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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

dem grünen Tuchspenzer zum Wochenmarkt nach „Almerg“ (Altenburg) gehen, wohl schwerlich mit manchem Rittergutsbesitzer tauschen, der in eleganter Chaise fährt, ist gewiß. Die Bauern wissen das aber auch, und deshalb sehen sie auch darauf, daß Grund und Boden, der den Hauptbestandtheill ihres Reichthums bildet, zusammenbleibt und nicht „verzettelt“ wird. Ein Bauers- oder Anspannersohn oder eine Tochter aus einem solchen Gut wird daher auch selten eine Mesalliance schließen, das heißt, ein Mädchen oder einen Burschen aus der Klasse der „Kleinen,“ der Häusler, heirathen; sie freien meistens untereinander, so daß Besitz zu Besitz kömmt. –

So fließt das Leben des altenburger Bauers ruhig und behaglich dahin, und auf ihn vor Allem konnte man jene Worte des Horaz: Beatus ille, qui procul negotiis paterna rura bobus exercet suis (Glücklich derjenige, der fern von den Staatsgeschäften seine heimathlichen Fluren mit seinen Stieren pflügt) anwenden. Neigt sich endlich seine Lebensbahn abwärts, bleichen sich seine Haare, werden die Glieder matt und schlaff, dann sieht er sich nach einem Nachfolger in der Wirthschaft um, und gewöhnlich – doch nicht immer – ist es der jüngste Sohn, dem er das Anwesen übergiebt, während er für sich und die alternde Gattin nur eine Leibzucht, wie es das gemeine deutsche Recht nennt, oder einen Auszug, wie es hier heißt, behält. Die Extreme berühren sich, Freud’ und Leid liegen im Leben oft nur wenige Stunden aus einander, und oft ist kaum der Jubel der Festtage verhallt und schon mischen sich in den verklingenden Freudenlärm die Seufzer und Klagen der Trauer.

Es war wenige Tage nach jener eben geschilderten Hochzeit, als in dem Dorfe, in dem wir weilten, ein junges, hübsches Mädchen, die schöne Marie oder „schüne Mareige,“ wie die Leute sagten, starb. Auf der Hochzeit hatte sie noch lustig mitgetanzt und gescherzt und gelacht hatte sie wie die Anderen, vielleicht so gar noch etwas übermüthiger – und nun war sie plötzlich gestorben, mit einem Mal „war es über sie gekommen,“ und in wenig Stunden war sie gesund und munter und todt und kalt. Die Leute meinten, sie wäre immer so vollblütig gewesen und es müßte wohl ein „Herzschlag“ sie getroffen haben. Am Begräbnißtag hatte es den ganzen Morgen geregnet, und erst um Mittag brach die Herbstsonne durch das graue, trübe Gewölk. – Zugleich tönte das Sterbegeläute von dem Kirchthurm, und die Leidtragenden fingen an sich in dem Hause zu versammeln. In der Oberstube stand der offene Sarg zwischen Kränzen und Blumenstöcken, und darin lag in ihrem Sonntagsmieder, das buntseidene Tuch um das dunkelblonde Haar geschlungen, eine Citrone mit schwarzen Stecknadeln in der Hand, die schöne „Mareige,“ bleich wie eine Lilie und kalt wie Marmor. – Während die Angehörigen und Freunde die weinenden Aeltern trösteten, nahte sich unter Vortragen des Kreuzes mit dem Heilandsbild und unter dem Singen eines Chorals die Schuljugend, den Schulmeister und Pfarrer an ihrer Spitze. – Vor dem Gehöfte stellte sie sich auf, und als das Lied geendet und die Leiche herunter vor die Hausthür getragen worden war, stieg der Pfarrer auf die „Häufte,“ wie man die Erhöhung vor dem Hause nennt, und hielt eine kurze Rede an die Leidtragenden, in welcher er den Aeltern Trost zusprach und den Anwesenden für ihre Theilnahme dankte. Dann wurde der Sarg zugeschraubt und unter Gesang und Glockengeläute bewegte sich der Zug, während zur Rechten und Linken der Bahre junge Mädchen – die Freundinnen der Verstorbenen – mit Kränzen und Blumenstöcken gingen, nach dem Friedhof. Beim Eintritt in die Kirche setzten die Träger die Bahre zur Erde; es wurde gesungen, gebetet und der Segen gesprochen, wobei – es ist dies eine alte, hergebrachte Sitte, wie alle diese Gebräuche – die nächsten Anverwandten der Verstorbenen sich dicht zusammen auf eine Bank setzten, nicht mit sangen, sondern das Gesicht auf die Kirchenstände niederlegten. Die Männer darunter behielten auch – während die Uebrigen das Haupt entblößten – während des ganzen Gottesdienstes und selbst beim Segensspruch die Hütchen auf dem Kopf. Früher trugen die die Leiche begleitenden Frauen besondere schwarze Trauermäntel und Schleier, doch ist diese Tracht jetzt so ziemlich überall verschwunden und die Frauen gehen in ihrer gewöhnlichen Tracht, nur daß diese bei solcher Gelegenheit von schwarzem Trauerkattun ist und die bunten, grellen Farben wegfallen. – Unter Absingen eines Grabliedes wurde der Sarg in’s Grab gesenkt, drei Hände voll Erde darauf geworfen, ein Vaterunser gebetet – und dann ging es wieder in’s Trauerhaus, wo eine Trauermahlzeit die traurige Feierlichkeit beschloß.

Doch hinweg mit den trüben Bildern! Wir sprachen oben von dem Spiel der Bauern. – Manches, was man sich davon erzählt, gehört in’s Reich der Fabel oder doch wenigstens, wenn es überhaupt vorgekommen, zu den seltenen Fällen, so z. B. daß die Bauern unter sich um Laubthaler nach der Elle, vierzehn Stück auf die Elle gerechnet, spielen sollten, indessen hoch gespielt wird, und daß beim allgeinemen „Landfressen,“ wie da zu Lande die Kirmse genannt wird, Scat den Point zu einem Zwanzigkreuzer gespielt wird – das ist keine.

Da dies Spiel außerhalb Sachsens und Thüringens wenig bekannt sein wird, so wollen wir für die dieses Spiels unkundigen Leser nur so viel bemerken, daß dies ein ziemlich hoher Satz ist, und Einer, falls er Unglück hat oder sonst ungeschickt spielt – das Spiel ist nämlich kein Glücksspiel im strengen Sinn des Worts, sondern beruht mit auf Combinationen der Spieler – wohl ein paar hundert Thaler den Abend verspielen kann. So leidenschaftlich die Bauern aber auch dies Spiel lieben, so ruhig, so unverwüstlich gelassen sind sie im Fall sie verlieren, und mit einem guten oder schlechten Witzwort trösten sie sich oder Andere.

Wir sahen einst in Baden-Baden einen französischen Chevalier am Rouge et Noir, der, nachdem er im Ganzen vielleicht dreihundert Franken verloren, so außer sich gerieth, daß er seine Manschetten mit den Zähnen abbiß, sich die Haare zerraufte und endlich unter fortwährenden Ausbrüchen von Wuth und Aerger davon lief – und dann sahen wir wieder zu einem Volksfest, zu einem Vogelschießen in einer thüringischen Stadt einen altenburger Bauer in einer Spielbude eine Stunde lang Speciesthaler um Speciesthaler verlieren, so daß er zuletzt immer tiefer in die weiten Taschen der bauschigen Hosen greifen mußte. Endlich – es mochte vielleicht der achtzigste Speciesthaler sein, den die gefräßige, habsüchtige Harke des Spielers eingezogen, schienen die Thaler entweder ein Ende zu nehmen oder der Bauer war des Hineingreifens in die Tasche überdrüssig, denn mit einem Male brachte er ein kleines, ledernes, schmutziges Schnürbeutelchen hervor, und es auf den grünen Tisch legend, sprach er: „Gält’s uder gält’s nich?“ (Gilt es oder gilt es nicht?) Der Spieler, der nicht wußte, was in dem Beutelchen war, zögerte anfangs, den Satz anzunehmen und wollte wenigstens wissen, was oder wieviel in dem Beutel wäre, der Bauer aber wiederholte hartnäckig die obige Frage. „Nun meinetwegen, so soll es gelten,“ sagte endlich von der Begierde besiegt der Spieler. – Die Kugel drehte sich und – der Bauer hatte dieses Mal gewonnen. Gelassen löste er nun die Schnüre seines Beutelchens und zählte dem erbleichenden Spieler vierzig neue, unbeschnittene Dukaten vor, die den Einsatz gebildet hatten. Verzweiflungsvoll zahlte der Spieler den Gewinn aus, der Bauer aber strich ihn ruhig ein, wünschte dem Croupier „gute Verrichtung,“ und alle weiteren Versprechungen und Lockungen zu bleiben, waren umsonst – er ging.

Doch der gegebene Raum nöthigt uns hier die Skizze zu schließen, und nur eine kleine historische Notiz sei noch gestattet.

Die altenburger Bauern sind nicht germanischer Abstammung, sondern gehören zu den Sorben-Wenden, welche einst die Länder bis zur Saale inne hatten. Deutsche Ansiedler und vor Allem die Errichtung deutscher Markgrafschaften drängten diesen slawischen Völkerstamm immer weiter zurück, und nur die auf iz, itzsch u. s. w. endenden Namen von Ortschaften zeigen, daß in diesen Gegenden slavische Völker gehaust. Während so das Germanenthum das slavische Element sich überall unterwürfig machte oder da, wo dieses nicht nachgab, vernichtete, und während überall die Besiegten in den Siegern aufgingen, das heißt, sich vollständig germanisirten – wir sprechen jetzt natürlich von den Gegenden an der Saale und Pleiße – erhielt sich trotz aller Anfechtungen im Pleißengau, das heißt, in demselben Bezirk, den die altenburger Bauern noch heute bewohnen, ein Rest von Sorben-Wenden, und wie diese in so vielen Dingen ihren alten Sitten und Gebräuchen treu geblieben, wie viele von ihren deutschen Nachbarn sie unterscheidende nationale Gewohnheiten sie sich erhalten haben – das versuchten wir in vorstehender Skizze zu schildern.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_051.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)