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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

mal sehen durfte ohne einen andern Zeugen als den Priester, der ihn zum Tode vorbereitete.

Es war eine erschütternde Scene. Johann Wittenborg hatte sich mühsam gesammelt und ging dem Tod mit erzwungener Würde entgegen. Am Meisten schmerzte es ihn, daß er sich in Bertram so getäuscht und daß er nun sein Kind elend und geächtet allein im Leben zurücklassen mußte, denn all’ sein großes Gut fiel an die Hansa als Sühnopfer für das, was er ihr verloren. Katharina beichtete ihm das Geheimniß ihrer Liebe – aber wie sie, um sein Leben zu erhalten, bereit gewesen, dieselbe zu opfern, so hielt sie jetzt die Hand des Vaters auf, die sie zur Braut des würdigen Heldenjünglings segnen wollte. „Nicht doch, mein Vater,“ sagte sie still. „Nicht der Braut Erichs – der Braut des Himmels gieb Deinen Segen, der sie in die Klosterräume begleiten soll.“

Und der Vater segnete weinend auch diesen Entschluß, denn er wußte wohl, daß es noch eine Zeit war, in welcher die Sünden der Väter auch an ihren Kindern gestraft wurden – und daß wohl auch der von Stufe zu Stufe schnell gestiegene Erich nun die Hand der Enterbten und Geächteten verschmähen würde, um seinen reinen Ruf nicht dadurch zu beflecken, daß er die Tochter eines hingerichteten Missethäters heimführe.

Katharina blieb standhaft bis zum letzten Augenblick. Als aber am folgenden Morgen ein entsetzlicher Trommelwirbel ihr verkündete, daß der Henker sein Werk an ihrem Vater vollzogen, sank sie leblos zusammen. Wie sie es schon vorher angeordnet, brachte sie Elsa unter sicherm Geleit des lübecker Rathes in ein Kloster zu Rostock. Wochenlang lag sie hier in einem hitzigen Fieber

Nur langsam erholte sie sich von ihm. Monate vergingen, und obwohl sie noch Novize war, lag sie doch schon allen Pflichten der Ordensschwestern mit Sorgfalt ob. Da ward sie eines Tages in das Sprachzimmer beschieden – und Erich stand vor ihr. Durch das Sprachgitter streckt er ihr flehend die Hand entgegen und rief:

„O, nimm sie und folge mir an ihr hinaus in das Leben der Liebe!“

Sie berührte die theure Hand – und wie ein elektrischer Strom zuckte Wonne und Leben durch ihr ganzes, fast erstarrt erschienenes Wesen – aber sie weigerte sich noch lange, ihm zu folgen, gedachte des Kummers um ihren Vater und der Schmach, die man im Leben um des Todten Willen auf sie häufe – aber Erich wies jedes Bedenken zurück und versicherte ihr, daß er sie nicht nach Lübeck zurückführen werde, sondern nach Schleswig, wo er eine Liegenschaft erworben, von der aus er Handel und Schifffahrt treiben und in seliger Ungestörtheit mit ihr leben könne. Da willigte sie endlich ein, entsagte dem Schleier und zog nach Jahresfrist als sein holdes Weib in die neue Heimath. Und ob sie auch das Geschick des Vaters nie vergaß, so erblühte ihr doch das süßeste Glück an der Seite des treuesten Gatten, wie ihm in ihrem Besitz.

Herr Bertram ward nicht Bürgermeister von Lübeck. Wie fein er sie auch verhüllte, man durchschaute doch seine arglistigen Handlungen, und ob auch davon nicht genug an den Tag kam, ihn gesetzlich zu bestrafen, so war es für ihn doch die entsetzlichste Strafe, daß er bei der neuen Wahl sich gar nicht beachtet sah.




Ein Besuch bei den Helden der Friedenskonferenzen in Paris.
(Mit Abbildung.)

Es war ein conservativer Krieg. Auch der Friede soll conservativ werden. Obgleich es eine alte Geschichte ist, daß, was man eben blos conserviren will, tödten und in Spiritus setzen muß und die Türkei, das specielle Objekt, welches conservirt werden sollte, auch bereits vollends todt gemacht ward (nur fehlt noch der Spiritus), glaubten doch wenigstens die Conservatoren etwas zu conserviren, sich. Das zeigt sich auch als starker Irrthum. Alle kriegführenden Parteien haben ihre Armeen und die Arme einer Million starker, arbeitsfähiger Männer und die Millionen, welche sie auf die Nationen borgten, verloren. England hat außerdem speciell die Glorie des Glaubens, die um seine Flotte, um seine Aristokratie, um seine „Freiheit“ strahlte, zugesetzt Und wer hat gewonnen? Ein paar Lieferanten, ein paar Pfandleiher. Die kriegführenden Mächte und die betreffenden Nationen haben alle nur verloren. Auch nicht ein Schmetterlingsflügel ist conservirt worden. Auch die nicht Kriegführenden haben nur verloren, zwei Jahre der Kultur mit mehrjährigen Nachwehen. Während man das große Ritterschauspiel aufführte, drängte sich das Publikum Europa’s in die Logen und ließ Geschäft und Haus und Herz und Kopf und Tasche unbewacht, und sperrte voll Bewunderung über die großen Scenen mit Donner- und Knalleffekt das Maul auf und merkte es gar nicht, wie ihm geschickte Taschenspieler inzwischen Geld und Uhr wegstahlen, Rechtsparagraphen, kleine durchgeschmuggelte Andenken an „Errungenschaften“ und dergleichen anmuthige Nippsachen.

Jeder vermißt etwas nach diesem vorläufigen Ende des conservativen Krieges. O und was und wie viel vermissen Tausende von Müttern und Frauen und Bräuten und Kindern und Greisen und Greisinnen? Es gab eine Zeit, wo halb England und halb Frankreich in Trauer gingen, und die Todtenlisten sich noch täglich enggedruckt und ellenweise verlängerten. Außerdem bezahlten die ihrer Jugend- und Produktionskraft beraubten Trauernden doppelte Steuern und doppelte Preise für Lebensmittel. Ja, wir haben Alle verloren durch diesen Krieg für die Erhaltung dessen, was die „Civilisation“ zu besitzen meinte. Blos mein liebes Deutschland hat verhältnißmäßig gewonnen. Zwar übte oft der Muth in der Brust seine Spannkraft, und wollte mitschlagen und bluten und fallen und wieder auferstehen für die Freiheit, die im Kaiser Napoleon eine so glänzende Krone trug und ein so reines, blankes Feldherrnschwert führte und die englischen Feldherren mit so warmen Gichtstiefeln versorgte; aber wir durften doch halt nun mal nicht, und so gewöhnten wir uns an Declinirung lauter Dinge keinerlei Geschlechts, was man Neutralität nennt auf Deutsch, und lasen Gartenlaube, spielten mit Bausteinen zu einer naturgemäßen Selbstheillehre, statt mit Kronen und Sceptern und Stern, studirten Natur und gewöhnten uns den stillen Trunk ab, dem wir uns so lange an den Quellen des Idealismus hingegeben, indem wir uns immer mit der schönen Stelle trösteten: „’s hilft am Ende doch!“ Und nun? Revalenta arabica ist Wicken- oder Bohnenmehl und die revalenta orientalis des Krieges, expreß im Großen zur Erhaltung und Stärkung der Gesundheit fabricirt, besteht aus noch schwerer verdaulichen, blauen, bleiernen und eisernen Bohnen, so daß selbst Petschens[WS 1] „Eppelwein“ in Berlin, obgleich verurtheilt, noch vorzuziehen wäre. Werden’s nun die Friedenspillen thun? I nun, wer gesund ist, kann viel vertragen und mancher Kranke, den eine starke Natur mit Gewalt kuriren will, allenfalls auch trotz einiger Pillen und Bullen wieder gesund werden. Insofern aber unser Gewinn während des Krieges wesentlich darin besteht, daß wir etwas von der Natur und der Selbstheillehre gelernt haben, werden wir auch alle Pillen, die wir uns nicht selbst gedreht haben, mehr als idealisirten Bohnen- Wicken- und sonstigen componirten Brei ansehen und uns dergleichen Artikel ohne Ideal-Preiserhöhung verschaffen, im Uebrigen uns aber nur auf das verlassen, was wir uns selbst zur Erhaltung, Herstellung und Stärkung der Gesundheit kochen und componiren. Dies befähigt uns auch zu einer mehr objektiven Auffassungsweise des Friedens-Pillen-Collegiums in Paris.

Die Friedens-Konferenzen wurden nach einem sehr europa-wichtigen Streite über den Vortritt zwischen zwei „Bevollmächtigten“ am 25. Februar Mittags um die erste Stunde im Hotel des auswärtigen Ministers an der Seine eröffnet. Stühle und Meubles und Pracht sollen viel kostbarer sein, als beim wiener Congreß 1815.

Graf Walewski, Minister des Auswärtigen von Frankreich, präsidirt. Als Napoleon I. auf der Höhe seines Ruhmes eine große Festlichkeit zu Warschau besuchte, ward er, der Held von Austerlitz, von einer polnischen Schönheit total geschlagen. Sie war Gattin eines bejahrten sarmatischen Edeln, und ihr junges

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Johann Christian Wilhelm Petsch (1804-1882); Vorlage: Pietschens
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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_170.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2021)