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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Nach einer Weile trat die Hausfrau mit einem Napf Hafersuppe und einem Stück schwarzen Brotes in die Pirte; sie hatte gleichfalls geweint. Sie stellte Suppe und Brot. schweigend neben das Lager der Kranken und wollte sich wieder entfernen.

Mare Müller hielt sie zurück.

„Moterischka,“ sagte sie –

Moterischka (Mutterchen) sagen die litthauischen Dienstboten zu der litthauischen Hausfrau; den Hausherrn nennen sie Vaterchen.

„Moterischka, ist noch keine Nachricht vom Martin gekommen?“

„Nein, Mädchen; und morgen ist Jahrmarkt in Heidekrug,“ antwortete die Frau.

„Ich weiß es, Mutterchen.“

„Und der Gospadorus“ fuhr die Frau fort.

Gospadorus (Herr) nennt die litthauische Bauersfrau ihren Mann, wenn sie zu Dritten von ihm spricht. Sie sagt wohl zu ihm selbst so; in beiden Fällen nennt sie ihn auch manchmal Vaterchen

„Und der Gospadorus hat noch so eben auf seine Seligkeit geschworen, wenn nicht bis morgen Mittag, mit dem Glockenschlage zwölf, Deine Sache in Ordnung ist, so will er Dich mit dem Kinde vor die Thür werfen. Ich werde Dich nicht mehr beschützen können.“

Mare Müller weinte von neuem.

„Und mein Ohr vernimmt kein Wort vom Jurrot!“ sagte sie weinend.

„Kein Wort, Mädchen. Und mein Herz hat große Angst um ihn.“

„Welche Angst hätte Dein Herz?“

„Die jungen Burschen sind leichtsinnig. Wenn er Dich sitzen ließe mit dem Kinde!“

„Der Martin Jurrot hat keinen falschen Sinn.“

„Er hat Dir den Kopf verbunden.“

„Aber er wird sein Wort halten. Mutterchen, mache mir mein Herz nicht noch schwerer, als es ist.“

Die Frau antwortete nicht. Sie nahm die Klinke der Thür, um diese zu öffnen und die Pirte zu verlassen.

In demselben Augenblicke wurde die Thür von außen geöffnet.

Ein alter Mann, hager, lang, mit einem großen grauen Schnurrbart trat in die Pirte. Er war mit einem langen weiten Schafspelz bekleidet, auf dem Kopfe trug er eine Pelzmütze, die mit einem Rande von karmoisinrothem Tuche versehen war. Der rothe Rand der Mütze zeigte einen Beamten an. Diesen zeigten freilich auch seine kerzengerade steife Haltung, sein finsteres, würdevolles Gesicht, und ein großer Kantschu, den er in der Hand hielt.

Es war in der That der Berittschulz des Bezirks, eine Art von Executor des Landrathsamtes und zugleich von selbstständigem unterem Polizeibeamten. Dergleichen Beamten pflegen meist in hohem Grade von ihrer Würde eingenommen zu sein. Dieser war es doppelt, da er geborner Litthauer war, mithin gerade unter seinen Leuten seine amtliche Gewalt geltend machen konnte; er war es dreifach gegenüber ärmeren litthauischen Bauersleuten.

Er trat langsam und steif, mit strenger Amtsmiene in den engen Raum der Pirte.

„Guten Tag, Frau,“ sagte er kurz zu der Bäuerin.

Von der Kranken und ihrem Kinde nahm er keine Kenntniß.

Diekui, Pons Wachtmeisteris (Dank, Herr Wachtmeister),“ erwiederte die Frau demüthig.

„Frau, ist eine Person, Namens Mare Müller noch bei Dir?“

„Sie ist es, Herr Wachtmeister. Du siehst sie hier neben Dir.“

Der Schulz sah sich auch jetzt nicht nach der Kranken um.

„Rufe Deinen Mann her,“ befahl er der Frau.

„Was willst Du von ihm, Herr?“

„Rufe ihn, sage ich Dir.“

Die Frau verließ ängstlich die Pirte.

Der Beamte wandte sich zu der Kranken, steifer, finsterer, strenger.

„Mare Müller heißt Du?“ fragte er.

Mare Müller konnte vor Beben ihres ganzen Körpers kaum antworten.

„Ich heiße so,“ sagte sie, nur halb hörbar.

„Du bist aus Szamaiten?“

„Aus Russisch-Neustadt.“

„Also eine russische Unterthanin. Wohl gar eine Deutsche, Deinem Namen nach?“

Er stellte diese Frage mit großer Verachtung.

Mare Müller gewann einige Sicherheit wieder, als sie mit Genugthuung antworten konnte:

„Ich bin keine Deutsche, Herr; ich bin szamaitische Litthauerin.“

Der Litthauer hat eine Verachtung für den Deutschen, die größer ist, als sein Haß gegen diesen.

Der Beamte schwieg. Er schien sich in ein wichtiges Nachdenken zu versenken.

Die Hausfrau kehrte zurück; ihr Mann war mit ihr, ein kleiner, kräftig gebauter Mann, wie die meisten Litthauer mit einem breiten, harten Gesichte.

Er zog vor dem Beamten unterwürfig seine Pelzmütze ab.

Der Schutz rührte an der seinigen eben so wenig, wie bisher.

„Wie lange,“ fragte er mit seiner strengsten Amtsmiene den Bauern, „ist diese russische Unterthanin in Deinen Diensten?“

„Seit zwei Jahren. Morgen zum heidekruger Jahrmarkt werden es gerade zwei Jahre.“

„Warum hast Du sie der Polizei nicht angemeldet?“

„Mußte das geschehen, Herr Wachtmeister?“

„Es mußte. Und wer einen russischen Unterthanen bei sich verheimlicht, der verfällt in schwere Strafe bis zu zweihundert Thalern.“

„Ich meine, Herr, das zählte nur für russisihe Ueberläufer und Deserteure.“

„Schweig. Das muß ich besser wissen. Das königliche Landrathsamt kann Dich in eine Strafe von zweihundert Thalern nehmen.“

Auch der Mann wurde ängstlich.

„Zweihundert Thaler! Sechshundert Gulden! Soviel beträgt mein ganzes Vermögen nicht.“

„So wirst Du für den Rest sitzen müssen.“

Die Angst des Bauern verwandelte sich in einen großen Zorn.

„Was?“ rief er. „Um der Dirne willen! Das hat man davon, wenn man solch Gesindel bei sich aufnimmt! Sie soll mir auf der Stelle fort.“

Die Frau suchte ihn zu besänftigen.

„Vaterchen,“ sagte sie, „das Mädchen war immer treu und redlich und fleißig.“

„Eine liederliche Person ist sie. Sie soll mir auf der Stelle fort. Dirne, iß Deine Suppe, die neben Dir steht, und dann fort mit Dir und Deinem Balg.“

„Du hast ihr Frist gegeben bis morgen,“ hielt ihm die Frau vor.

Der Schulz kam dem Bauern zu Hülfe.

„Schweig, Frau,“ sagte er. „Die Person muß fort. Noch heute muß sie zurück über die Grenze. Wird sie in Preußen betroffen, so müßt Ihr die Strafe zahlen.“

„Aber warum, Herr Wachtmeister?“

„Sie hat sich heimlich im Lande aufgehalten, hat gar ein Kind hier geboren.“

„Sie will sich ehrlich verheirathen, Herr Wachtmeister.“

Der Schulz entsetzte sich.

„Verheirathen? Hier in Preußen?“

„Ihr Bräutigam wird heute oder morgen zurückkehren.“

Hier verheirathen? Das muß ich besser wissen. Dazu gehört für die Ausländerin obrigkeitlicher Consens, und der müßte von Berlin und von Petersburg kommen. Und daran kann man doch bei solchem Gesindel nicht denken. Höre, Frau, und auch Du, Mann: die Person muß noch heute fort. Als sie in der Kirche zu Werden ihr Kind hat taufen lassen, ist es bekannt geworden, daß die russische Unterthanin heimlich hier im Lande sei. Das königliche Landrathsamt weiß es noch nicht, wird es aber erfahren, wenn in einigen Tagen der Pfarrer die Tauflisten des vorigen Monats einschickt. Ist dann die Person noch da, so ist es für Euch zu spät; Ihr müßt dann die Strafe zahlen, oder Du, Mann, mußt dafür sitzen. Darum bin ich gekommen, Euch zeitig zu warnen. Jetzt thut, was Ihr wollt. Su Diewo (mit Gott)!

(Fortsetzung folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_128.jpg&oldid=- (Version vom 15.12.2017)