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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

In den Kothen beginnt nun die Arbeit der Sogger oder Salzwirker, die eine ungeheure Hitze auszuhalten haben, weshalb sie halb nackt gehen, da sie nur eine enganliegende schwarze Leinwandweste ohne Aermel und Leinwandhosen tragen, die bis an’s Knie reichen. Da stehen die Kohlenschütter und Schürer mit langen Eisenstangen vor dem gewaltigen langen Feuerherd, da tragen die Einen Braunkohlen zu, Andere beaufsichtigen die Versiedung, scharren die Salzkrystalle zusammen, scheiden das schwarze Salz, welches zur Viehfütterung dient, von dem reinen, und schaffen es auf die Dörrstuben (Trockenkammern), in denen eine Temperatur herrscht, daß einem der Athem vergeht. Die Stopfer endlich füllen das Salz beim Verkauf in Säcke oder Tonnen und die Lader verwahren die Säcke auf dem Wagen, auf dem sie abgeholt werden. Da vor Zeiten diese Arbeiter statt des Lohnes einen bestimmten Antheil Soole erhielten, die sie auf ihre Rechnung versotten, so hießen sie Gerenntner. Gegenwärtig erhalten sie indeß einen bestimmten Lohn in baarem Gelde. Wer in die Brüderschaft eintreten will, wird zuerst gelegentlicher Stellvertreter und heißt Riemen- oder Zipfelläufer; dann wird er „Unterläufer“, indem er von einem Gerenntner für immer als Stellvertreter gedungen wird, und nun erst kann er in die „Brüderschaft“ eintreten, indem er nach und nach die verschiedenen Arbeiterklassen durchmacht.

Als Beamte über diesen Arbeitern standen die Unterbornmeister oder Gabenherren, welche darauf zu sehen haben, daß die vorgeschriebene Quantität Soole in die Pfannen geschüttet wird, und die Oigker, welche sie hierbei unterstützen und ein Auge auf die Siedeordnung haben, woher ihr Name stammen soll. Ueber ihnen standen die Bornmeister, der Bornschreiber, der Beutelherr, der den „Thalverschlag“ (Salzrechnung) führt und der Salzgraf, welcher das Ganze zu leiten und in gesetzlicher Ordnung zu erhalten hat. Er ist zugleich mit den Uebrigen die Gerichtsbehörde und nennt sein Bureau das Thalamt, und seine Polizei den Thalvoigt.

Der Salzgraf vertritt des Königs Stelle, hat bei gewissen Gelegenheiten „Frieden zu wirken“ und mit dem Thalgut zu belehnen, was früher auch unter großer Feierlichkeit geschah. Die Lehnsbücher bestehen aus Blättern von Lindenholz, die mit Wachs überzogen und von einem Ahornrahmen eingefaßt sind. Von ihnen giebt es drei Exemplare; das eine liegt auf dem Thalamt, das andere auf dem Rathhause, und das dritte im Thurme der Marienkirche. War ein Lehen erledigt, so versammelten sich die Thalbeamten beim Magistrat auf dem Rathhause, nahmen dem neu eintretenden Pfänner den Lehnseid ab, trugen seinen Namen in die Lehnsbücher ein und begleiteten in Prozession das Kirchenexemplar an den heiligen Ort zurück.

Die Thalordnung schreibt nicht nur die Ordnung der Arbeit bis auf die Handgriffe und Stellungen dabei vor, sondern verlangt auch sittlichen Lebenswandel, Religiosität und Treue gegen den Lehnsherrn. In der That stehen auch die Halloren in dem wohlverdienten Rufe der Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit, da sie unter sich keinen Mann von schlechtem Wandel dulden und ein Vergehen unter ihnen wohl kaum im Jahrhundert einmal vorkommt. Eine treue Anhänglichkeit an das Königshaus haben sie von alten Zeiten her bewahrt und dieser Patriotismus ist mit Recht ihr Stolz. Es wurde nicht nur alltäglich vor Beginn der Schichtarbeit von der großen hölzernen Tafel vom Rufer oder einem Andern das vorgeschriebene Gebet vorgelesen, sondern am Tage vor Weihnachten und zu Pfingsten erscheint der Salzgraf feierlich mit seinen Beamten vor der versammelten Brüderschaft, um Frieden zu wirken, indem er die Versammelten zu einem rechtschaffenen Wandel ermahnt, das Raufen, Zanken, Unverträglichkeit u. s. w. verbietet, ein zufriedenes, ehrsames Familienleben einschärft, vorgefallene Unordnungen rügt und zur Besserung auffordert.

Die Thalordnung verlangt ferner, daß die Halloren bei Wasser- und Feuersnoth Hülfe leisten sollen, und da die meisten Halloren gute Schwimmer und Taucher, dabei von edler Nächstenliebe erfüllt sind, so sieht man sie bei ausbrechendem Feuer gewiß zuerst am Platze und beim Löschen am gefährlichsten Orte. Behend klettern sie über Dächer, steigen auf hohe Giebel, und sind unermüdlich im Helfen. Nicht minder bereit sind sie, ihr Leben zu wagen, wenn Jemand in’s Wasser gestürzt ist, so daß sie auch in dieser Hinsicht sich ein ehrenvolles Vertrauen erworben haben.

Da die Halloren bei ihrer Arbeitsordnung freie Stunden und Tage und trotz ihrer schweren Arbeit im Allgemeinen nur ein schmales Einkommen haben, so sind ihnen nicht nur besondere Beschäftigungen als Privilegien verliehen, sondern sie haben auch unter sich Vorkehrungen getroffen, um sich auch für Nothfall zu schützen. Von ihren Gerennten wird ein Theil als Kranken-, Wittwen- und Pensionsfond zurückgelegt und außerdem fließt ein Theil ihrer außerordentlichen Beiträge in die Lade der Brüderschaft, von welcher dann gewisse gemeinsame Ausgaben bestritten werden. Wenn der Hallore seinen freien Tag hat, dann nimmt er das große Vogelnetz, geht hinaus auf’s Feld, schlägt es dort auf, indem er die beiden Flügel desselben am Boden ausbreitet und mit lose angebundenen Vögeln besetzt, sich selbst aber in einiger Entfernung niedersetzt. So wie Staare und Lerchen dicht über das Netz hinfliegen oder sich niedersetzen, zieht der Hallore an der Zugleine, im Nu fliegen die beiden Netzflügel in die Höhe, klappen zusammen und halten den flatternden Vogel gefangen. Jüngere Leute sammeln sich des Abends im Spätsommer zum „Lerchenstreichen“ vor den Thoren, wo sie lange dünne Stangen stehen haben, mit denen sie stundenweit auf’s Feld wandern. Denn zwischen je zwei Stangen spannen sie ein großes Netz aus, tragen es über dem Boden hin, um in ihnen die aus dem Schlaf aufgescheuchten Feldsänger zu fangen, die als „Leipziger Lerchen“ wohl bekannt sind. Noch Andere angeln oder fangen im Wald Stieglitze, Finken, Drosseln u. s. w., obschon das Vogelfangen jetzt weniger betrieben wird als früher.

Die Halloren erfreuen sich endlich noch besonderer Vorrechte und Feste, die aus alten Zeiten stammen. Alljährlich senden sie zu Neujahr eine Deputation von drei Halloren an den König, indem sie ihm zum Neujahr in einem Gedicht gratuliren, und ihm dabei, wenn er bei Tische sitzt, eine Wurst, Sooleier in eine Salzpyramide gefüllt überreichen, wie sie ihm auch die ersten Lerchen als Lehensgabe darbringen. Der Eine überreicht die Gratulation, der Zweite die Geschenke und der Dritte schwenkt dabei die Fahne, was aber abgekommen ist. Zum Dank werden sie im Schlosse gespeis’t. Dafür haben sie aber auch den Vorzug, daß sie jedem König nach der Thronbesteigung in feierlichem Aufzuge besonders huldigen, zu welchem Zwecke ihnen der König ein Pferd, um den Salzbrunnen nach alter Sitte zu umreiten und eine Fahne schenken muß, und daß sie alle zwei Jahre einen festlichen Aufzug und Pfingstbier halten. Da geht es denn recht festlich zu, denn sie erscheinen bei diesen Gelegenheiten in ihrem bunten Staate, mit einer Reihe Fahnen und eigenthümlicher Trommelmusik. Ein solcher Aufzug ist für Halle ein besonderes Fest, denn eine uralte, fast verschollene Vergangenheit erscheint wieder lebendig in ihrer Herrlichkeit und ihrem frischen Volksleben.

Lange schon haben die Halloren gespart, um die Kosten des Pfingstbieres zu erübrigen, zu denen das Thalamt durch den Beutelherrn (Rendanten) einen guten Beitrag zuschießt, und die Anzüge des Hauptmanns und Fahnenträgers gemustert, welche als Gemeingut in einem besondern Lokal aufbewahrt werden, wie denn auch die Silberknöpfe und kostbaren Brautkränze in der Familie von Geschlecht auf Geschlecht erben. Ist der Morgen des dritten Pfingsttages angebrochen, so wirbelt im Thale die volltönende Trommel und ruft die ganze Brüderschaft, auf dem Sammelplatze zu erscheinen. Da kommen sie denn in uraltem Schmuck, in pelzgefütterten Röcken, deren Tuch roth, grün, hellblau, schwarz aussieht, wie denn auch auf den Dreimastern bei den Obermeistern bunte Federn schwanken, während bei Andern der Hut oben mit rothen Federn eingefaßt ist. Wie blitzen da die Silberknöpfe an den seidenen Westen und die Silberschnallen an Schuhen und Kniehosen, und wie sauber schimmern die weißen Schuhe, blauen Schärpen, blauen Kniebänder und Federn der Fahnenträger und Vorsteher! Bald sind Alle beisammen und ziehen nach dem Thale, wo die Fahne geschwenkt wird, wobei der Fahnenträger seine·Gewandtheit und Kraft zeigt, und die Trommler in langen Wirbeln, im Abnehmen und Anschwellen des Tones große Geschicklichkeit beweisen. Hierauf bringt man die Bruderlade, worin die Kostbarkeiten der Brüderschaft aufbewahrt werden, aus der Moritzkirche in das Wirthshaus, wo das Pfingstbier abgehalten wird. Nun wird der Salzgraf mit seinen Beamten abgeholt, damit er unter der Maie auf dem Hofe des Pfingstbierhauses Frieden wirke und die vier gewählten Vorsteher der Bruderschaft bestätige, sowie auch die zwölf Scheidemeister, welche Streitigkeiten entscheiden. Diese vier Vorsteher führen dem Salzgrafen und Bornschreiber die beiden Kranzjungfern

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_119.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)