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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

hinwegkämpfen können. Doch ist die Landenge von Suez nicht als Verbindung zwischen Asien und Afrika, sondern als barbarische Mauer zwischen den völkerverbindenden Meeren ein Stein des Aergernisses geworden.

Man denke sich, wie in Europa fast in jeder Haushaltung täglich gegessen oder getrunken, mit etwas gewürzt und gekocht wird, was von Indien, von Borneo, Sumatra oder sonst Inseln kam, die uns alle möglichen Nüsse, Früchte und Delikatessen liefern, womit wir unsere täglichen Mahlzeiten würzen, schmackhafter und verdaulicher machen. Man denke sich die ungeheuern Massen europäischer Produkte und Waaren, die dafür als Zahlung nach Indien und die Menge großer und kleiner Inseln des indischen Oceans verschifft werden müssen. Und nun denke man sich die Hauptsache, daß alle diese Waaren und Produkte, blos wegen des winzigen Sand- und Landstreifchens der Suez-Landenge, den vieltausendmeiligen Umweg um ganz Afrika herum machen und den brennenden Aequator auf jeder Reise zweimal passiren müssen. Jeder und besonders Jede in Deutschland wissen, daß eine „gute Bohne“ und Mokka kein leerer Wahn ist. Auch der beste Kaffee, der verhältnißmäßig gar nicht zu weit von uns wächst, muß dieser Landenge wegen erst oft in gerade entgegengesetzter Richtung Tausende von Meilen weit schwimmen, statt uns direkt vom rothen und mittelländischen Meere her zuzufließen. Welch’ eine unabsehbare Welt von Hafenstädten und wimmelnden Fleißes lagert sich um das mittelländische und schwarze Meer herum, mit Eisenbahnarmen und Handelsstraßen bis in die Hauptstädte Europa’s! Diese müssen, um mit Arabien, Persien, Indien, dem großen polynesischen Welttheile, Australien, China u. s. w. zu verkehren, erst vier bis sechs Wochen lang in direkt entgegengesetzter Richtung, mit ihrem Ziele im Rücken, segeln, ehe sie nur den vieltausendmeiligen Umweg erreichen. An alle diesem unberechenbaren großen Zeit-, Geld- und Arbeitsverlust ist diese winzige Landenge von Suez Schuld. Sie ist mitschuldig des Todes und des Verfalls mittelländischer, arabischer und persischer Häfen und Völkerschaften. Die geöffnete Landenge wird direkt einem in die Millionen laufenden ersparten Zeit-, Geld- und Arbeitskapitale gleich sein und durch Beschleunigung einer neuen Kultur in der Türkei, um’s schwarze und mittelländische Meer herum außerdem neue Kapitalien schaffen, die bald Jeder täglich mit verzehren und mit genießen kann, sei es auch nur in einer Tasse Kaffee ohne Cichorien.

Daß die Engländer bei dem Unternehmen speciell ihren Verkehr mit Indien im Auge haben, ändert an der welthistorischen Bedeutung des Suez-Kanals nichts. Spekulationen, selbst politische und diplomatische, werden trotz blinden Eigennutzes und lichtscheuer Sonderinteressen immer mehr von der Gewalt der Verhältnisse, der überall hervorbrechenden menschlichen Interessen, gezwungen, der Geschichte, statt sich und ihren kleinen Hausdrachen, zu dienen.

London und Bombay (die nächste ostindisch-englische Hauptstadt) liegen auf dem jetzigen Meereswege 11,500 englische Meilen von einander. Dieser Weg wird durch den Suez-Kanal beinahe um die Hälfte, d. h. um 5300 Meilen kürzer. Fast dasselbe gilt von den nordamerikanischen Welthandelsstädten Von Newyork nach Bombay durch’s mittelländische Meer und die Landenge von Suez ist nicht viel über die Hälfte des jetzigen Weges. Wie durch solche Verkürzung der Wege und Verwohlfeilerung der Frachten der Austausch zwischen Völkern und so auf beiden Seiten der Wohlstand sich hebt, ist ein bekanntes nationalökonomisches Gesetz. England hat noch besondere militärische Vortheile. Waffen und Truppen können auf dem neuen Wege in drei Wochen von Malta nach Bombay, nach Madras und Ceylon in vier, nach Calcutta in fünf Wochen gebracht werden. Jetzt gehören fünf bis sechs Monate dazu. Holland zieht sein Java, Spanien seine Philippinen, Portugal seine chinesischen Stationen auf viele Hunderte geographische Meilen näher an sich. Die Produkte jener Länder kommen uns dann um eben so viel näher und wohlfeiler und in größerer Masse, wofür wir größere Massen von unsern Waaren mit Vortheil los werden. Oesterreich, das schon mit Bengalen in Handelsverbindung steht, (von Triest über Egypten) wird im Kanale von Suez eine neue belebende Hauptschlagader für das Herz seiner Industrie in Bewegung sehen und betheiligt sich deshalb auch mit besonderem Eifer an dem Unternehmen. Für die Luxus-Industrieen Frankreichs wird der Kanal ganz neue Märkte eröffnen.

Nach dem speciell ausgeführten Plane des Herrn Ferdinand de Lesseps wird die ganze Länge desselben 120 Kilometers, d. h. 120,000 Metres (ein Metre ist, ungefähr ausgedrückt, 11/2 Ellen). Die Weite und Breite ist auf 100, die Tiefe auf 8 Metres berechnet. Bei niedrigem Wasserstand sind die Spiegel der beiden zu verbindenden Meere von gleicher Höhe. Durch die Flut entsteht ein Unterschied von 5 bis 8 Fuß, der durch Schleusen und Flutthore regulirt und zum Vortheile des ganzen Unternehmens verwendet werden soll.

Die Landenge von Suez ist ein Thal, welches zwischen dem Winkel des mittelländischen und der Spitze des rothen Meeres, von beiden Erdtheilen, speciell Syrien auf der asiatischen und Egypten von der afrikanischen Seite her, mitten durch Hügel und Gestein hinläuft, ein Thal, durch welches die Natur schon seit Jahrtausenden die Menschen auffordern zu wollen schien, einen Kanal durchzugraben und so eine der wohlthätigsten Völkerbrücken zu bauen. —

So finden wir auch in Geschichtsbüchern, daß schon der fabelhafte König von Egypten, Sesostris, Jahrtausende vor Christi Geburt diese Aufforderung verstanden und er einen Kanal entweder entworfen, oder sogar unternommen habe. Spuren eines solchen alten Kanals sind auch noch zu entdecken. Mit dem Verfalle der alten egyptischen Kultur scheint er allmälig versandet und verwaschen worden zu sein. Neuerdings, eigentlich schon seit Napoleon in Egypten in ihm die große Barre zwischen Europa und Indien bezeichnete, hat man wiederholt von der Nothwendigkeit gesprochen und geschrieben, diese Barre zu brechen. Später entstanden bestimmte Projekte, die sich in ein französisches und ein englisches zuspitzten und in Kairo vor dem Vicekönig von Egypten intriguirten und stritten. Merkwürdiger Weise stritt das französische für einen Kanal, während die Engländer mit all’ ihrem Flottenstolz für eine Eisenbahn kämpften. Daß die Engländer mit ihrer hier besonders lächerlichen Eisenbahnschwärmerei durchfallen mußten, versteht sich eigentlich von selbst; aber dennoch konnten sie nur durch die bestimmte Entscheidung des Vicekönigs zum Schweigen gebracht werden. Wenn man 1000 Meilen Seeweg hat und will expreß dazwischen 20 Meilen Landweg machen, damit die Schiffe auf beiden Seiten löschen und Landwagen beladen und diese dann wieder Schiffe belasten sollen, so ist das gewiß ein kolossaler Unsinn. Die Engländer aber schwärmten dafür und schmollen jetzt noch, daß der Vicekönig dem französischen Plane des M. de Lesseps, nämlich dem Kanale direct zwischen Pelusium am mittelländischen, und Suez am rothen Meere, seine Zustimmung und Autorität gegeben. Das Haupt-Bureau für die Ausführung ist jetzt nach Konstantinopel verlegt worden, wo überhaupt mitten unter den rauchenden und kreuzbeinig träumenden Türken, Engländer, Franzosen, Deutsche, Griechen, Juden u. s. w. alle Verhältnisse umkehren und neu beleben.

Die Breite der Landenge, also die Länge des Kanals, beträgt hier 90 englische, d. h. etwa 20 deutsche Meilen. Er soll für die größten Schiffe genügende Breite und Tiefe haben, mit großen weit in beide Meere über die sandigen Seichten hinauslaufenden Vertiefungen und Dämmen und einem Hafen in der Mitte, wozu der Timsah-See ein natürliches Bassin bietet.

Mit einem Kapital von 6,400,000 Pfund Sterling (noch nicht die Hälfte dessen, was die einzige Eisenbahn zwischen London und York kostete) soll das ganze Werk binnen 6 Jahren vollendet sein. Alle Nationen sollen zu der Bau-Kompagnie Mitglieder stellen und diese unter der Direktion des Herrn von Lesseps stehen. Die Kompagnie ist Eigenthümer des Kanals auf 99 Jahre, worauf er Eigenthum des Herrschers von Egypten werden soll. (Das ist ein fauler Paragraph, welchen der Vicekönig von Egypten ungekocht und ohne Sauce aufessen sollte.) Außerdem verlangt dieser brave Vicekönig während der 99 Jahre auch noch 15 Procent vom Gewinne. Wo die Nationen bauen und bilden, da setzt sich der faule dicke Bursche hin und schreit: „Bakschis!“ Schiller sagt: „Wenn die Könige bauen, haben die Kärrner zu thun.“ Jetzt muß es umgekehrt heißen: „Wenn die Kärrner bauen, haben die Könige zu leben.“

Es ist nur zu hoffen, daß das Kulturwerk der Nationen, welches der Vicekönig an beiden Seiten mit Forts zu versehen versprochen hat, einst diese Forts gegen den Steuererpresser richte und ihm rathe, sich sein Brot auf eine anständige Weise zu verdienen.

Alle Nationen sollen gleiche Rechte im Gebrauche des Kanals und gleiche Ehre haben, vom Vicekönig besteuert zu werden. Der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_106.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)