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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

von dem Herrn von Nienstedt einzulösen, damit dem Manne meiner Liebe von dieser Seite keine Gefahr drohe.“

„Madame, dessen waren Sie fähig?“ stammelte wie betäubt der Oberst.

„Zweifeln Sie nicht daran, mein Herr; was ich that, wissen Sie!“

„Aber ich kannte die Gründe nicht.“

„Sie kannten meine erste Neigung, Sie kannten meine unglückliche Ehe und empfingen selbst Andeutungen, die Ihnen jeden Zweifel hätten lösen müssen, wenn Sie ihr Unrecht hätten einsehen wollen. Aber kein Wort des Trostes kam über Ihre Lippen, Sie sprachen keine Entschuldigung aus, die mich überglücklich gemacht haben würde – statt dessen legten Sie allen meinen Handlungen schmähliche Gründe unter, Sie machten mich selbst zur Theilhaberin aller nicht zu billigenden Handlungen meines Mannes und traten offen zu der mir feindlichen Partei über, als der Freiherr erkrankte, während seines Krankenlagers beraubt wurde, und unter Verwünschungen gegen mich starb. Ich kenne die Gerüchte, die sich damals verbreiteten, ich weiß auch, daß Sie Ihre Tochter nicht mehr Emilie nannten, sondern Cäsarine, um mich, die Pathe derselben, zu kränken. Die Ehe unserer Kinder ist zu meinem Bedauern eine unglückliche geworden, und auch dies schreiben Sie meinem Einflusse zu. Herr Oberst, anstatt mich zu beklagen, haben Sie mich verfolgt und den letzten Funken von Neigung in mir erlöscht.“

„Großer Gott, gnädige Frau, welch’ eine furchtbare Vergangenheit rollen Sie meinen Blicken auf!“ rief der Oberst.

„Wollen Sie mir nicht sagen, daß Sie jetzt erst zur Einsicht gelangen?“ fragte die Freifrau, indem sie sich auf den Arm ihres Sessels lehnte. „Am Hochzeitstage unserer Kinder, als Sie mir die Hand küßten, sahen Sie meine Thränen, Sie sahen selbst Ihren Ring an meinem Finger glänzen, den ich wie ein theures Kleinod aufbewahrte. Wir sprachen von dem Glücke der Ehe, aber Sie wollten mich nicht verstehen, Sie wichen mir aus, indem Sie mir einige spöttische Phrasen zuwarfen, die eine Galanterie sein sollten. Da wurden mir Ihre Ansichten von den Frauen klar, und um Ihnen nicht völlig zum Gespött zu werden, zog ich mich zurück. Ich wußte nun, daß Sie der Leidenschaft des Spielens Alles opferten; Sie hatten Ihre erste Jugendliebe aufgegeben, weil Emilie arm war – Sie hatten Ihre Tochter gegen ihre Neigung verheirathet, um Ihre Spielschulden zu bezahlen.“

„Gnädige Frau!“ fuhr der Greis auf.

„Ward meine Ansicht nicht vorigen Sommer bestätigt?“ fragte höhnend die bleiche Frau. „Mein zweiter Sohn hatte Henrietten gesehen und liebte sie – ich näherte mich Ihnen, aus Liebe zu meinem Sohne, und Sie kamen mir damals entgegen, weil Sie ein gewisses Papier fürchteten.“

„Verzeihung,“ unterbrach sie der Oberst, „Sie sprachen von einem Ehrenscheine, den Sie von dem Barone von Nienstedt eingelös’t – um mich sicher zu stellen!“ fügte er betonend hinzu.

„Ich will offen sein – ja!“

Die Freifrau biß wie krampfhaft die Lippen zusammen.

„Mein Herr, Sie zeihen mich auch der Lüge?“ flüsterte sie nach einer Pause.

„Madame, jener Schein befindet sich seit einem Jahre in meinen Händen.“

Eine leichte Röthe überflog das Gesicht der Freifrau. Gewaltsam unterdrückte sie ihre Bewegung.

„Aber nichts destoweniger danke ich Emilien für diese Erfindung,“ fuhr der Oberst fort, denn sie beweis’t das Bemühen, sich mir nützlich zu machen.

Die Dame verneigte sich.

„Herr Oberst,“ sagte sie lächelnd, „Sie wissen, daß Emilie triftige Gründe hat, Ihnen zu mißtrauen, und wenn Sie es versuchen, Ihre Untreue in ein weniger ungünstiges Licht zu stellen – –“

Des Greises Zorn keimte auf.

„Sie fordern meine Offenheit heraus. Madame!“ rief er. „Der alte Baron von Nienstedt war mir ein wahrer Freund, der mit solchen Papieren keinen Handel trieb. Man kann sich nicht wundern, wenn es die erste Sorge seines Sohnes war –“

„Ihnen diesen Schein zurückzugeben?“

„Ganz recht.“

“Dann freilich habe ich die Unwahrheit gesagt, Herr Oberst. Solchen Beweisen gegenüber zu beharren, wäre lächerlich.“

„Madame, wir haben eine vertrauliche Unterredung gehabt –“

„Und wenn ich nun offen meine Behauptung wiederholte?“

„Dann würde ich gezwungen sein, Ihnen dasselbe zu wiederholen.“

Die Freifrau verließ rasch ihren Sessel; sie öffnete eine Tapetenthür, die sich neben dem Kamine befand, und eine alte Kammerfrau trat ein.

„Jenny, hast Du die letzten Worte unserer Unterredung gehört?“ fragte sie zitternd.

„Ja, gnädige Frau. Der Herr Oberst theilte Ihnen mit, daß er von dem Sohne des Barons von Nienstedt einen Schein empfangen habe –“

„Geh’, und vergiß nicht, was Du gehört hast.“

Die Kammerfrau verschwand durch die Tapetenthür.

„Was soll das bedeuten?“ fragte der Oberst, der sich überrascht erhoben hatte.

„Herr Oberst, bekennen Sie nur, daß Sie, auf die Schwäche der armen Emilie bauend, hierher gekommen sind; aber statt Emilien treffen Sie die Freifrau von Erichsheim, die Mutter des verschmähten Ignaz, den näher kennen zu lernen Henriette nicht einmal der Mühe werth hielt. Sie werden mir antworten, daß Sie das Glück Ihrer Tochter im Auge gehabt haben – auch ich bin für das Glück meines Sohnes besorgt, denn Ignaz liebt Ihre Tochter, wie ich einst liebte. Und wen ziehen Sie ihm vor? Einen Menschen, den man für einen Abenteurer halten muß, der Nichts für sich hat, als ein großes Vermögen, dessen Quelle Niemand kennt. Jetzt steht eine doppelte Feindin vor Ihnen: die betrogene Geliebte und die schwer gekränkte Mutter. Das Schicksal ist mir günstig in dem Kampfe, zu dem ich herausgefordert bin, es giebt mir heute noch durch Sie selbst eine mächtige Waffe in die Hand – wissen Sie denn, mein Herr, das Papier, in dessen Bestz zu sein Sie sich übermüthig rühmten, dasselbe Papier, das mich zu einer arglistigen Heuhlerin stempeln sollte, ist mit jenen Papieren gestohlen, die ich bereits der Behörde überliefert habe.“

Wie vom Blitze getroffen zuckte der Oberst zusammen.

„Sie werden nach Beweisen fragen?“ fuhr die aufgeregte Dame fort. „Die Acten des Criminalgerichts enthalten eine Quittung über 24,000 Thaler, die für Einlösung eines Ehrenscheins des Obersten von Eppstein gezahlt sind. Sie sehen, mein Herr, daß der Baron von Nienstedt nur so lange Ihr Freund war, als er Ihr Geld nicht gebrauchte. Die Noth besiegte seine Freundschaft, er gab Ihr Papier aus den Händen, unbekümmert, was daraus werden würde.“

„Es ward ein Mittel, mich zu verderben!“ murmelte erschüttert der Oberst. „Gnädige Frau, mein Geschick liegt in Ihrer Hand –“

„Wie das der armen Emilie einst in der Ihrigen lag.“

„Ich versuche es nicht, mich zu rechtfertigen, denn ich würde nur Vorurtheile anführen können, die mich in meiner Jugend leiteten. Damit Sie mch aber nicht für allzu strafbar halten, bekenne ich Ihnen, daß meine Ehe eine unglückliche war. Ich habe viel gelitten – erhöhen Sie das Leid meiner alten Tage nicht, indem Sie mich zwingen, ein Zeugniß gegen den Gatten meiner Henriette abzulegen, und eine wirklich glücklihe Ehe zu zerstören. Nehmen Sie die Hälfte unsers Vermögens und erklären Sie, daß Ihr Antrag auf einem Irrthum beruhe. Der Fürst wird gern einen Prozeß niederschlagen, der seinen Adel compromittirt.“

„Also mit Gelde wollen Sie die lange Pein meines Lebens bezahlen?“ rief mit Bitterkeit die Freifrau.

„Nein, o nein! Sie sehen uns nur bereit zu einer Entschädigung dessen, was Ihnen ein leichtsinniger junger Mensch genommen hat.“

„Zählen Sie nicht auf meine Nachsicht,“ rief die Freifrau; „ich habe mir geschworen, meine Rache zu fühlen!“

Der Oberst trat zu ihr und ergriff ihre Hand.

„Emilie,“ sagte er bittend, „mein Haar ist bereits ergraut und mein vergangenes Leben bietet mir nur traurige Erinnerungen – über unserer Liebe hat ein Unglücksstern gewaltet, lassen Sie die Freundschaft des Alters an die Stelle der Jugendneigung treten, lassen Sie uns die wenigen Jahre, die uns noch bleiben, einem ruhigen Glücke weihen! Emilie, es giebt einen Gott, der die guten Handlungen belohnt!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_060.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)