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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

sich bekanntlich strafrechtlich dadurch, daß bei jenem der Thäter mit voller Ueberlegung gehandelt hat, beim Todtschlage dagegen in einem Affekte, der die Ueberlegung ausschloß. Der erste Richter führte für seine Annahme aus: „Kurz nach ihrer von dem Grenzkosaken erlittenen Mißhandlung und dem Verlust ihrer Marginne überfiel sie Kummer und Sorge über ihren und ihres Kindes Zustand. Ihr ward sehr angst, so daß sie sich oder dem Kinde das Leben nehmen will. Da erwacht auf einmal der Gedanke in ihr, das Kind zu vergraben; sie denkt nun an nichts weiter und spähet nur an der Landstraße, ob sie nicht ein Loch finde, wohin sie das Kind legen könne. Ihr ist dabei ganz „dämelig“, wie sie ihren Zustand nennt, und ihr Blut ist bei Verrichtung der That so in Wallung, daß es ihr vorkommt, als wenn sich vor ihren Augen in der Erde etwas rege; Hiernach war sich Inquisitin zwar wohl ihres Verbrechens und des Zweckes desselben bewußt, aber eine wirkliche Ueberlegung, d. h. Abwägung der Verhältnisse und der Mittel zum Zwecke, fand bei ihr nicht statt.“

Der zweite Richter berechnete aus den Acten, daß die Angeschuldigte eine volle Stunde mit dem Gedanken, ihr Kind umzubringen, sich herumgetragen habe; und deducirte dann:

„In dieser Zeit überlegte sie wiederholentlich ihre und des Kindes trostlose Lage, und blieb nach allem Erwägen bei dem Vorhaben stehen, sich und dem Kinde durch dessen Tod zu helfen, und führte denselben trotz aller Bewegung ihres Herzens aus.“

Nach dieser Deduction hätte sie, wenn das Kind durch ihre Handlung getödtet worden wäre, laut des Allgemeinen Landrechts, Theil zwei, Titel zwanzig, §. 874, wegen Verwandtenmordes die Strafe des Rades von unten herauf mit Schleifung zum Richtplatze verwirkt. Da das Kind aber nicht getödtet war, konnte nur eine außerordentliche Versuchsstrafe gegen sie ausgesprochen werden, die auch vom zweiten Richter auf zwölf Jahre Zuchthaus bemessen wurde.

Es war dabei nur ein erheblicher Zweifel entstanden. Der §. 838 des Allgem. Landr. an der benannten Stelle verordnet:

„Ist die Absicht zu tödten schon in äußerliche Handlungen ausgebrochen, dadurch aber noch kein Schade verursacht worden, so hat der Thäter vier- bis sechsjährige Festungs- oder Zuchthausstrafe verwirkt.“ Der Paragraph wurde indeß darum beseitigt, weil im vorliegenden Falle wirklich ein Schade verursacht worden sei. Denn: „das Kind war, als man es fand, ganz blau im Gesichte, durch die Kälte erstarrt, es ächzte nur noch schwach und gab wenige Lebenszeichen von sich. Diese Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes ist ein, durch die That seiner Mutter ihm zugefügter Schade.“

Darum sechs Jahre Zuchthausstrafe mehr!

Es kann hier nicht Aufgabe sein, näher in eine Kritik der erlassenen Strafurtheile einzugehen. Ich hielt die Strafe für zu hart, wie ich sie noch für zu hart halte. Das legte mir in meiner damaligen amtlichen Stellung zwar nicht die Amts-, aber die Gewissenspflicht auf, ein Begnadigungsgesuch für die Verurtheilte zu entwerfen. Diesem wurde nicht unmittelbar stattgegeben, aber der König befahl, daß nach sechsjähriger Strafzeit über das Betragen der Verurtheilten Bericht erstattet werden« solle.

Bis zum Jahre 1836 hatte die Verurtheilte in dem Zuchthause zu Insterburg sich zur vollen Zufriedenheit der Beamten geführt. Ich wurde damals aus der Provinz Litthauen in die Provinz Sachsen versetzt, und hatte später keine Gelegenheit, Nachricht über Mare Müller zu erhalten.

Kriegsbilder aus der Krim.
Nach den Tagebüchern eines Offiziers der Chasseurs d’Afrique, mitgetheilt von Julius von Wickede.
(Fortsetzung.)

Wenn der Adjutant auch sonst noch so viel Eile zu haben schien, so viel Zeit hatte er dennoch, um den Inhalt des großen Punschglases, das Alphons ihm hinhielt, mit einem Zuge hinunter zu stürzen, dann rief er uns ein „Adieu, Kameraden!“ zu und brauste auf seinem Falben dahin.

So wie Alphons, der die zwei schon ungemein zusammengeschmolzenen Zuaven-Kompagnieen, die hier lagen, kommandirte, diesen Befehl des Adjutanten „Les Zouaves aux armes“ gehört hatte, sprang er sogleich mit lautem Jubelruf auf und ließ sich kaum noch so viel Zeit sein Glas zu leeren. „Hoffentlich giebt’s etwas Tüchtiges diese Nacht, Kameraden, es sind so schon vierzehn Tage her, daß wir mit den Russen zusammenstießen, und seit dieselben an der Tractir-Brücke so gewaltige Schläge bekamen, wollen sie gar nicht mehr recht anbeißen,“ rief er jubelnd aus, und war im nächsten Augenblick schon bei dem ersten Zelt seiner Kompagnie, was ungefähr einige dreißig Schritte von unserem Trinktisch lag. Diese Zuaven sind das gewaltige Bombardement bereits so gewöhnt, daß, trotz des heutigen Gekraches, Alles ruhig in den Zelten lag und so fest schlief, als befände man sich in der besten Kaserne der guten Stadt Algier. Auch kein einziger der Schlingel hatte es nur der Mühe für werth gehalten, den Kopf deshalb aus der Zeltthür zu stecken, mochten die Kanonen noch so arg krachen. Sie waren erst am Morgen vom vierundzwanzigstündigen Trancheendienst abgelöst worden, und der greift an und macht die Knochen müde, so daß man nachher gewiß einen festen Schlaf hat.

Kaum hatte Alphons aber die erste Zeltthür aufgerissen und mit seiner mächtigen Baßstimme sein „Zouaves aux armes, aux armes“ hineingebrüllt und war dann zu den nächsten Zelten geeilt, dort ein Gleiches zu thun, als es lebendig ward.

Vite, vite aux armes, allons donc“, rief es in den Zelten, und kaum einige Minuten vergingen, da stürzten die ersten Zuaven, zwar so viel man bei einigen Kienfackeln erkennen konnte, die wir Offiziere unterdeß angezündet hatten, in äußerst nachlässiger Adjustirung, wie es überhaupt so gern die Sitte dieser Schlingel ist, aber sonst vollständig mit Wehr und Waffen ausgerüstet aus den Zelten.

Aux armes, aux armes,“ brüllten sie laut und vor Freude, bis Alphons ihnen einen zornigen Fluch zurief und befahl, sie sollten ihre losen Mäuler halten und nicht mehr unnützen Lärm machen wie nöthig wäre. Als wenn die Bienen aus einem Bienenkorbe schwärmen, so eilten jetzt die Soldaten aus ihren Zelten. Die zuletzt Kommenden wurden mit tüchtigen Flüchen von den Korporals begrüßt und nicht wenig von ihren Kameraden als Faulthiere und Schlafratten verspottet, und kaum fünf Minuten waren vergangen, da standen die beiden Kompagnieen, freilich nicht viel stärker mehr wie eine einzige Kompagnie betrug, als sie sich in Algier einschiffte, völlig marschfertig da. Und wie jubelten diese Zuaven und freuten sich, daß sie jetzt wahrscheinlich Hoffnung hätten, mit den Russen recht bald in ein blutiges Handgemenge zu kommen, gerade wie die pariser Grisetten es thun, wenn ihre Liebhaber sie nach dem Ball Mabille mitnehmen wollen. Unter Lachen und Scherzen und Witzeleien ging es nun im Schnellschritt fort; Alphons, dem die Freude über das hoffentlich bald zu erwartende Gefecht so recht aus dem Gesicht leuchtete, stürzte noch im Vorbeilaufen an unserm Tisch sein Glas Punsch aus, rief „auf Wiedersehen, Kameraden, morgen bin ich todt oder eine Stufe wieder näher zum Colonel,“ und sprang dann seinen Leuten, die unterdeß schon fort getrabt waren, in eiligen Sätzen nach.

Dieser Aufbruch von Alphons und den anderen Zuaven-Offizieren hatte uns die Lust geraubt, um noch weiter ruhig an unserm Trinktisch sitzen zu bleiben; zudem war unser Feldkessel mit Punsch leer und zu einer zweiten Füllung desselben, wie wir sonst wohl gethan hätten, fühlten wir keine Neigung mehr. Als daher Einer der englischen Husaren-Offiziere, wirklich ein Prachtmensch, der verdiente, daß er bei uns Chasseurs d’Afrique dienen könnte, den Vorschlag machte, ob wir nicht auch nach dieser Batterie, die so heftig im Feuer war, hingehen wollten, um uns die Sache etwas näher mit anzusehen, nahmen wir diesen Vorschlag Alle mit lautem Jubel auf. Nur die sardinischen Offiziere, die von den Bersaglieris waren, durften sich nicht so weit von den Lagerplätzen ihrer Truppen entfernen, da sie am Ende auch noch hoffen konnten, in dieser Nacht allarmirt zu werden; wir Uebrigen von der Kavallerie hatten so leicht keine Aussicht dazu und konnten uns daher immer den

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