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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Soldaten in Vierecken aufgestellt. Wirklich ein seltsames Schauspiel! Es versetzte uns in eine Laune, die mit der Feierlichkeit der Umgebung wenig harmonirte, und deren unaufhaltsam willenlose Aeußerung unsere Sicherheit beinahe gefährdet hätte. Diese zerlumpten Truppen! Diese fabelhaft komischen Portraits! Etliche Soldaten trugen zum Schutz vor der Sonne breitkrämpige Strohhüte unter dem ordonnanzmäßigen Tschako, andere hatten das Mützenschild über die Nase heruntergestülpt, um nicht von der Sonne incommodirt zu werden, noch andere trugen ihre Kopfbedeckung beinahe horizontal auf dem Hinterkopfe. Ich verzichte darauf, die Uniformen selbst zu beschreiben, es scheint, daß man die einmal abgenutzten mit beliebigen Kleidungsstücken wieder ersetzt. Man möchte glauben, der Boulevard du Temple (in Paris) habe allen Abfall der französischen und der übrigen europäischen Armeen zu diesem Zwecke hierher verschachert. So erblickte ich zu meinem Erstaunen auch einen Lieutenant, der eine alte Offiziersuniform des eidgenössischen Geniestabs trug, nur war das Grün schon sehr vergilbt. Die Fußbekleidungen bestehen aus alten zerplatzten Schuhen ohne Seitenleder und ohne Gamaschen; glücklich können sich Die preisen, deren Beinkleider über die Knie herabreichen. Die Offiziere gehen zerlumpt wie die Soldaten und tragen wie diese keine Strümpfe in den Schuhen. Der bänderreiche Hut, welcher ihren schwarzen Kopf bedeckt, ist abgeschabt bis auf den Carton. Es ist der Brauch, den Kopf mit einem farbigen Seidentuche zu umhüllen, und auf diese Art von Turban erst den Hut oder Tschako zu drücken, doch ist Nichts vorgeschrieben, Alles erlaubt. Der Kaiser, welcher den Luxus liebt, strebt Abwechselung in die Montirung zu bringen: es giebt Grenadiere der kaiserlichen Garde, Chasseurs, Voltigeurs etc. Jede Section von 24 Mann hat zwei Offiziere; der Eine marschirt vorn, um den Eifer der Truppe zu moderiren, der Andere hinterdrein, um die Nachzügler voranzutreiben. Niemals konnte jedoch eine Section auf den vollen Bestand gebracht werden, so daß es fast so viele Offiziere als Soldaten giebt. Ein Reglement kennt man nicht, und die Rekruten werden nicht einexercirt, so daß die Manoeuvres nie klappen und fast nur instinctive ausgeführt werden. Die Kavallerie vollends übertrifft alle Begriffe von Abenteuerlichem. Große schwarze, gelbe und braune Gestalten hocken auf kleinen Pferden und schleppen die langen Beine am Boden hinterdrein, während man auf die höchsten Rosse Knaben von funfzehn Jahren gesetzt hat. Diese berittenen Neger, zum Theil auf Mauleseln, mit ihrer zerlumpten Kleidung, ihren furchtbaren Säbeln aus dem vorigen Jahrhundert, geben einen so phantastischen Anblick, daß jeder Europäer sich auf ein Jahrmarktstheater versetzt meint. - Um den Glanz seines Hauses zu erhöhen, und vermuthlich weil ihm sein Kanzler oder Haushofmeister von den rothen Husaren Napoleon’s III. erzählt, hat der Kaiser sich auch ein Corps von rothen Garden oder Husaren angeschafft. Dem Namen nach besteht es als Regiment, allein der commandirende Oberst hat trotz aller Mühe noch nie mehr als ein Peloton zusammengebracht, Dieses Peloton nun war zur Seite der Kathedrale aufmarschirt, und vor demselben, in fast eben so langer Reihe standen seine Offiziere. Ich bewunderte besonders den Oberst dieser Truppe, eine Art Don Quixote als Neger, von großer knochiger Gestalt. Er trug rosa und goldgestreifte Hosen und einen dito rosa Frack, an dem jedoch - ein Schoos fehlte. Seine Stiefeln waren überall zerplatzt, und von der Schulter floß ihm ein vergoldeter Grünspan verzierter Gürtel, der immer herab zu schlüpfen drohte, weshalb ihn der Lange durch ein eigenthümliches Zucken mit der Achsel immer wieder in die Höhe dirigirte. Sicherlich würden die Kostüms, die wir hier bewunderten, von viel Effect sein bei einer Maskerade, und Soulouque würde besser thun, seine Armeen in Europa für Geld sehen zu lassen, als den Kaffee, den seine treuen Unterthanen gewinnen, mit 25% zu besteuern. Der Gewinn wäre schon darum ein doppelter, weil diese Armee dann doch zu Etwas nütze wäre,

Während ich dieses seltsame Schauspiel bewunderte, trieb ich mich in den Reihen der Kavallerie umher (denn hier kann man sich überall umhertreiben) und grüßte alle Generale, um zu sehen, wie sie es aufnehmen würden. In diesem Lande erwiedert man jede Höflichkeit mit Wiehern und geizt nach Respectsbezeugungen.

Ich bestieg eine ehemals wohl unterhaltene Plattform, welche den Franzosen einst als Waffenplatz gedient hatte. Hier donnerten vier Kanonen, so oft die Messe in der Kirche eine Pause machte. Die Bedienung dieser Geschütze geschah auf so seltsame Weise, daß es mich wunderte, wie es ohne Unglück abging. Von hier aus überschaute ich denn diesen wandelnden Trödelmarkt. Die aufgeputzten Generale tummelten sich vor den krummen Linien der Garde; alle trugen Phantasiekostüms, mit Goldstickereien so überladen, daß sie einen Marschall von Frankreich verdunkelt haben würden. Allein dafür hat der größte Theil keine Handschuhe, und Manche haben nicht einmal Stiefeln, sondern nur Gamaschen, an denen die Sporen angeschnallt sind. Die Monturen, für andere Leiber gemacht, ließen oft zwischen Frack und Hose einen Spalt, aus dem das Hemd freundlich hervorblickte. Der Sohn Boyer’s, eines Mauleseltreibers, ist der Einzige, der seine Uniform ordentlich trägt und mindestens ein anständiges Aussehen hat. Es versteht sich von selbst, daß alle diese Generale mit Orden bedeckt sind, in deren Mitte man das Großkreuz des St. Faustin-Ordens erkennt. Allein das Schauspiel war noch nicht vollständig. Bald kam das kaiserliche Haus in rothsammetner Tracht mit goldgestickten Kronen auf dem Rücken, der Hof folgte dann, darunter Herzog von Limonade, Intendant der Hofbäckerei, Herzog von Cul-de-Sac, und andere hohe Persönlichkeiten.

Ein Huissier mit schwarzem Claquehut lud uns ein, in die Kirche zu treten. Der Eingang derselben war blau tapezirt; Polizeisoldaten bildeten ein Ehrenspalier. Diese Soldaten, welche etwas weniger zerlumpt sind, als die Mannschaft der Armee, tragen ein großes rothes Schultergehänge, auf dem man die Worte liest: „Achtung vor dem Gesetze!“ - Gewiß eine höchst komische Aufschrift in einem Lande, dessen Gesetze zur Hälfte unausführbar sind, zur Hälfte nicht beachtet werden. - Unglücklicherweise war die Kirche voll zerlumpter Soldaten, so daß man den Hof und das diplomatische Corps im Hintergrunde kaum erblicken konnte. Alle Winkel des Gebäudes, das im Innern mit blauen, roth gestreiften, aber an vielen Stellen durchlöcherten Tüchern behangen war, hallten wieder vom fürchterlichsten Chorgesange, den eine Orgel begleitete, eine Orgel vom Klange eines jener alterthümlichen Klaviere, wie wir sie bei uns nur noch in Rumpelkammern finden. Einige Tasten darauf gaben nicht mehr an, und so hörten wir denn eine gerade so lückenhafte durchbrochene Melodie, wie daheim von defekten Leierkästen auf Jahrmärkten kleiner Provinzstädte. Nachdem endlich die Messe beendet war, begannen die Kanonen einen infernalischen Lärm, die Musiker, Tamboure und Pfeifer erfüllten die Luft mit ohrzerreißenden Tönen, die Truppen präsentirten das Gewehr. Ich bestieg von Neuem die Plattform, um den Auszug des Hofes besser zu überschauen. Alsbald stürzten auch mehrere Generale hervor und begannen eine große Rolle zu entfalten, die sich als ein mächtiger Thronhimmel erwies. Kaum war dieser aufgerichtet, so eilten in ziemlich ungraziösem Marschmarsch der zahlreiche Generalstab und das Gros des Hofes, die Ehrendamen nicht ausgeschlossen, herbei, und schaarten sich ringsum. Kurios nimmt sich eine Negerin als Ehrendame aus, in weißem Kleid nach pariser Schnitt; zum Lobe ihres Geschmacks muß man aber gestehen, daß sie den ungeheuerlichen Hut unserer Damen nicht angenommen, sondern denselben durch einen recht originellen Kopfputz mit Goldfransen ersetzten.

Endlich sah ich einen großen Bacchus mit grauen Haaren langsamen und gemessenen Schrittes sich nähern. Es war Seine schwarze Majestät. Soulouque trug ein ziemlich gut erhaltenes, blaues und mit Gold verbrämtes Kostüm, anschließende weiße Beinkleider und rothe Husarenstiefeln. Ich sah, wie er sich unter dem Thronhimmel niederließ, verschiedene Geberden machte und dann das Kreuz küßte. Hierauf beeilt sich der ganze Hof zu Pferde zu steigen, die Generale jagen in Unordnung von dannen, und überlassen S. M. dem Stallmeister, der Höchstsie nur mit Mühe in den hohen Sattel bringt. S. M. entfernt sich zuletzt, die Truppen grüßend, die ihr „Es lebe der Kaiser!“ brüllen.

„Von dem Anblicke dieses Schauspiels endlich zu mit selbst gekommen, frug ich mich unwillkürlich, ob das Alles Wirklichkeit gewesen? Stellte man irgend auf dem Theater ein Fest so dar, Jedermann würde den Vorwurf der Uebertreibung machen. Und doch erzähle ich Nichts, als was meine Augen sahen. Nicht einen einzigen Wagen bemerkte ich; selbst die Hofdamen begingen die Feier zu Fuß. Wollte ich noch schildern, wie ich schließlich die Truppen defiliren sah und was dabei Alles passirte, so könnte ich meine Darstellung um das Doppelte verlängern. Statt dessen will ich noch kurz erzählen, wie mein Diener Marc, der unterdessen in Jacmel geblieben war, ein ähnliches Schauspiel genoß.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_067.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2020)