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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

No. 5. 1856.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Vorurtheile
(Schluß.)

Bestürzt trat der Mulatte in das Zimmer; er schloß die Thür des Schlafgemachs hinter sich und sah Heiligenstein mit fragenden Blicken an. Aus der kurzen Unterredung hatte der Edelmann die Gewißheit geschöpft, daß der Kammerdiener um das Geheimniß des Barons wisse.

„Mein armer Herr scheint mir sehr krank zu sein; ich halte es für nöthig, daß man nach dem Arzte schicke,“ sagte Bob.

„Der Arzt würde hier überflüssig sein; aber ich kenne Jemanden, der sichere Hülfe zu bringen im Stande ist.“

„O, wer ist dieser Mann? Nennen Sie ihn, und ich eile, ihn zu holen.“

„Du bist es, Bob! Wenn Du es redlich mit Deinem Herrn meinst, so verbindest Du Dich mit mir, mit seinem besten, aufrichtigsten Freunde, zu seiner Rettung.“

„Was kann ich thun, mein Herr?“ fragte Bob eifrig.

„Die Vergangenheit Deines Herrn birgt ein Geheimniß, das ich kennen muß, um ihn zu vertheidigen. Was es auch sei, theile es mir mit, und Du wirst an mir einen treuen Verbündeten haben. Der Zustand Deines Herrn ist von der Art, daß wir ohne seine Beihülfe handeln müssen.“

Der Mulatte schüttelte schmerzlich sein Haupt.

„Lieber Herr,“ antwortete er, „wohl ist mir klar, daß die Eröffnung dieses Geheimnisses meinen Herrn sofort freisprechen würde; aber wenn er selbst es Ihnen nicht mittheilt, – ich kann es nicht, denn ich habe einen heiligen Eid abgelegt. Nur soviel kann ich versichern, daß der Herr Baron der edelste Mensch ist, daß er nie Böses, sondern stets nur Gutes gethan hat. Er ist nächst Gott mein größter Wohlthäter, und darum darf ich ihm meinen Eid nicht brechen.“

„Aber wenn Du durch Dein Schweigen sein Unglück herbeiführst?“

„Herr, ich gebe gern mein Leben hin, aber fordern Sie nicht, daß ich meinem guten Herrn ungehorsam bin.“

Traurig verließ Bob das Zimmer. Heiligenstein hatte nicht den Muth, den treuen Diener zurückzuhalten und weiter in ihn zu dringen. Das Herz des Freundes blutete bei dem Gedanken an die nächste Zukunft. Nach Allem, was er seit seiner Ankunft erfahren, war es unzweifelhaft, daß des jungen Barons Glücksstern erbleichen würde. In qualvoller Unruhe hatte Heiligenstein eine halbe Stunde verbracht, als Bob wieder eintrat.

„Herr,“ meldete er, „so eben sind drei Männer angekommen, die den Herrn Baron zu sprechen verlangen; ihr Wagen hält am Thore.“

Der Edelmann bebte zusammen; ihm ahnte, daß es die Commission des Criminalgerichts sei. An ein Abweisen war nicht zu denken, aber man mußte Sorge tragen, daß sie ohne Aufsehen in das Schloß gelangte. Die Uhr auf dem Hauptgebäude zeigte in diesem Augenblicke die vierte Morgenstunde an.

„Bob, führe die Herren so leise in dieses Zimmer, daß Niemand im Hause dadurch gestört werde. Zugleich sage ihnen, daß der Herr Baron krank liege.“

„Könnte man sie aus diesem Grunde nicht abweisen?“ meinte der Mulatte, der am ganzen Körper zitterte.

„Das Gesetz, mein Freund, läßt sich nicht abweisen. Bob,“ sagte Heiligenstein, indem er die Hand des Mulatten ergriff, „ein furchtbarer Augenblick naht – willst Du Dich nicht mit mir verbinden, ihn abzuwehren?“

„Herr, nehmen Sie meinen Kopf, aber lassen Sie mich ein treuer Diener bleiben!“

„Ein treuer Diener rettet seinen Herrn von Schmach und Schande! Weigerst Du Dich zu sprechen, so kann ich nur ein ohnmächtiger Zeuge sein.“

Der braune Mann sank Heiligenstein zu Füßen und bedeckte seine Hand mit Thränen und Küssen. Noch ehe er zu Worte kommen konnte, öffnete der Baron die Thür des Schlafgemachs. Er war halb angekleidet; das Licht der Kerze, die er in der Hand trug, beleuchtete seine bleichen, verstörten Züge. Heiligenstein trat ihm entgegen und theilte ihm die Ankunft der Fremden mit.

„Sie mögen eintreten!“ befahl Ludwig dem Diener.

Bob zögerte.

„Verweigerst Du mir schon den Gehorsam?“ fragte der Kranke mit einem schmerzlichen Lächeln.

Der Mulatte entfernte sich. Der Baron warf einen Pelz über und setzte sich in einen Sessel. Eine furchtbare Ruhe lag in seinen Zügen, sein großes Auge blitzte in fieberhafter Glut. Es schien, als ob ein ungeheurer Entschluß in ihm zur Reife gediehen sei.

„Nicht wahr,“ fragte er nah einer Pause, „Henriette und mein Kind schlafen?“

„Es ist vier Uhr, man kann es wohl annehmen.“

„Heiligenstein, Sie betrachten mich mit zweifelnden Blicken – Ihr Vertrauen beginnt zu wanken, nicht wahr?“

„Sie fordern Vertrauen, Ludwig, während Sie selbst es verweigern!“

„Gönnen Sie mir Frist!“ stammelte der Baron, indem er beide Hände flehend ausstreckte. „Der Schlag kommt so unerwartet,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_057.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)