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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

daß ich seine Folgen nicht zu übersehen vermag – er hat mich bis in das tiefste Mark erschüttert. Glauben Sie nur an meine Unschuld, Sie werden sich nicht täuschen! O, meine Gattin, die ich anbete wie einen Gott, ich hätte es wahrlich nicht gewagt, dir meine Hand zu reichen, wenn sie ein Vergehen beschmutzte!“

Ein Thränenstrom rann über die Wangen des armen Mannes.

„Was gedenken Sie nun zu thun?“ fragte Heiligenstein erschüttert.

„Im Vertrauen auf die Gerechtigkeit der Behörde trete ich der Anklage entgegen.“

„Aber die Papiere?“

„Ich darf sie nicht kennen – ich will sie nicht kennen – die Pflicht gebietet es mir!“ flüsterte der Baron mit gepreßter Stimme, als ob ihm dieser Ausspruch eine furchtbare Ueberwindung kostete. Dann sank er wie vernichtet zusammen; ein heftiger Fieberfrost durchrüttelte seinen Körper.“

„Seltsam! Seltsam!“ murmelte Heiligenstein, indem er seinen Freund erschüttert betrachtete.

Da ließ sich ein Geräusch von Schritten in dem Vorzimmer vernehmen. Die Thür ward geöffnet und drei Männer erschienen, die sich als eine Deputation des Criminalgerichts zu erkennen gaben. Der Führer derselben forderte den Baron auf, alle seine Papiere zur Durchsicht vorzulegen. Ludwig deutete schweigend mit der Hand auf die Möbel. Fast eine Stunde lang durchsuchten die Beamteten jedes Fach und jeden Schubkasten, sie prüften jedes Papier – es fand sich keins, das ihren Verdacht erregte.

„Herr Baron,“ sagte der Commissar, „eine Prozeßangelegenheit erfordert, daß sie stets bereit sind, der Ladung des Gerichts Folge zu leisten. Sie werden mir nicht nur eidlich versprechen, bis nach beendetem Prozesse Ihr Gut nicht zu verlassen, sondern auch eine Kaution von zehntausend Thalern stellen. Wollen und können Sie dies, so ist für jetzt meine Sendung erfüllt.“

Ludwig gab das Versprechen und lieferte Papiere zu dem geforderten Werthe aus. Sein Benehmen dabei war mehr kalt als ruhig, so daß man hätte glauben mögen, die Krankheit habe ihn gegen Alles völlig abgestumpft. Als die Gerichtspersonen sich entfernt hatten, suchte er sein Bett wieder auf. Heiligenstein bedeutete ihm, daß es nöthig sei, den Obersten und Henrietten von der Bosheit der Erichsheims in Kenntniß zu setzen, damit das Gerücht davon sie nicht überraschte; er nickte traurig mit dem Kopfe und flüsterte:

„Es muß sein, übernehmen Sie es, mein Freund; aber sagen Sie kein Wort von den Papieren, der geringste Zweifel, den Henriette hegt, wird mir den Tod geben.“

Der Morgen brach an. Es lag in der Absicht der Behörde, die Sache so lange als möglich geheim zu halten und den jungen geachteten Baron zu schonen. Wie man sieht, war diese Absicht erreicht. Der Fürst selbst hatte angeordnet, daß die Untersuchung mit der größten Vorsicht geführt werden solle.

Um acht Uhr erschien die bestürzte Henriette an dem Krankenbette ihres Mannes, Ludwig tröstete sie und versicherte, er fühle sich besser, die Hülfe des Arztes sei unnütz. Die arme Frau warf sich über das Bett und begann bitterlich zu weinen.

„Du bist sehr blaß!“ schluchzte sie.

„Ich habe eine heftige Migräne gehabt.“

„Der gute Gott wird ja geben, daß Du nicht ernstlich erkrankst.“

„Er wird es, Geliebte, denn er erhört das Gebet eines Engels, und Du wirst beten, daß unser kaum erblühtes Glück nicht gestört werde.“

Während dieser Zeit war Heiligenstein zu dem Obersten gegangen. Vorsichtig bereitete er den Greis auf die Nachricht vor, dann theilte er ihm Alles mit, nur den Umstand verschwieg er ihm, daß Ludwig wirklich in dem Besitze der Papiere gewesen sei. Der alte Mann war tief erschüttert. Daß die Feindschaft einer Frau so weit gehen könne, hatte er nicht für möglich gehalten.

„Die Sache muß im Keime erstickt werden!“ murmelte er. „O, es ist ersichtlich, sie will meiner Ehre einen empfindlichen Streich versetzen, und der unbesonnene Jugendstreich meines Schwiegersohnes bietet ihr eine günstige Gelegenheit. Aber auch an Henrietten, die ihren Sohn verschmäht, rächt sie sich. O mein armes, armes Kind! Weiß sie um die erhobene Beschuldigung?“

„Ich habe sie nur von der Krankheit Ludwig’s in Kenntniß gesetzt.“

„So darf sie noch Nichts erfahren. Und was hat Ludwig beschlossen?“

„Im Vertrauen auf seine Unschuld will er ruhig den Prozeß abwarten.“

„Unmöglich!“ rief bebend vor Aufregung der Greis. „Man hat ihn unter obrigkeitliche Aufsicht gestellt – dieser Zustand ist ein schimpflicher, er muß sobald als möglich wieder aufgehoben werden.“

„Wie läßt sich das bewirken?“ fragte Heiligenstein.

Der Oberst hatte einige Augenblicke nachgesonnen.

„Die Ruhe und das Glück meines Kindes stehen auf dem Spiele,“ murmelte er – „ich werde zunächst einen Schritt bei der Freifrau unternehmen. Bleiben Sie hier, mein Freund, und wachen Sie über meine Kinder. Diesen Abend sehen wir uns wieder.“

Eine Viertelstunde später bestieg der Oberst den Wagen, der ihn nach Erichsheim brachte. Heiligenstein ging zu dem Baron, den Henriette soeben verlassen hatte. Ludwig saß aufrecht in seinem Bette, schmerzlich lächelnd streckte er dem Freunde die Hand entgegen.

„Meine Gattin ist der Arzt, der mich bald heilen wird,“ sagte er. „Und Sie, Freund, bewahren Sie mein kleines Gehemnniß, die juristische Klugheit erfordert es. Ich biete den feindlichen Angriffen eine gepanzerte Brust, glauben Sie mir, es werden alle Pfeile daran zerschellen.“

Heiligenstein betrachtete den Kranken mit einer tiefen Rührung. Da trat Henriette ein; die junge Mutter, reizend wie eine Fee, trug den Säugling auf ihren Armen.

„Ludwig“ rief sie, „küsse unsern Sohn, und Du wirst genesen!“

„Mein Kind, mein Kind!“ rief der Baron in einem dnrchdringenden Tone.

Dann drückte er einen Kuß auf die kleine Stirn desselben. Nachdem er das zarte Wesen einige Augenblicke gerührt betrachtet, gab er es der Mutter zurück.

„Dank, Henriette, Dank, Du hast mich wunderbar gestärkt!“ rief er aus.

Heiligenstein betrachtete aus einiger Entfernung die rührende Gruppe.

„Es ist unmöglich,“ dachte er, „daß die Vorsehung ein solches Glück erschafft, um den Kontrast des Unglücks desto fürchterlicher zu machen. Täusche ich mich hier, so ist mir mein tröstlichster Glaube erschüttert!“


VIII.

Der Oberst hatte das Schloß der Erichsheim’s um Mittag erreicht. Als man der Freifrau den Gast meldete, erschien ein stolzes, triumphirendes Lächeln in ihren Zügen. Ohne Zögern gab sie dem Diener Befehl, den Besuch in den Empfangsaal zu führen. Dann ließ sie durch die Kammerfrau ihre Toilette noch einmal ordnen und legte einige Sehmucksachen an, deren Diamanten bei den dunkeln Farben ihres Kostüms eklatant hervorstachen. Das bleiche Gesicht dieser Dame, obgleich von einigen Furchen durchzogen, trug noch deutliche Spuren einer pikanten Schönheit. Das schwarze Haar bildete noch einen glänzenden Scheitel, und zwischen den Lippen zeigten sich noch weiße Zahnreihen, die durch keine Lücke unterbrochen wurden.

Zehn Minuten hatte der Oberst unruhig im Saale gewartet, als ein Diener die Flügelthür öffnete und die hohe Gestalt der Freifrau von Erichsheim eintrat. Auf den Gruß des Obersten dankte sie durch eine kalte, höchst ceremonielle Verneigung. Dann gab sie dem Diener ein Zeichen, dieser zog sich ehrerbietig zurück und schloß die Thür.

„Ich habe mich beeilt, den verehrten Gast, den ich so wenig erwartete, zu empfangen,“ sagte sie mit leicht erregter Stimme, indem sie mit dem Fächer nachlässig auf einen Sessel deutete.

„Das durfte ich voraussehen“ antwortete ruhig und fest der Greis, „wenn wir uns auch in P. ohne Abschied trennten.“

„Wenn der Vater Henriette’s diese Voraussetzung hegt, so kann ich die Bemerkung nicht unterdrücken, mein Herr, daß Sie der Mutter des jungen Freiherrn von Erichsheim entweder eine große Schwäche oder einen Ueberschwang von Großmuth beimessen, der sie in den Augen der Welt lächerlich erscheinen lassen muß. Den Vater meiner Schwiegertochter heiße ich willkommen.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_058.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)