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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

reuiger, gläubiger, frommer Muselmänner haben sich durch tausendmeilige Wanderungen über Wüsten und Wildnisse hinweg den Titel Haji erworben, aber der ehemalige englisch-ostindische Lieutenant Richard Burton ist der erste Europäer und Ungläubige, der das Allerheiligste in Medina persönlich sah und der Erste, der genau und im Interesse der Wissenschaft, für die er reif’te, darüber Kunde gab.

Von der geographischen Gesellschaft in London beauftragt, führte er seine lebensgefährliche Mission in einer ganz neuen, originellen Weise durch. Kein Ungläubiger darf das eigentliche heilige Land der Muhamedaner betreten. Selbst Renegaten werden nur unter der argwöhnischsten Wachsamkeit zugelassen. So beschloß Burton, der Engländer, als geborner Muselmann sein Heil zu versuchen. Bald nach seiner Abreise von England steckte er sich in das Gemach und die Garderobe eines persischen Prinzen. Als solcher kam er in die Hände der egyptischen Polizei und Paßvisitatoren zu Alexandria, die ihn als persischen Prinzen sehr scharf bewachten. Durch Vermittelung des Consuls gelang es ihm, sich zum muhamedanischen Derwisch und Doctor zu machen und Erlaubniß zum Reisen in ganz Egypten zu erhalten. Er nannte sich Abdullah und reis’te zunächst nach Kairo, wo er mit einem merkwürdigen kleinen Manne, einem gebornen Russen, bekannt ward. Dieser, ganz Muselmann geworden und genau bekannt mit allen Verhältnissen, überredete ihn, seine Rolle abermals aufzugeben und sich zum Pathaner oder „Afghanen auf Reisen“ zu machen. Als solcher mußte er persissch, indisch und arabisch sprechen können, worin er sich auch bereits große Fertigkeiten erworben hatte.

Mit gläubigen Eltern, Sprachen und einer Profession, der eines Doctors, versehen, hielt sich „Abdullah“ nun für hinlänglich vorbereitet und sicher. Wie er sich in Kairo die Medicamente, ,Zaubersprüche und all den Hocuspocus, wie ihn das Volk dort haben will und er den wirklichen Arzt ausmacht, durch das eifrigste Studium erwarb, gehört nicht wesentlich zur Sache. Die große „Praxis“, in welche er kam, ward beinahe zum Hinderniß seiner Absichten. Er wies also viele Kranke ab und widmete sich eifrig dem Studium muhamedanischer Theologie, worin ihn der kleine Russe und ein besonderer Shaykh (Lehrer) bestens unterstützten. Er wählte die Shafei-Confession, als die freisinnigste und wegen ihrer Aehnlichkeit mit dem persischen Muhamedanismus oder „Shiah“, womit er schon ziemlich bekannt war. So studirte er Theologie und Volkssitten und curirte, was das Zeug hielt, bis er sich eines Tages mit einem derben Albanier so tüchtig betrunken hatte, daß Letzterer den großen Propheten lästerte und die braunen Gläubigen mit dem Stocke tractirte. Dadurch entstand ein fanatischer Volksauflauf, aus welchem sich unser Abdullah mit genauer Noth rettete, um sofort seine Pilgerfahrt anzutreten. Aber obgleich mit allen möglichen Kennzeichen und Eigenschaften des wahren Gläubigen versehen, so daß ihn der Frömmste und Strenggläubigste schwerlich entlarven konnte, fand er doch bald, daß er noch eine ganze Menge verdächtige Artikel wegwerfen mußtte. Messer, Scheeren, Trinkglas, Taschenpistol und selbst den christlichen Barbierpinsel mußte er wegwerfen, um statt des letzteren ein Stück, an dem einen Ende borstig gekautes Holz d. h. den gläubig-muhamedanischen Barbierpinsel, statt des Wasserglases ein Gefäß von Ziegenfell und statt anderer des Unglaubens und giaurischer Abkunft verdächtiger Gegenstände gläubige, einheimische anzuschaffen. Auch ein Buch mit weißem Papier und Bleistift warf er weg, weil ein vor ihm Reisender von Beduinen blos wegen eines solchen ermordet worden war. Eine grobe, persische Decke diente ihm·als Sopha, Stuhl, Tisch, Bett und Katheder, letzteres für Fälle medicinischer Predigten. In einer gläubig erbsengrün angestrichenen Kiste, mit der Eigenschaft, täglich zweimal vom Kameele zu fallen, ohne Schaden zu nehmen, barg er seine Apotheke. Ein wollenes Umschlagtuch gegen kaltes Wetter, ein Stück Leinwand zu einem Zelte und ein ungeheuer großer, hellgelber und kattuner Regenschirm vollendeten seine gläubige Ausstattung. Einige arabische Bücher nahm er nur zu dem Zweck mit, um vielleicht unter dem Scheine des Lesens und Studirens gelegentlich Notizen und Bemerkungen an deren weißen Stellen machen zu können. Zuletzt miethete er zwei Kameele, zu 3 Thlr. jedes, richtete sich auf denselben ein und schloß sich einer Karavane nach Suez (etwa 20 geographische Meilen von Kairo) an.

Auf der Reise durch diese öde Wüste traf er mehrere Personen aus Medina, die sich ihm anschlossen und auch auf dem Pilgerschiffe bis nach Yembo am rothen Meere bei ihm blieben. Yembo ist der Hafen Medina’s, wo immerwährend ankommende und abgehende Pilger im- und exportirt werden.

Am 18. Juli 1854 trat er in Begleitung von 12 andern Pilgern seine Landreise von Yembo nach Medina an, über eine brennende, phantastische Wüste von öden Hügeln, todten Ebenen und wüsten Thälern. Der Weg wand sich über Felsengebröckel, zwischen denen nicht einmal Kameelgras wachsen wollte. Ganze Tage und Nächte hindurch kein Halm, kein Vogel, kein Thier, nichts Lebendiges, Alles war todt gebrannt unter der erbarmungslos herabglühenden Sonne. Nur manchmal fand sich etwas Lebendiges ein, aber nur als fürchterliche Plage: stechende Insekten und Heuschrecken, die jede vegetabilische Spur in den Thälern bis auf die Wurzeln vertilgten. Die meisten Pilger schliefen während der Reise auf ihren Kameelen, denen nur immer Einer oder der Andere etwas vorspielte und sang.

Manchmal nach tagelanger Pilgerschaft durch brennenden Tod sah man eine Ortschaft liegen, stets verfallen und in Trümmern, Folge der alten Wahhabiten- und egyptischen Kriege, der „Heiligkeit“ des Landes und der türkischen Regierungsfaulheit. El Hejaz, das heilige Land, weit um die heiligen Städte, gehört auf ewige Zeiten den Nachkommen der alten Bewohner, welche von den Pilgern oder direct vom Raube leben und daher um so weniger an Bodencultur denken. Furcht vor den „Wüstenräubern“ fesselte die Reisenden nicht selten, da sie in dem Glauben leben, Rettung vor ihnen sei blos möglich, wenn man sich bei ihrem Herannahen nicht im Geringsten bewege und so den Schein öder Hügel und Berge annehme.

Nach der mühsamsten Reise über die noch nicht 30 deutsche Meilen lange Wüste zwischen Yembo und Medina, wozu man 8 Tage gebraucht, erreichte man endlich „das gesegnete Thal“ der arabischen Dichter, d. h. etwas weniger Wüste vor der heiligen Stadt selbst und an dessen Ende eine große, breite, schwarze Basalt- Treppe, die unmittelbar in die Stadt hinaufführt. Oben angelangt sahen sie Medina vor sich liegen. Aber Niemand wagte um sich zu blicken. Jeder kauerte sich nieder mit dem Gesicht den heiligen Boden berührend und betend. Mr. Burton oder Abdullah machte alle die Andachtsübungen so geschickt, daß er nicht den geringsten Verdacht erregte und hernach, hinter den Uebrigen reitend, sogar im Stande war, den Totalanblick der Stadt zu skizziren. Das Charakteristische der Stadt sind vier große Thürme und die golden blitzende Moschee, Masjid-el-Rabawi, –– unter welcher die irdischen Ueberreste Muhamed’s ruhen. Diese Moschee des großen Propheten war denn auch sein Hauptaugenmerk. Nachdem er sich gläubig gebadet, abgebrüht und sonstige vorbereitende Ceremonien durchgemacht, hüllte er sich in einen weißen baumwollenen Mantel und machte seinen „Zigarat“, seinen Besuch in dem Allerheiligsten. Der Tradition nach ist ein Gebet hier eben so viel werth, als tausend anderswo, so daß die Gläubigen in ihrem Glauben 1000 Procent Profit machen. Da nun jeder Pilger nach dem Zigarat vorschriftsmäßig jeden Tag, so lange er in Medina bleibt, fünf Mal beten muß und die Meisten 8–14 Tage, oft noch viel länger dort bleiben, um so viel als möglich solcher werthvollen Gebete zu erwerben, kehren sie auch alle mehr oder minder bereichert an solchem imaginären Kapital der Heiligkeit in ihre verschiedenen Wohnsitze, die bis in’s Innere Afrika’s, bis Timbuktu reichen, zurück. Man kann sich daher leicht denken, wie die Haji’s zugleich als große Kapitalisten der Frömmigkeit Verehrung finden. Außer der Propheten-Moschee hat blos noch die in Mecca, Masjid-el-Haram, die Eigenschaft, einem Gebete den Werth von tausend zu geben. „Der dritte heiligste Platz der Welt,“ Masjid-el-Aska — in Jerusalem, thut schon dies Wunder nicht mehr.

Mr. Burton fühlte sich schon beim Herantreten an die allerheiligste Moschee sehr enttäuscht. Der Weg ist dicht bis an das Gebäude selbst mit gewöhnlichen und gemeinen Bauten und Buden eingeengt. Man hatte von keiner Seite einen Gesamtüberblick. „Je mehr ich die Moschee ansah,“ sagte er, „desto mehr kam sie mir wie ein Museum untern Ranges, wie ein Raritäten- Laden vor, voller Ornamente und überfüllt mit ärmlichem Glanze.“

Wer dem Grabe des Propheten zum ersten Male nahe tritt, heißt ein Zaïr. Er darf blos in Begleitung eines Muzzawir oder privilegirten Führers kommen. Burton fand ihn in der Person seines Wirthes und Reisegefährten. Mit ihm durchwanderte er

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