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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Die Liebe hat Sie zu einem Chiotto gemacht!“ rief ich verwundert aus.

„Vielleicht auch zu einem Werther!“ gab er lächelnd zur Antwort.

Unser erster Weg war der nach dem Hutmagazin. Auf dem blauen Schilde über der Thür stand in Goldbuchstaben der Name Henri Bourdaloue. Wir traten ein, und statt der Schönen empfing uns heute ein Diener. Anatol gab die Marke ab, und empfing dafür seinen alten Hut. Wir hatten keine Hoffnung, das Mädchen zu sehen. In dem Augenblicke, als wir uns entfernen wollten, fuhr ein Fiaker vor die Thür. Eine Dame in Hut und Shawl stieg aus – es war unsere Verkäuferin. Ein flüchtiges Roth erschien auf ihren Wangen, als sie den Maler erblickte, der grüßend seinen Hut zog. Sie dankte in sichtlicher Verwirrung und verschwand in dem Innern des Magazins.

„Gehen wir!“ flüsterte ich meinem Freunde zu, denn ich sah das Lächeln der Diener.

Wie einen Träumenden zog ich ihn auf die Straße hinaus. Wir benutzten den Fiaker zur Fahrt in die Restauration, wo wir unser Mittagsessen einzunehmen pflegten. Wir tranken heute mehr Wein als sonst, aber Anatol erlangte seine muntere Laune nicht wieder. Mußte ich mir auch bekennen, daß das Mädchen wirklich von ausgezeichneter Schönheit war und daß ihre Erscheinung, als sie Hut und Shawl trug, mich, den ruhigen Deutschen, entzückt hatte, so mußte ich mich dennoch über die völlige Umwandlung meines Freundes wundern. Der Engelskopf schien seine Leidenschaft zu nähren, denn in den folgenden drei Tagen sann er nur auf Mittel, eine Anknüpfung mit dem Gegenstande seiner Liebe zu treffen. Aber alle waren unanwendbar, wenn wir uns dem Gespötte der Diener nicht aussetzen wollten. Mehr als einmal gingen wir täglich an dem Magazine vorüber – aber leider sahen wir nur die lächelnden Gesichter der Commis hinter den Fensterscheiben, denen das Benehmen meines armen Freundes aufgefallen war. Es mochte wohl nicht das erste Mal sein, daß ein Verehrer der Schönen Annäherungen gesucht hatte.

„Ich weiß ein Mittel,“ sagte ich am vierten Tage unserer vergeblichen Bemühungen.

„Nun?“ fragte Anatol hastig.

„Sie treten morgen die Reise zu Ihrem Onkel an, und ich begleite Sie. Das Wetter ist schön, die Abwechselungen auf der Reise werden Sie zerstreuen, und ich wette, Sie lächeln über das Abenteuer, wenn wir zurückgekehrt sein werden.“

„Wetten Sie nicht, mein Freund!“ antwortete Anatol mit einem schmerzlichen Lächeln. „Aber wie es auch kommen möge – Ihr Vorschlag ist vernünftig, ich nehme ihn an, und morgen reisen wir.“

Wir trafen unsere Vorbereitungen, und am nächsten Morgen früh sechs Uhr bestiegen wir eine Diligence. Der große, bequeme Wagen war nur von fünf Personen besetzt, unter denen uns ein Mann im hohen Greisenalter auffiel. Sein durchfurchtes Gesicht war ernst, fast streng, und in seinem ganzen Wesen lag etwas Feierliches. Trotz seines hohen Alters waren alle seine Bewegungen energisch und seine feinen Kleider gewählt und auffallend sauber. Sein schneeweißes, noch ziemlich dichtes Haar war kurz gesehnitten, ebenso sein starker Schnurrbart. Man hätte ihn für einen pensionirten Major, für einen alten Chef der Finanzen oder für einen ci-devant-Consul von Batavia halten mögen. Der Kopf des Greises war schön, und Anatol flüsterte mir zu, daß er diesen Abend eine Skizze davon anfertigen wolle.

„Ich wette,“ fügte er hinzu, „daß unser Reisegefährte, der jetzt so still in seiner Ecke sitzt, einst eine bedeutende Rolle in der Welt gespielt hat.“

Es schien, als ob mein Freund sich seinen Liebesgedanken entreißen wollte, denn er suchte mit dem interessanten Fremden ein Gespräch anzuknüpfen. Dieser aber knöpfte ernst seinen olivenbraunen Ueberrock bis dicht an das Kinn zu und legte seinen Kopf in das Polster des Wagens. Mir schien, als ob der dicht verschlossene Rock das Symbol seiner Klugheit sei, denn ich fand, daß er bei der Unterhaltung nicht minder verschlossen war. So geschickt Anatol seine Fragen auch stellte, der Greis antwortete so kurz und vorsichtig, daß wir über seinen Wohnort und über den Zweck seiner Reise nicht den geringsten Schluß bilden konnten. Aus dem Gespräche, das bald wieder steckte, errieth ich nur, daß der Greis früher große Reisen durch Europa gemacht hatte, und aus diesem Grunde hielt ich ihn für einen Diplomaten.

Die Unterhaltung bewegte sich um Politik, ein Thema, das sehr nahe lag, da sich bereits die ersten Symptome der Revolution von 1848 zeigten. Jeder sprach seine Meinung aus, und Anatol, der für den großen Napoleon schwärmte, war der Ansicht, daß bei einem Wechsel der Dynastie für die Napoleoniden einige Chancen vorhanden seien. Da belebte sich das contemplative Gesicht des Greises, und wie elektrisirt rief er aus: „das ist die einzige mögliche, richtige und wünschenswerthe Lösung der unheilvollen Wirren !“

Dann fügte er einige Worte von militärischem Ruhme, der den Franzosen über Alles theuer sein müsse, hinzu.

Ohne Zweifel war unser Mann ein hochgestellter Offizier, der unter seinem zugeknöpften Rocke sicher einige Ordenszeichen zu verbergen suchte. Ich war so kühn, die Frage an ihn zu richten:

„Haben Sie lange gedient, mein Herr?“

„Ich bin allerdings mehr als einmal der großen Armee gefolgt,“ antwortete er, „aber nie als Militär.“

Schon gewann die Ansicht sich in mir festzustellen, daß er ein Steuerbeamter oder sonst eine Finanzperson in einem der eroberten Länder gewesen sei, als leider ein Reisegefährte durch seine Frage auch diese Ansicht wieder umwarf. Er fragte nämlich den Unbekannten, ob er bei der Armee den großen Kaiser in der Nähe gesehen habe.

„Meine Reisen hatten nur den einen Zweck, mich dem Kaiser zu nähern!“ war die Antwort.

Das klang sehr stolz; aber in welcher Eigenschaft näherte er sich dem Kaiser? Nun ward ich von einer Vermuthung zu der andern gebracht. Aus einigen Worten über die schlechten Handelsaussichten schloß ich, daß mir ein Negociant gegenüber sitze; dann wieder aus der Art und Weise, in der er von dem kaiserlichen Hofe sprach, er sei Kammerherr gewesen. Endlich verlor ich mich in Conjecturen, wovon eine die andere wieder aufhob.

In dem Städtchen Fougères forderte man uns die Pässe ab. Der Unbekannte zeigte dem Gensd’armen sein geöffnetes Papier. Da ich an der Seite des Wagens saß, wo der Sicherheitsmann stand, warf ich begierig einen Blick hinein – ich las den Namen Bourdaloue, denselben Namen, der über dem verhängnißvollen Hutmagazine stand. Ich verbarg Anatol diese Entdeckung, um ihn nicht an seine unnahbare Schöne zu erinnern. Wußte ich auch nicht, ob der Greis zu dem Besitzer des Magazins in irgend einer Beziehung stand, so hatte er dennoch an Interesse gewonnen. Wir fuhren weiter. Anatol, der bisher die Seele des Gesprächs gewesen, hing sinnend den Kopf auf die Brust herab; er dachte ohne Zweifel an seine Schöne. Mein Mitleiden ward wach, und ich nahm mir vor, auf der nächsten Station den Alten ohne Umstände zu fragen, ob ihm die Firma Bourdaloue in Paris bekannt sei. Bei dieser Gelegenheit hoffte ich Näheres über das Mädchen zu erfahren. Ich überlegte nun, wie ich meinen Plan am geschicktesten ausführte. Nach einer Stunde kamen wir in Antrain an. Zwei Passagiere verließen uns, und ein neuer stieg ein. Dieser war ein alter jovialer Offizier in der Armeeuniform. Kaum hatte er sich gesetzt, als er ausrief:

„Ah, Papa Henri, Sie finde ich hier? Das ist vortrefflich! Nun sollen Sie mir nicht wieder entkommen, bevor ich nicht das feste Versprechen von Ihnen habe, daß Sie mir einen Ihrer kostbaren Hüte abtreten wollen. Der älteste und am meisten gebrauchte ist mir der liebste. Ich muß wahrlich Gewalt anwenden, da Sie sich weigern, Geld für Ihre Reliquien zu fordern.“

Anatol sah mich mit großen Augen an. Von einem Hute war bereits gesprochen worden, wenn er nur noch den Namen Bourdaloue hörte, den ich bereits gelesen hatte –! Ich verwünschte den Zufall, der, wie es den Anschein hatte, den armen Anatol an das Abenteuer erinnern sollte, das er in den Zerstreuungen der Reise vergessen wollte.

Papa Henri blieb ernst wie zuvor.

„Kapitain,“ gab er entschieden zur Antwort, „Alles was ich besitze, steht zu Ihren Diensten; nur meine Hüte nicht, denn sie bilden ein Museum, das die französische Nation in kurzer Zeit sehr hoch schätzen wird. Die Reliquien bleiben beisammen, und wenn ich keinen würdigen Erben hinterlasse, der Ehrfurcht vor den Heiligthümern hat, so vermache ich sie meiner Vaterstadt Nantes.“

Anatol nahm seinen Hut ab, betrachtete ihn und flüsterte mir mit einem Seufzer zu:

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