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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)


Ansicht von Erzerum.

wahrscheinlich verzweifelte Anstrengungen macht, dem Schicksale von Kars, dem er Beistand verweigerte, zu begegnen, wenn nicht der durch alle Zeitungen laufende Friede den armen Ort vor jeder weitern Behelligung rettet. Wenn nicht, so ist zu fürchten, daß nun auch ihn die Hülfe, die er von Außen erwartet, im Stiche lassen werde, wie denn der Krieg im Allgemeinen sich in dem Zwecke zu vereinigen scheint, so viel Türkei als möglich zu expropriiren und neue Eigenthümer zu placiren.


Ida Pfeiffer unter den Kannibalen.

Die zweite Reise dieser heroischen Dame um die Erde liegt in einer englischen ersten Ausgabe vor uns. Das Buch einer Deutschen muß also aus dem Englischen, als dem Originale, in die Muttersprache der Verfasserin übersetzt werden, wenn’s nicht schon geschehen.[1] Es wird in diesem Falle nichts schaden, denn ihre zweite Reise wird in jeder Sprache eben so originell erscheinen, wie ihre erste. Nichts Merkwürdigeres in der ganzen, reichen Reiseliteratur, als diese doppelten Heldenthaten einer einzelnen wehrlosen Dame um die Erde herum, und zwar in Gegenden und Wildnisse hinein, in welche sich bis jetzt der tapferste Mann mit Waffen und Gefährten nicht hineinwagte. War sie wirklich so wehrlos und unbeschützt? Nein, sie trug den ächten Waffenrock, die ächten Ritterwaffen mit sich, in sich: den Muth einer reinen, edeln Menschlichkeit, die Zutraulichkeit eines kindlichen Gemüths, das Vertrauen in den innern, edeln Kern auch der wildesten Menschenfresser, Sympathie für allerlei menschliche Zustände, kurz, ein mysteriöses Etwas von ächter Humanität, das sich kaum theoretisch beschreiben läßt und man aus ihrem Buche heraus- und zusammenlesen muß. Wir wollen ihr sofort unter die leibhaftigen Menschenfresser von Borneo und Sumatra folgen. Allerdings bekam sie in Sarawak, dem Regierungssitze des englischen Consuls Brooke, der sich so ziemlich zum vollständigen Obersultan über alle Sultaneien der Insel Borneo gemacht hat, Empfehlungs- und Schutzbriefe, aber diese reichten lange nicht so weit, als ihr beispielloser Muth. Beim Sultan von Singtang wurde sie ziemlich in europäischer Manier wie eine Prinzessin behandelt und konnte sogar ordentlich mit Messern und Gabeln essen, ihren eigenen nämlich, die sich der Sultan heimlich von ihrem Diener hatte zustecken lassen, um sie ganz in civilisirtem Style zu bewirthen, aber diese feinen Rücksichten hörten bald auf, zumal als sie auf Sumatra über die holländischen Besitzungen hinaus in’s Innere drang, und zwar zu den Battakern, die kurz vorher ein paar Missionäre leibhaftig aufgefressen hatten. Man rieth ihr deshalb sehr dringend und ernstlich ab, aber der merkwürdige Genius unserer Heldin ließ ihr keine Ruhe, ließ keine Furcht in ihr aufkommen. So wandert sie getrosten Muthes in das erste Menschenfresserdorf hinein und weiß sich sofort die Achtung und Protection des Sultans der Battaker, Hali Bonars, zu erwerben, und zwar, wie wir für die, welche unsere Heldin nicht kennen, bemerken, nicht durch ihre Jugend und Schönheit, da sie aus ihren Jahren und ihrem alten Wittwenthume selbst kein Geheimniß macht. Hali Bonar läßt auf ihr Gesuch Nationaltänze aufführen, deren Schilderung wir von ihren eigenen Worten übersetzen.

„Den Schwertertanz fand ich zu meinem Erstaunen ganz gleich mit dem der Dyaks auf Borneo; auch der Messertanz und Kampftanz hatten viele Aehnlichkeit; aber der originellste, wildeste und lebhafteste war der sogenannte Teufelstanz. Die Tänze wurden alle von männlichen Individuen aufgeführt, mit Ausnahme eines einzigen, an welchem ein Weib Theil nahm, aber nur mit seltsamen Gesticulationen, mit Kriechen auf dem Boden, während die Männer um sie herum tanzten. Dabei fixirten Männer und Weib ihre Augen stets auf den Boden. Ich hatte nun alle ihre Tanzkünste gesehen bis auf einen, den, welchen sie um einen Menschen, ehe er gefressen wird, aufführen. Sie weigerten sich anfangs, diesen aufzuführen (doch jedenfalls aus angeborner Scham, dem bloßen Anblicke eines gebildeten Menschengesichts gegenüber), gaben aber endlich meinen Bitten nach. Statt des Menschen banden sie einen Klotz an einen Pfahl und setzten ihm eine Strohmütze auf. Die Tänzer begannen nun damit, ihre Füße so hoch zu schleudern, als es ihnen irgend möglich war, und schleuderten dabei ihre Messer in der ausdrucksvollsten Weise gegen das imaginäre Schlachtopfer. Endlich gab ihm Einer den wirklichen ersten Stich, dem die Andern alle schnell folgten. Sie schlugen den Kopf (d. h. in diesem Falle die Strohmütze) vom Rumpfe und legten ihn auf eine Matte mit großer Sorgfalt, um das imaginäre Blut nicht zu vergießen. Jetzt tanzten sie mit wildem Freudengeschrei um denselben herum. Einige hoben den Kopf auf und brachten ihn an ihre Lippen mit den deutlichsten Zeichen, wie schön ihnen das abgeleckte Blut schmecke. Andere warfen sich auf den Boden, um mit der schrecklichsten Wahrheit das ausgeflossene, geronnene


  1. Der geehrte Einsender irrt. Die Reise der Frau Ida Pfeiffer ist in einer Originalausgabe noch einige Tage früher als die englische bei Gerold in Wien erschienen.
    D. Redakt.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_055.jpg&oldid=- (Version vom 9.4.2017)