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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

dafür belohnen – wir feiern dann vereint das Fest Eures Glückes und meiner Wiedereinsetzung!“

Bertram lächelte – und indem er Katharina den Kuß raubte, den er sich gestern ausbedungen, sagte er: „Und sagt jetzt Katharina immer noch nein?“

Der Vater sah sie flehend an und flüsterte: „Auf seine Stimme wird das Meiste ankommen – wenn Du ihn verschmähst, so –“

Katharina ließ ihn nicht vollenden, sondern sagte, schnell ihr Haupt demüthig zur Erde neigend: „Für meines Vaters Leben und Freiheit giebt es kein Opfer, das ich nicht mit Freuden zu bringen bereit wäre!“

Bertram lächelte arglistig. Dann versprach er hoch und theuer, daß er Alles aufbieten werde, Wittenborg zu retten, daß aber seine Sache sehr schlimm stünde, da alle Heimkehrenden wider ihn zeugten, und die Hansa es nicht ungestraft hingehen lassen könne, wenn ihre Feldherren durch Pflichtvergessenheit eine ganze Flotte opferten – wem viel gegeben, von dem werde viel gefordert.

Kaum eine Stunde ließ er ihr Zeit, bei ihrem Vater zuzubringen, dann trieb er sie fort. Auf ihre Frage, wenn sie hoffen dürfe, den Gefangenen wiederzusehen, zuckte Bertram die Achseln und sagte, er habe nicht darüber zu bestimmen, doch wolle er auch hierbei sehen, was sein Einfluß bei der obersten Gerichtsbehörde und dem Hüter des Gefängnisses vermöge. In den nächsten Tagen werde es nicht möglich sein. Nur die Erlaubniß, ihm frische Wäsche und etwas Wein zu schicken, erhielt sie. Im Innern des Rathhauses trennte er sich von ihr. Sonst wäre es sein Stolz gewesen, mit ihr durch die Straßen Lübecks zu schreiten und er kochte oft vor Zorn, weil sie dies ehemals nie duldete, so oft er auch eine Gelegenheit dazu suchte – damals erschien es ihm als Ehre, die Tochter des Bürgermeisters zu geleiten – aber die Schmach, neben der Tochter des Gefangenen gesehen zu werden, vermied er sorgfältig, noch mehr den Verdacht, den man bei dieser Gelegenheit auf ihn werfen könnte. Er übergab sie einem Gerichtsdiener, um sie nach Hause zu geleiten und, wie er lächelnd sagte, vor den Insulten des Pöbels zu schützen.

Als Katharina wieder ihre Wohnung betrat und ihrer Haushälterin, der alten Elsa, Bericht erstattet hatte von Allem, was ihren Vater betraf, was sie jetzt erfahren und erlebt – daß sie Bertram schon zu Dank verpflichtet sei und daß er versprochen, die Rettung ihres Vaters aus so schwerer Gefahr und von so schwarzer Anklage zu versuchen – und daß, wenn dies ihm gelungen – Katharina vermochte nicht weiter zu sprechen, und Elsa kam selbst der Bebenden zu Hülfe mit Ermahnung und Zuspruch:

„Nein, liebes Kind,“ sagte sie, „wenn das Leben Eures Vaters davon abhängt, da dürft Ihr Euch nicht länger zieren und sträuben – und wenn’s Euch auch ein Opfer ist, Herrn Bertram’s Hand anzunehmen, so müßt Ihr es bringen. Es ist ja auch ein gar stattlicher und feiner Herr, der Euch anbetet und Ihr könnt gewiß recht glücklich mit ihm werden. Ihr habt Euch nun einmal überschwengliche Dinge in den Kopf gesetzt! Solche Minne, wovon die Meistersänger singen und Ihr aus ihren Versen und Sprüchen gehört, die giebt es nun einmal nicht in der wirklichen Welt – und auf was wollt Ihr denn warten?“

„Sprich nicht so weiter!“ bat Katharina, „ich weiß, daß Du nicht an wahre Minne glaubst und die Sänger schmähst – ich aber glaube an jene und weiß, daß diese Wahrheit singen – um kein Gut der Welt möcht’ ich ein Verbrechen begehen, wie das ist, einen Mann zu ehelichen, dem meine Minne nicht gehört – aber es braucht keine Ueberredung von Dir, wenn Gott dies Opfer von mir fordert, so kann ich für die Rettung meines Vaters Leib und Seele zum Opfer bringen, und Bertram’s Gemahlin werden – bete mit mir zu allen Heiligen, daß sie mir Kraft zu dem Opfer geben, wenn sie es mir nicht ersparen können – aber sprich mir jetzt nicht mehr von Bertram!“

Elsa schüttelte den Kopf, und um die liebe trostlose Herrin zu zerstreuen sagte sie: „Es ist auch indeß ein Brieflein an Euch angekommen mit gar schönen Schnörkeln um Euren Namen – der Ueberbringer that sehr geheimnißvoll damit, und da hab’ ich’s hinein auf Euren Nachttisch gelegt. Dem Boten war es gar nicht recht, daß Ihr nicht selbst da waret, er hat auch gewartet, aber länger konnte er sich nicht aufhalten, da er sagte, er müsse heute noch weiter reiten.“

Ahnungsvoll eilte Katharina in ihr Closet, da lag der Brief – sie riß das Siegel auf, er war von Erich. Er schrieb: „Meine süße Herrin! Nur zwei Zeilen laß mich Dir als Liebesbotschaft senden. Vielleicht hast Du es schon gehört, daß es in unserm siegreichen Seegefecht mir gelang, mich auszuzeichnen, und daß ich nun zum Lohn dafür der Führer eines großen Corps geworden bin. Wir sind in Dänemark gelandet, und ich stehe mit meinen Mannen unter dem edlen Grafen Heinrich von Holstein, der mich wie einen Freund behandelt. Er wird mein Brautwerber bei Deinem Vater sein! Denke an mich im frohen Hoffen und Gottvertrauen. Ich hoffe noch mehr Thaten für das Vaterland zu thun und noch mehr Ehren zu erringen – für Dich, mein Lieb. Deine Schärpe ist mein Talisman, mein Schutz in jeder Gefahr! Ich küsse jeden Tag die sinnigen Blumen, die Deine zarten Hände da hinein gestickt haben. Denke, wie wahr unser Lieblingssänger Walther von der Vogelweide singt:

 „Niedere Minne läßt den Mann erschlaffen
Und den Leib nach schlechten Freuden ringen,
Die Lieb’ ist nicht preiswürdig und thut weh.
Hohe Minne weiß den Reiz zu schaffen,
Läßt den Geist nach würd’ger That sich schwingen.
Die winket jetzt mir, daß ich mit ihr geh!“

Alles danke ich Dir und unserer Minne und bin nun der frohen Zuversicht, daß Du doch mein wirst, daß ich Dich mir erkämpft, wenn Du mir treu geblieben! Und Du bleibst mir treu, ich weiß es. Verbrechen wäre es, daran zu zweifeln! – Dein Vater ist wohlauf und glücklich über den Sieg. Seit wir aber gelandet, bin ich mit der Heeresabtheilung, der ich angehöre, schon um eine Tagesreise vorangerückt und von ihm getrennt – Ade! Sei fröhlich in Hoffnung! Mit tausend Küssen grüßt Dich, meine Heißgeliebte, Dein treuer Erich.“

Wie ward Katharina, da sie diesen Brief gelesen! Zuerst preßte sie ihn an die sehnenden Lippen, an das klopfende Herz – das Gefühl des unaussprechlichen Entzückens der Liebe faßte sie mit seiner ganzen Allgewalt, hob sie in den seligsten Himmel mit Sturmesflügeln empor – um sie im nächsten Augenblick in den höllischen Abgrund der Entsagung stürzen zu lassen.

Der Brief war an demselben Tage geschrieben, an dem der dänische Ueberfall der Hansaflotte geschehen war – Erich konnte noch nichts davon wissen. Katharina konnte nur den Trost daraus schöpfen, daß er dabei unbetheiligt und fern von diesem Schauplatz war, wenn nun auch auf keinem von minderer Gefahr – eindringend in Feindesland, im Rücken einen siegreichen Feind und die Rückkehr zur See abgeschnitten.

Katharina warf sich auf ihr Betpult nieder und rang unter tausend Schmerzen und Aengsten die ganze Nacht. Wie freudig wäre sie für ihren Vater in den Tod gegangen, aber es war mehr, was heilige Kindespflicht ihr gebot, wenn sie versuchen wollte, seine Freiheit, sein Leben zu retten: ihr ganzes Leben, ihr ganzes Liebesglück sollte sie opfern und das des Geliebten mit, eine Untreue an ihm begehen, eine Untreue auch an den heiligen Gesetzen der Natur, indem sie dem verhaßten Mann zum Altar folgen sollte.


V.

Die höchste Bundesgewalt der Hansa lag in den Händen der städtischen Abgeordneten, wenn sie auf den Hansatagen gesetzlich versammelt waren. Daselbst wurden alle für die Gesammtheit geltenden Beschlüsse gefaßt, Gesetze gegeben, Urtheile gefällt, Streitigkeiten entschieden und alle Verfügungen getroffen, welche den Bund betrafen. Allmälig war es üblich geworden, daß Lübeck als das Haupt der Hansa angesehen ward und man daselbst auch die Hansatage abhielt. In der Regel geschah dies alle drei Jahre auf Pfingsten; aber so oft es die Angelegenheiten des Bundes erforderten, ward ein außerordentlicher Hansatag ausgeschrieben, und zwar ward auch dieses Recht von Lübeck mit Hinzuziehung der wendischen Städte ausgeübt. Bei den Ausschreibungen wurden die Hauptartikel, die zur Berathung kommen sollten, angezeigt, damit die Abgeordneten mit hinreichender Vollmacht versehen werden konnten. Jede Bundesstadt hatte das Recht, Abgeordnete zum Hansatag zu schicken; doch wurde es den kleinen Städten nachgesehen, daß sie sich durch die Abgeordneten der größern vertreten ließen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_166.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2017)