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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

No. 12. 1856.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Johann Wittenborg und seine Tochter.
Geschichtliches Bild aus dem XIV. Jahrhundert.


I.

Seit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts war die Hansa gestiftet. Die Ostseestädte hatten sich zuerst zu einem Handelsbündniß vereinigt. Die Seeräubern, die in diesem Meere stärker als irgendwo getrieben wurde, die Nothwendigkeit gemeinschaftlicher Handelsunternehmungen und großer Handelsniederlagen in den nördlichen und östlichen Ländern, wo der Handel bei den zum Theil noch rohen Völkern keinen Schutz genoß, und die deutschen Kaufleute sich durch eigene Kraft Recht und Sicherheit verschaffen mußten – dies Alles hatte den ersten Anstoß zu solchem Bunde gegeben. Lübeck hatte des Beistandes wegen, den es den deutschen Heidenbekehrern in Liefland, Kurland und Preußen geleistet, von den dortigen Bischöfen und Hochmeistern große Gerechtsame erlangt, und die gleichen Begünstigungen zu genießen, mußten auch die andern Handelsstädte wünschen, welche die gleichen Märkte besuchten. Ja, sie hofften auch von diesem Anschluß an das mächtige Lübeck einen Rückhalt gegen ihre eignen Landesherren zu finden, welche sich nur zu oft Eingriffe in ihre bürgerlichen Freiheiten erlaubten! Und so traten immer mehr und mehr Städte dem Bunde bei, der aus dem anfänglichen „Verband der gemeinen Seestädte“, wie er sich lange Zeit nannte, zum mächtigen Bunde der Hansa wuchs. Hauptzweck war die Begründung und Erweiterung des Handels mit dem Auslande und Erwerbung und Behauptung von Handelsvorrechten, Freiheiten und Monopolen in fremden Ländern. Dann die gemeinschaftliche Vertheidigung gegen Angriffe, welche die Bundesglieder zu Land oder Meer, auf eigenem Gebiet, oder in der Fremde, des Handels wegen erlitten. Es galt das Land von Wegelagerern und das Meer von Seeräubern zu reinigen, eben so sich von den Bedrückungen und Plackereien zu befreien, welche oft von den Landesherren über den Handel verhängt wurden. Es war ferner Zweck der Hansa, ihre Mitglieder so viel als möglich von aller auswärtigen Gerichtsbarkeit frei zu machen und ihnen das Fortbestehen ihrer politischen Verhältnisse zu sichern. Auch hatte sie das Schiedsrichteramt in den Streitigkeiten der Bundesgenossen unter einander und bei den innern Zwistigkeiten der Magistrate mit den Bürgern in den Bundesstädten.

So ward die Hansa in mannigfache Kriege verwickelt, besonders mit den skandinavischen Mächten. Seit Norwegen und Schweden 1319 unter dem König Magnus Smek vereinigt worden und auch die ihrer Fischerei wegen für die Hansa so wichtige Provinz Schonen an sich gerissen, drohten der Hansa von dieser Seite immer neue Belästigungen. Magnus Smek verweigerte sogar 1333 die Bestätigung ihrer Handelsfreiheiten. Aber der Nationalhaß zwischen den Schweden und Norwegern schwächte seine Macht durch Unruhen im eignen Lande. Unglückliche Kriege gegen die Russen und Dänen kamen hinzu, die eignen Söhne empörten sich wider ihn, der Papst schleuderte seine Bannbullen und der schwarze Tod verheerte seine Reiche, und so mußte er, um nur einige Unterstützungen von den Hansen zu erhalten, ihre Freiheiten nicht nur bestätigen, sondern sogar erweitern.

Die von Dänemark eroberten Provinzen trat er wieder an den dänischen Thron ab, den Waldemar III. bestiegen. Dieser, übermüthig durch seine Erfolge und eifersüchtig auf die Macht der Hansa, verweigerte nicht nur die Bestätigung ihrer Rechte, sondern griff auch die Insel Gothland an, auf der die Stadt Wisby eine Hauptniederlage der deutschen Kaufleute war. Der größte Theil ihrer Einwohner bestand aus Deutschen, die sogar Antheil an der Regierung der Stadt hatten.

Um diese Zeit, 1361, war es, als der Bürgermeister Johann Wittenborg von Lübeck in höchster Aufregung von dem Rathhaus seiner Wohnung zueilte. Er war ein stattlicher Herr, der die erste Würde in einer freien Reichsstadt mit stolzer Haltung auf seinen geraden Schultern trug. Seine Amtstracht war mit den reichsten Verzierungen geschmückt, und wenn seine Hand, wie jetzt, an dem Griff des funkelnden Staatsdegens ruhte, der an seiner Seite hing, so war das für Alle, welche ihm begegneten, ein Zeichen, daß er Nachrichten von äußerster Wichtigkeit erhalten, die ihn das ganze stolze Bewußtsein seiner wichtigen Stellung gaben.

Seine Tochter Katharina, eine liebreizende Jungfrau von zwanzig Jahren, die an ihrem Fenster am Stickrahmen saß, in dem sie mit Goldfäden auf himmelblauen Sammet stickte, gewahrte den Vater nicht so bald unten auf der Straße, als sie schnell aufstand und mit der Arbeit in ein Nebengemach eilte, wo sie dieselbe in einem großen Schrein verbarg. Dann kehrte sie wieder an das Fenster zurück und schaute hinaus – aber mit Verwunderung gewahrte sie, wie der Bürgermeister statt in sein Haus, in das gegenüberliegende des reichen Kauf- und Handelsherrn Bertrand ging. Sie trat in das Zimmer zurück und warf sich in einen sammetnen Sessel, an dessen hohe Eichenlehne ihr schönes Haupt zurückwerfend. Auf ihrem Antlitz wechselten Glut und Blässe und tiefe Seufzer hoben ihren Busen.

Das Haus da drüben barg zugleich die Gegenstände ihres Hasses und ihrer Liebe. Der hochangesehene Besitzer desselben,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_153.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2017)