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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

durch eine oder einige Gaben von Lutze’schen Hochpotenzen wie weggeblasen wurden, mag Jeder selbst in Lutze’s Schriften nachlesen. Auch wird man hier ganz naiv und ernsthaft erzählt finden, wie unarzneiliche Zuckerpulver Wunder verrichteten, allerdings nachdem viele Monate vorher ein Korn Sulphur X oder ein anderes Nichts mit Milchzucker gereicht worden war. – Nur die beiden im Leipziger Hospitale behandelten und von Herrn Arthur Lutze sattsam ausposaunten Fälle, wo Kranke, denen die Amputation ihres Fußes wegen eines Knochenleidens vorgeschlagen worden war, während (aber nicht in Folge) der Lutze’schen Behandlung allmälig gesundeten, mögen noch kurz beleuchtet werden. Wie früher (Gartenlaube 1855 Nr. 46) erwähnt wurde, werden gewisse Knochenleiden, auch wenn sie in den allermeisten Fällen durch Abzehrung und Eitervergiftung des Blutes zum Tode führen, doch bisweilen von der Natur geheilt. Da nun aber früher auf derartig Geheilte eine große Menge solcher Gestorbener kamen, bei denen man die Naturheilung erzielen wollte, da ferner durch die Amputation den meisten Kranken das Leben erhalten wurde, so ist es doch wahrlich die Pflicht jedes gewissenhaften und wissenschaftlich gebildeten Arztes bei derartigen Knochenleiden dem Patienten die Amputation vorzuschlagen; läßt sich dann Patient nicht amputiren und wird später doch noch und zwar unter der Hand irgend eines Heilkünstlers gesund (nämlich durch den Naturheilungsproceß), so wird darüber in der Regel ein großes Geschrei erhoben, welches in der That nur die Unwissenheit der Schreier, nicht aber die Heilmacht des Heilkünstlers bekundet. Und so verhält es sich überhaupt mit jeder andern scheinbaren Heilung durch einen kurirenden Laien.

Schließlich wollen wir noch berichten, daß die Königliche Polizei-Direktion in Potsdam in einem Berichte an den Magistrat zu Cöthen (vom 18. Aug. 1846) und an die herzogl. Anhalt. Medicinal-Commission (vom 8. Juli 1850) über Herrn Arthur Lutze schrieb: „daß wo derselbe in einzelnen Fällen sich der Heilung bedeutender Uebel öffentlich gerühmt habe und in seinen Schriften noch rühme, das Gegentheil davon bekannt worden sei.“ Aus dem Gesagten und fast wörtlich aus den Lutze’schen Werken entnommenen mögen sich die Leser nun selbst ihr Urtheil über Herrn Arthur Lutze bilden. — An Herrn Lutze reiht sich

Frau Graf in Schleiz,

oder um sogleich mit wenig Worten auch die geniale Heilmethode dieser Heilkünstlerin anzudeuten „die Frau Purgirheilkünstlerin Graf“; denn fast in jedem Recepte, von denen der Verfasser einen Haufen vor sich liegen hat, finden sich neben Sassaparille und Sassafraß abführende Stoffe (besonders Rhabarber, Sennesblätter und Manna). Diese Heilkünstlerin, eine wohlhäbige Müllerin aus Weberstädt gebürtig und von den preußischen Behörden ihrer Wunderkurirerei wegen nicht geduldet, scheint wie Herr Lutze ein mit übernatürlichen Kräften begabtes Wesen zu sein, denn wie sie schon durch das bloße Betrachten des übersendeten Urins der Patienten, die sie weder zu sehen noch zu untersuchen braucht, das Alter, Geschlecht, körperliche und geistige Verhalten derselben erräth, so erräth sie als Clairvointe die jedem Kranken dienlichen Heilmittel, welche nicht wie bei Herrn Lutze in homöopathischen Nichtsen, sondern bald in stark laxirenden Abkochungen von ganz gemeinen Kräutern und Wurzeln (die man jetzt von einem wirklichen Schleizer Doctor, der Assistentenstelle bei Frau Graf vertritt, auch in’s Lateinische übersetzt erhalten kann), bald in Bädern von Schafgarbe, Heusaamen u. dergl. bestehen. Die ganz einseitigen Vorschriften dazu stammen ohne Zweifel aus einem alten Receptbuche oder Rathgeber bei Krankheiten von Pferden und Rindvieh. Zum Beweise möge folgendes Recept dienen, welches Frau Graf einer zarten, brustkranken Frau in folgender Weise verschrieb: „1 Flasche alten Rheinwein, 1 Loth Carachen, 1 Loth Myrrhen, 1 Loth Sassaparille, 1 Loth Sassafraß, 1 Loth geschnittenes Süßholz, ½ Loth Rhabarber, ½ Loth Bittersüß, ½ Loth getrockneten Waldmeister (oder ein Händchen frischen dergl.), ½ Loth Tausendgüldenkraut, 1 Loth Stahlpulver und 1 Quentchen Safran. Vorstehende Species werden in dem Weine 24 Stunden lang, nicht zu warm ziehen gelassen und dann abgegossen, um davon stündlich einen Löffel zu nehmen. Dazu wird Morgens und Abends 1 Tasse Holzthee getrunken, wovon man 1 Loth in einem Nösel Wasser bis zu 2 Tassen einkocht.“ Derselben Patientin sendete Frau Graf, nach Besichtigung des Urins und gegen Entnahme von 1 Thlr. 15 Ngr., per Post folgendes Recept: „Sennesblätter, Rhabarber, Manna, Sassafraß jedes 1 Loth mit 3 Nösel bis zu 2 und ½ eingekocht; stündlich 1 Eßlöffel.“

Wir könnten spaßhafte und belehrende Geschichten aus dem Heilkünstlerleben der Frau Graf eine Menge erzählen, aber die Feder sträubt sich dagegen, denn es stimmt uns zu traurig und ärgerlich, wenn wir sogar gebildete Patienten, die sonst wirklich tüchtigen Menschenverstand zu besitzen schienen, zu einer ungebildeten Frau wallfahrten sehen, deren ganze Heilkunst blos im Abführen- und Badenlassen besteht und welche alle Uebel ganz über denselben Leisten und aus einem Topfe behandelt, höchstens mit diesem oder jenem Kraute wechselnd. — Darüber, daß die verehlichte Graf aus Weberstädt bei Langensalza, trotz der Protestationen der Aerzte und der Wissenschaft auf Lebenszeit die Concession erhalten hat, im ganzen reußischen Lande Kranke zu behandeln und einen Handel zu treiben mit selbstbereiteten Geheimmitteln (Choleratropfen, Flußtropfen, Augentinctur), kurz Rechte auszuüben, die keinem geprüften Arzte zustehen, darüber behalten wir unsere Gedanken für uns. Aber für eine gewissenlose und gefährliche Person erklärt, trotz dieser Concession, der Unterzeichnete die Frau Graf doch, und zwar hauptsächlich in Bezug auf ihre Behandlung der Augenleiden, die vorzugsweise im Einblasen von Alaunpulver in das Auge besteht. Mehrere mir bekannte Augenkranke, die durch eine Operation später wieder sehend hätten werden können, sind durch diese Behandlung der im reußischen Lande privilegirten Frau Graf unheilbar

erblindet.

Bock.




Kriegsbilder aus der Krim.
Nach den Tagebüchern eines Offiziers der chasseurs d’Afrique, mitgetheilt von Julius von Wickede.
(Schluß.)

Die beste Gelegenheit zu einem kleinen Handgemenge schien uns jetzt geboten zu sein, und das war es auch, was wir suchten, um die so schön begonnene Nacht auch würdig zu beschließen.

Mit heftigem Anprall stießen gerade in der Mitte zwischen dem Malakoffthurm und unserer Batterie die russischen und französischen Truppen zusammen. Geschossen wurde von beiden Parteien weiter gar nicht, nur das Bayonnet und der Gewehrkolben waren die einzigen Waffen, deren sich die Soldaten bedienten. Fast um das Doppelte so stark mochte die russische Kolonne sein wie die unsrige, und von allen Seiten drängten diese Soldaten in ihren langen grauen Mänteln, die unförmlichen aber sonst nicht unpraktischen Pickelhauben auf den Köpfen, heran.

Was machte aber diese Ueberzahl der Feinde auch aus, denn wenn es ihrer noch um das Doppelte so viele gewesen wären, sie hätten doch bald in ihre Werke zurückweichen müssen. Mit unbeschreiblicher Wuth stürmten unsere Soldaten vor, und stets da, wo diese unbehülflichen russischen Haufen am Dicksten standen, hinein.

„Nehmt nur die Offiziere auf’s Korn, tödtet nur die Offiziere,“ riefen unsere Commandanten und das Bayonnet fand gar bald Arbeit genug. Kaum einige Minuten hatte es gedauert und noch waren wir Nacheilenden nicht ganz bis zum Platz des Handgemenges vorgedrungen, da auf einmal löste sich der russische Haufen auf, und eben so schnell wie sie gekommen waren, liefen die meisten wieder ihren Werken zu. Unsere Zuaven und Tirailleurs wollten in ihrer Siegesfreude schon den fliehenden Feinden nachstürzen, als einige russische Geschütze heftig mit Kartätschen an zu feuern fingen, die in dieser Nähe ihre volle Wirkung hatten; zwar trafen dieselben mit ihren Schüssen eben so gut ihre eigenen Leute wie die unsrigen, das aber kümmerte die russischen Befehlshaber weiter nicht, wenn sie nur ihren Zweck erreichten, nämlich der weiteren Verfolgung von Seiten unserer Soldaten, Einhalt

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