Wort über die Zauberkraft der Schlangen zu sagen, mit welcher sie Thiere in ihren Rachen locken sollen, beruht dieselbe nach Dr. Hancock wesentlich auf dem lähmenden Schrecken, den sie einflößen. Thiere und Menschen fühlen bei dem Anblick eines so scheußlichen Gewindes, gegen welches keine Kraft und Geschicklichkeit etwas ausrichtet (Laokoon ist der tragischste Ausdruck dieses wehrlosen Entsetzens) sofort ihre Hülflosigkeit gegenüber dem entsetzlichsten Tode. Das lähmt alle Körper- und Willenskraft, das hindert Wehr und Flucht. Das ist die Zauberkraft der Schlangen. Ein Negersclave in den Sümpfen von Pomeroon ward beim Anblick einer Schlange, ohne daß sie ihn attackirte, ohnmächtig und für todt weg getragen. (es war eine Camoudi (textboa scytale), wie man fand, die am Orinocco bis 70 Fuß lang werden soll.

Die Zauberkraft von Menschen über Schlangen ist durch mannigfache Anekdoten bekannt und beruht besonders auf dem Klange gewisser Töne, wie denn auch die meisten Schlangen eine merkwürdige Passion für Musik haben, und nicht selten thatsächlich auf die graciöseste Weise auf ihren Schweif gestellt mit dem ganzen Oberkörper danach tanzen.

Die nicht giftigen Schlangen, von denen die gemeine schwarze Schlange bis 4 Fuß lang, die 10–11 Zoll lange Blindschleiche und einige andere in verschiedenen Theilen Europas bekannt sind, ließen sich im zoologischen Garten nicht mit Vortheil studiren, da verhältnißmäßig nur sehr wenige vorhanden sind. Man hält sich hauptsächlich an die Wunder von Größe, die die Python-Schlange, die Boa Constrictor und einige durch Färbung ausgezeichnete Sorten, deren Namen ich mir nicht gemerkt habe. Ich erwähne nur noch die Depona von Mexico wegen ihres unverhältnißmäßig dicken Kopfes und ihren ungeheuren Kinnladen. Die Hauptsache, welche ich mitnahm, war der Gesammteindruck der sich schwer beschreiben läßt. Die Schlangen, Gefüge in Linien ohne Glieder und Waffen, ohne Klauen, Krallen, Füße, Arme, scheinbar ganz, hülflos, und der erste ungeschickteste Versuch der Natur in Thierbildung, sind gleichwohl die allervollkommensten Thiere in der größten Einfachheit. Kein Geschöpf ist so elastisch, so gelenk und geschickt, so stark und so entsetzlich, keins so unerklärlich anziehend und abschreckend zugleich. Kaum ist die Natur fähig, etwas Entsetzlicheres zu bilden, als lebendige Wesen, die aus einer Linie bestehen, lebende Junge gebären (wenigstens mehrere Arten) und ohne Werkzeuge und Waffen die ausgebildetsten Thiere in ihrer höchsten Kraft zerbrechen. Die Umarmung, sonst überall das Zeichen der größten Liebe, ist ihre Kraft und Unüberwindlichkeit des tödtlichsten Hasses. Ihr Wesen ist tödtliches Umschlingen und kannibalisches Verschlingen des Getödteten. Sie sind Ueberbleibsel aus einer vormenschlichen Periode der Erde, und als solches das Menschenfeindlichste, was lebt, wie merkwürdiger Weise der Elephant, nach Ritter das nützlichste aller Thiere für den Menschen, ebenfalls Ueberbleibsel einer vorweltlichen Periode der Erdentwickelung ist.


Nicht zu übersehen!

Mit dieser Nummer schließt das erste Quartal und ersuche ich die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das zweite Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.

Für Oesterreich bemerke ich noch ausdrücklich, daß Bestellungen und Gelder nicht an mich oder die Redaktion, sondern an das nächstgelegene Postamt oder Buchhandlung einzusenden sind.

Ernst Keil. 

„Aus der Fremde“ Nr. 13 enthält:

In Japan. Von Wilhelm Heine. – Die höchstgelegene Stadt auf Erden. Mit Illustration. – Die Pelzjäger in Oregon. (Schluß.) – Aus allen Reichen: Briefe aus der Fremde. – Auch ein Mann mit einer eisernen Maske. – Die Kleidung auf den Sandwich-Inseln. – Allerlei Neues aus Amerika.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_176.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2023)