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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Die Deutschen in Amerika.

Es war einmal ein reicher Mann in Italien, der haßte aber sehr die Deutschen. Deutsche kochten für ihn, musicirten für ihn, bauten und bildeten für ihn und wußten und machten Alles besser, als er selber und alle seine Freunde. Das war eben sein Aerger, zumal da sich die Andern noch mehr ärgerten und ihn aufhetzten. Nichtsdestoweniger behielt der reiche Mann, ein italienischer Fürst, seine Deutschen, nur daß sie bei jeder Gelegenheit geneckt, verhöhnt und der Dummheit und Anmaßung bezüchtigt wurden. Unter solchen Verhältnissen rückte einmal der Geburtstag des Fürsten heran, zu welchem großartige Vorbereitungen getroffen wurden, z. B. auch eine theatralische Vorstellung. Wie der Vorhang zu derselben aufgegangen war, sah man in einer schönen Gegend einen jungen Mann unter einem Baume lesen. Wie er nun so las, öffnete sich die Versenkung und der alte Consul Cicero, bekanntlich der beste Lateiner, stieg als Geist, aber sichtbar, hervor, um sich einmal das neue Rom zu besehen. Er erblickt den jungen Mann lesend.

„Entschuldige, civis, Bürger,“ sagt Cicero, „was ist das für ein merkwürdiges Ding da?“

„Ein Buch!“

„Ein Buch? Was ist das? Was sind das für Zeichen, für Blätter und wie hat man das Alles geschrieben?“

„O Cicero, Du weißt nichts von der Buchdruckerkunst?“ Und so setzt er ihm die Erfindung und den Mechanismus und den Segen der Buchdruckerkunst auseinander.

„Bei Minerva’s Eule,“ ruft Cicero aus, „das ist eine göttliche Erfindung! Die haben gewiß die Nachkommen unserer großen Republik die Söhne der alten Roma, gemacht?“

„O nein,“ sagt der junge Mann, „die Buchdruckerkunst ist von Deutschen erfunden worden.“

„Von Deutschen, Germanis, den Bärenhäutern, den roth-blonden Barbaren in den Wäldern?“ ruft Cicero, und fällt beinahe vor Schreck in Ohnmacht, denn inzwischen hat der junge Mann mit einer Pistole eine wilde Katze todt geschossen.

Cicero erholt sich und läßt sich die Pistole und das Schießpulver erklären. „Na, aber das Pulver haben doch meine Italiener gewiß erfunden?“ ruft Cicero.

„O nein,“ sagt der junge Mann, „die Italiener haben das Pulver nicht erfunden, sondern die Deutschen haben das Pulver erfunden.“

Da bricht die Rebellion im Publikum aus. Wüthende Italiener blitzen mit Augen und Dolchen gegen die Deutschen, welche sich eiligst durch die Flucht retten mußten. Das Stück mit einer langen Reihe anderer deutschen Erfindungen konnte nicht ausgespielt werden. Es ist also noch nicht zu Ende. Die Deutschen erfinden und kultiviren immer fort in aller Welt und bekommen Prügel dafür, im In- und Auslande.

Man sieht das so recht in Amerika, obgleich auch in England und Rußland, in Frankreich, in Ungarn, in der Türkei, mehr oder weniger überall, wohin Deutsche gedrungen sind, „nationale“ Parteien die deutschen Erfinder und Reformatoren bedrohen, verfolgen und gelegentlich aushauen. In Amerika ist die Sache aber am weitesten gekommen. Die Anglo-Amerikaner haben den Deutschen nicht nur den Krieg erklärt, sondern auch wirklichen Krieg gegen sie angefangen. Man hat namentlich in Ortschaften, wo die Deutschen nicht zusammenhalten und wohl gar Renegaten geworden, welche bekanntlich im umgekehrten Saulus-Paulus-Proceß immer die ärgsten Saulus’ gegen ihre ehemaligen Mitbrüder werden, deutsche Häuser und Köpfe demolirt, wobei Deutsche den nationalen Amerikanern friedlich zusehen und wohl gar stolz beteten: ich danke dir, Gott, daß ich nicht bin, wie andere Deutsche, sondern ein Amerikaner.

So etwas konnte aber nur in New-York, der Kloake alles eingewanderten und einheimischen Auswurfs gelingen. Weiter im Lande, über dessen unabsehbare Flächen und Thäler über 5 Millionen Deutsche neue Herde und Häuser gebaut, wissen sie schon zusammenzuhalten und sich zu wehren. In unzähligen Gegenden, wo Deutsche sich zusammenfanden, hat ihre Sache bereits gesiegt, ist das deutsche Wesen in deutscher Sprache, deutschen Zeitschriften, deutschen Turn- und Gesangsvereinen, deutscher Boden- und Lebenskultur gerettet und gesichert. Zwar hat noch bei Abstimmung in einer Gemeinde, welche Sprache die herrschende sein sollte, Englisch oder Deutsch, ein Deutscher den Ausschlag für das Englische gegeben; aber solche Ausschläge Aussätziger sinken zu Kuriositäten und Abschreckungen herab. Gerade weit in den Westen hinein, bis Texas und Kalifornien, treten die Deutschen am entschiedensten, stolzesten organisirt in ihrem besten Wesen und Streben hervor. Deutsche Männer, die noch vor kurzer Zeit das alte Mutterland mit Stolz nannte, haben drüben mit solchem Erfolg den Germanismus zum Bewußtsein und zur Geltung gebracht, daß man zunächst die deutsche Sprache als vollkommen gesichert ansehen kann. Und mit der Sprache ist auch die Sache, das Wesen sicher. Jene Männer reis’ten als Missionäre des Germanismus unter den Deutschen umher und predigten von dem Grundsatze aus, daß wahre, schöpferische Kultur und Bildung ohne eine selbstständige Wurzelsprache nicht gedeihen könne und namentlich das Englische als abgeschabte Kombination und Korruption zweier ganz verschiedener Sprachen[1] der Massenbildung entschieden feindlich sei. Zum Gedeihen des deutschen Wesens in der Welt umher, in welcher es eine große Kulturmission durchzusehen hat, gehört die Sprache, die Literatur, die Musik und das Lied Deutschlands, vielleicht auch das deutsche Bier mit der bekannten Kneipen- und Räsonnirlust, vor Allem aber noch die deutsche gebildete Kraft und die häusliche Anmuth und Gemüthlichkeit, Kraft und Anmuth aber sind auch vollkommen gesichert durch das Turnwesen und das deutsche Weib. Weder die Engländer, noch weniger die Amerikaner in gebildeten Kreisen wissen, was ein Weib, eine Hausfrau ist. Sie finden nur „Ladys“, die sie heirathen können, um für sie Geld zu machen und sie zu Hause im Wiegelehnstuhle bei Romanlecture, Langeweile, Konditorwaaren und bratendem Feuer immer dünner und blasser und anspruchsvoller zu machen. Bei dem Amerikaner ist das Weib ganz aus der Mode gekommen. Er arbeitet mehr, als irgend ein Mann in der Welt, sieht gelber, schmutziger, magerer, gepantoffelter aus, als irgend ein Mann in der Welt und ist dabei weniger ein Mann als irgend ein Mann in der Welt. Das englische und zumeist das amerikanische Leben zu Hause ist nüchterner, kahler, kostspieliger, trostloser, steifer als irgend eine Häuslichkeit, weil das Weib darin fehlt. Sie haben Ladys im Parlour sitzen, so kostbar, daß man eine Glasglocke darüber stellen möchte. Bei nur einigem „Anstande“ kostet sie zweitausend Pfund oder 3–4000 Dollars jährlich, wobei sie alle andern Ausgaben verschleudert und vertheuert, weil ihr das wirthschaftliche Element aus-erzogen ward. Jeder kennt das alte, klassische Lied, welches so anfängt:

„Sechsmal Sechs ist Sechsunddreißig
Und der Mann ist noch so fleißig,
Und die Frau ist liederlich:
So geht Alles hinter sich.“´

Die Häuslichkeit mit einer liederlichen Frau ist beinahe eben so schlimm, wie Junggesellenwirthschaft, welche nach Sancho Pansa’s weisem Ausspruche bekanntlich auch dann nicht reich macht, wenn das Geld zum Dache hereinregnet.

Die gebildeten Frauen Englands und Amerika’s sind aber durchweg liederlich im wirthschaftlichen Sinne. Sie hat 4—6 Dienstboten, darunter einen „Fußmann“ mit wattirten Waden und Kniehosen, mit dem sie zuweilen aus Langeweile „durchgeht“. Sie censirt um 11 Uhr den Speisezettel, schimpft die Dienerinnen beim Ankleiden aus, läßt die Equipage vorfahren, verordnet in Läden die theuersten Luxusgegenstände auf Rechnung des Mannes, läßt sich in New-York ein gräfliches Wappen an die Kutsche malen, wiegt sich eine Zeit lang in einer Konditorei des breiten Weges (der Hauptstraße: „Broad way“, speis’t ohne Appetit und zieht sich um, Abendgesellschaft zu empfangen oder zu besuchen. Engländerinnen trinken dabei nicht selten in stillen Augenblicken „Gin“ oder sonstiges


  1. In grammatischer Beziehung und für den praktischem prosaischen Gebrauch im Handel und Wandel mag das Englische die Vorzüge haben, die Grimm so emphatisch hervorhebt, aber als Organ der Bildung, des dichterischen, herzlichen, gemüthlichen Ausdrucks, der schönsten Schätze des menschlichen Herzens und Geistes, ist es eine klanglose Schelle, und für diese innersten und wesentlichsten Kulturelemente giebt es keine so reiche, tief treffende und malerisch ausdrucksvolle Sprache, als die deutsche.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_109.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2017)