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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Blut aufzulecken oder die Finger hineinzustecken und dann mit dem größten Appetite abzulutschen. Dies geschah Alles mit dem Ausdrucke des größten Entzückens. Der vorwaltende Ausdruck ihrer Physiognomien war einer der Freude, nicht der Grausamkeit. Es war freilich blos Darstellung, die Wirklichkeit möchte doch ganz anders ausgesehen haben. Spiel, das es war, konnte ich mich doch einigen Schauderns nicht erwehren, als ich daran dachte, daß ich ganz in der Gewalt dieser wilden Kannibalen war. Ich konnte mich lange dieses peinlichen Eindrucks nicht erwehren, und selbst im Schlafe umgrinsten mich diese entsetzlichen Bilder.“

Zwölf Meilen weiter wäre sie doch trotz der Anwesenheit Hali Bonars beinahe geschlachtet und verzehrt worden, aber es ist komisch und charakteristisch, wie sie doch ihre Haut rettete: „Weiter im Thale hinabsteigend, warnte mich Hali Bonar, durchaus nicht von ihm wegzugehen, sondern stets dicht hinter ihm zu bleiben. An der Spitze unserer Procession gingen sechs mit Speeren bewaffnete Männer, dann kam er, hinter ihm ich und mein Führer, dahinter mancherlei Volkes aus Dörfern, die wir berührt hatten. Vor der ersten Utta (Ansiedelung), der wir uns jetzt näherten, schien man meiner Weiterreise stark opponiren zu wollen. Es war ruchbar geworden, daß ich käme, und vor jedem Orte standen Männer mit Lanzen und Parangs, meine Annäherung zu verhindern. Hali Bonar überredete sie endlich, mich passiren zu lassen. Aber an einem andern Orte stellten sich die Sachen bedenklicher. Mehr als achtzig Bewaffnete versperrten uns den Weg. Die Speerträger hatten mich plötzlich umringt und schossen schreckliche, wilde Blicke auf mich. Starke robuste Gestalten, volle sechs Fuß hoch, schreckliche Aufregung in ihren Mienen, mit weiten, ungeheuern Mäulern, hervorstehenden Zähnen darin, so daß sie den Kinnbacken wilder Bestien glichen. Sie schrillten und heulten um mich herum, und wären mir solche Scenen nicht schon familiär gewesen, ich würde geglaubt haben, mein letztes Stündlein sei gekommen. Aber ich verlor meine Geistesgegenwart nicht. Ich setzte mich auf einen Stein und bemühte mich, so ruhig und zuversichtlich als möglich auszusehen. Aber jetzt traten einige Rajah’s dicht an mich heran mit drohenden Blicken und Gesticulationen, die deutlich sagten, daß sie mich fressen würden, wenn ich nicht sofort umkehre. Sie richteten ihre Messer gegen meinen Hals und schnappten mit den Zähnen nach meinem Arm und kauten und knirschten dann, als hätten sie schon den Mund voll von meinem Fleisch. Ich hatte natürlich etwas der Art von den Battakern erwartet, und deshalb etwas von ihrer Sprache studirt, um erst ein Wort mit ihnen reden zu können. Konnte ich ihnen etwas Amüsantes sagen, sie zu lachen machen, so hatte ich viel gewonnen, das wußte ich; denn Wilde sind wie Kinder, und die größte Kleinigkeit kann sie zu Freunden machen. So stand ich auf, patschte dem Wildesten auf die Schulter in einer ganz freundschaftlichen Manier, und sagte lächelnd in einem Jargon halb Battakenisch, halb Malaiisch: „Na, ihr denkt doch nicht daran, ein Weib zu tödten und zu essen, zumal ein solches, wie ich bin? Ich muß sehr hart und zähe sein.“ Glücklicherweise mußten sie über diese Wendung in meinem fremdartigen Accente und meine Gestikulationen dazu lachen. Auch mein furchtloses Zutrauen machte einen guten Eindruck. Sie reichten mir ihre Hände, der Kreis von Speermännern öffnete sich und glücklich über diese überstandene Gefahr kam ich sicher in einem Orte, genannt Tugala, an, wo mich der Rajah in sein Haus aufnahm.“

Auf Borneo lernt sie andere Spielarten des antropophagischen Kannibalismus in den Stämmen der Dyaks und Alfora’s kennen. Lassen wir sie die Hauptliebe der Dyaks selbst schildern: „Ich hatte hier gleich das Vergnügen, ein paar Siegestrophäen, nämlich zwei frisch abgeschnittene Köpfe, zu sehen. Bei andern Stämmen fehlten diese auch nicht, aber diese trocknen die Köpfe aus zu bloßen Schädeln. Die bei den Dyaks waren noch frisch und nur etwas von Rauch geschwärzt, das Fleisch halb getrocknet, Lippen und Ohren zusammengeschrumpft mit weit und breit fletschenden Zähnen, ein scheußlicher Anblick. Die Köpfe waren noch mit Haar bedeckt, der eine hatte sogar die Augen offen. Die Dyaks nahmen diese Köpfe aus ihren Säcken, um sie mir mit großer Freundlichkeit zu zeigen. Es war ein Anblick, den ich nie vergessen werde. Sie spieen in die Gesichter dieser Köpfe, wobei sich ihre sonst ruhigen und friedlichen Mienen zu einem furchtbar wilden Ausdruck verzerrten. Knaben schlugen in diese Gesichter und spieen aus. Ich schauderte, konnte aber nicht umhin, zu fragen, ob wir gebildeten Europäer wirklich besser handeln, als diese ekelhaften Kannibalen? Ist nicht jede Seite unserer Geschichte mit Verrath und Blut gefüllt? Die Dyaks sammeln einzelne Köpfe in ihren „Bailers“, armseligen Hütten, gleichsam ihren Museen und National-Galerien. Bei uns könnten statt armseliger Hütten weite Hallen und prächtige Schlösser mit den Köpfen Derer gefüllt werden, die dem Ehrgeize und der Selbstsucht der mächtigen Bewohner derselben geopfert wurden. Die Dyaks tödten ihre Feinde, aber quälen sie nicht, wie wir. Wie viele Tausende wurden langsam in Kerkern und verbannt in giftigen Klimaten umgebracht?“ (Die Verfasserin führt dies noch weiter aus.) „In einigen Reisebüchern finde ich, die Dyaks liebten es, ihren angebeteten Schönen abgeschnittene Menschenköpfe als Zeichen ihrer Zärtlichkeit zu Füßen zu legen, aber ein Holländer leugnet dies, und ich gebe ihm Recht, denn Menschenköpfe sind nicht immer so leicht zu haben. Aber die Jagd auf Menschenköpfe ist allerdings sehr Mode und wurzelt in einem besondern Aberglauben. Wenn z. B. ein Rajah krank wird oder verreist, pflegt man seinem Stamme nach der Genesung oder Rückkehr einen Menschenkopf zu schenken. Ein solcher Kopf muß um jeden Preis geschafft werden. Mehrere Dyaks gehen dann auf die Menschenkopfjagd, d. h. sie legen sich in sechs Fuß hohes Gras oder unter Blätter, mit denen sie sich sorgfältig zudecken und liegen, bis ein Opfer naht. Sie schießen es dann zuerst mit einem vergifteten Pfeil, springen dann auf dasselbe und hauen den Kopf glatt mit einem Schlage ab, mit einer Geschicklichkeit, die auf besondere Uebung schließen läßt. Der Stamm, welchem auf diese Weise ein Kopf abhanden gekommen, fängt dann sofort Krieg an, der nur mit einem oder mehreren gewonnenen Köpfen endet. (Sehr idyllisch gegen unsere civilisirten Kriege!) Der gewonnene Kopf wird dann mit Jubel und Gesang triumphirend nach Hause gebracht und unter die Nationalschätze aufgenommen. Es folgen Festlichkeiten von der Dauer eines ganzen Monats. Die Dyaks sind große Liebhaber von Köpfen, und machen nach der Reisernte mit Malaien oft große Jagden darnach.“ – Noch größer ist diese noble Passion bei den Alfora’s, welche sich besondere Gebäude, „Bailers“, halten, um Menschenköpfe darin zu sammeln. Kehrt ein Jäger glücklich mit einer solchen Beute zurück, kommt ihm das ganze Dorf triumphirend entgegen. Der frische Kopf wird Kindern über zehn Jahren gegeben, welche von da an das Privilegium haben, das Blut daraus zu saugen. Hierauf wird der Kopf leicht geröstet und feierlich in dem Bailer aufgehangen. Die Bailers sind die Museen der Alfora’s. Wir nehmen die Produkte von Köpfen in unsere Museen auf, die Alfora’s, deren Köpfe nichts produciren, deren Hirn und Geist verschlossen und verwildert ist, sammeln die Köpfe selbst in ihren Kunstkammern. Es ist ein ästhetischer, ein Kulturtrieb vielleicht, in der furchtbarsten „naturwüchsigen“ Weise, welche uns Alle auffordern sollte, ihnen den hohen Werth der Menschenköpfe in kultivirter Manier beizubringen, wenn wir selbst Alle genau wüßten und beherzigten, was sie auf jeder Schulter, auch der am Schwersten belasteten, wirklich werth sind.“


Blätter und Blüthen.

Aus dem londoner Verkehr. Auf den Trottoirs von London wird man nicht selten einen elegant gekleideten, freundlich aussehenden Herrn bemerken, den man seinem Aeußern und seinen Manieren nach etwa für einen Edelmann aus der Umgegend halten könnte, und dessen größtes Vergnügen es zu sein scheint, das Schaufenster irgend eines Ladens durchzumustern. Von tausend Menschen werden vielleicht 999 ihn für einen müßigen Pflastertreter halten, und erst der Tausendste mag wissen, welche Bewandtniß es mit ihm hat. Der charmante Herr geht keineswegs müßig, denn er geht ja seinem Berufe nach. Er ist ein von der kaufmännischen Industrie angestellter Lockvogel, ein Waarenanschauer, oder wenn Sie wollen, Anstauner (gazer). Nur in seltenen Fällen werden seine Dienste von einer einzigen Firma in Beschlag genommen, es sei denn, daß dieselbe mehrere Läden in verschiedenen Stadttheilen hätte. In der Regel thun sich mehrere Geschäftsleute, deren Geschäfte und Interessen nicht concurriren, zur Anstellung eines Anstauners zusammen. Durch gemeinschaftliche Naturalbeiträge staffiren sie ihren Mann nach der besten Mode aus; ein Hutmacher bekleidet sein Haupt, ein Schneider seine Glieder; ein Schuhmacher versieht ihn mit einem Paar der feinsten Stiefeln; er führt ein feines Rohr mit goldenem Knopf und zu Zeiten einen ausgesuchten Regenschirm, ebenfalls von den betreffenden Fabrikanten geliefert; ein Putzhändler versieht ihn mit Halsbinde und Schnupftuch von untadeligem Schnitt und Muster, während ein Juwelier eine goldene Uhr, einen brillanten Ring und eine feine Lorgnette für ihn ausfindig macht. So ausgestattet, geht er an seine Arbeit, wenn das Wetter irgend günstig zu bleiben verspricht. Da wandelt er nun von dem Laden eines seiner Patrone zu dem eines andern, pflanzt sich vor dem Schaufenster auf, und mustert mit anscheinend großem Interesse und besonderem Wohlgefallen die ausgelegten Sachen durch. Dabei handhabt er seine goldene Lorgnette mit aristokratischer Grazie, klopft spielend mit dem glänzenden Rohrstock an den feinen Modestiefel, läßt irgend einen einsilbigen Ausruf des Lobes oder der Bewunderung entschlüpfen, und wenn sich etwa zehn Gimpel versammelt haben, um die erstaunliche Billigkeit und Schönheit der Waaren bewundern zu helfen, platzt er in den Laden, giebt in lautem vornehm befehlendem Tone einen Auftrag auf ein Dutzend solcher Artikel, welche der Kaufmann gerade losschlagen möchte, verlangt, daß dieselben noch vor Dunkelwerden da und da hingesandt werden, giebt seine Karte ab und wird vom Kaufmann mit vielen Bücklingen zum Laden hinaus begleitet. Nun setzt er seinen Auftrag fort, um in einem andern Laden dieselbe Scene aufzuführen. Bei dem Schneider spricht er zur fashionablen Stunde vor, wenn derselbe gerade mit Kunden beschäftigt ist. Hier giebt er gemessenen Auftrag zu ein paar Oberröcken, einem Paletot oder dergl.

„Sie haben ja mein Maß – es hat nicht so große Eile – in acht Tagen etwa.“ Dann setzt er seinen Stab weiter, vielleicht zum Juwelier. Hat er im Laufe des Tages sein müheloses Geschäft besorgt, so begiebt er sich vor Dunkelwerden in seine schäbige Wohnung und legt sorgfältig sein Prunkzeug ab. Nachgehends macht er vielleicht den Spanner, d. h. Aufpasser an einer der Spielhöhlen in St. Jamesstreet, oder den Ceremonienmeister in einem der zahlreichen Casinos, welche sich zu nächtlichen Thorheiten und Schwelgereien öffnen.

Der tägliche Gehalt des Anstauners variirt zwischen 2½ und 3½ Schilling, je nach seiner Figur und dem Grade seiner Dreistigkeit, und er erachtet dies für einen um so leichtern und angenehmern Verdienst, da er das Vergnügen obendrein hat, sich während der Geschäftsstunden für einen ausgemachten in jeder Hinsicht vollkommenen Gentleman halten zu dürfen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_056.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2020)