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und Simpleres als diese Lufteisenbahn. Wenn Einer an einem schief herabgespannten Stricke herunterrutscht, hat er das Modell und die Praxis der Lufteisenbahn sofort beisammen. Simpel, aber doch und just deshalb sehr praktisch und von wichtiger Bedeutung. Man braucht jetzt nicht mehr, wo’s aus andern Gründen nicht nöthig und nützlich ist, Berge zu durchbrechen, Tiefen auszufüllen, Brücken über Flüsse zu bauen. Man führt die Lufteisenbahn sofort nach den Gesetzen der Gravitation und der schiefen Ebene darüber hinweg, läßt sich, wenn’s weiter gehen soll, auf der nächsten Station, wo die schiefe Ebene alle wird, sofort wieder in die Höhe Hebeln, und schnurrt dann den nächsten Lustberg am Schnürchen herunter u. s. w.

In Woolwich rutscht man, wie Figura zeigt, mit einer Last von zwanzig Tonnen sogar bergauf – herunter. Der große Wagebalken nämlich, an dessen beiden Enden die Eisenbahnschnuren von geflochtenem Eisendraht angebracht sind, kann je mit einer Hälfte höher gezogen werden, als die gegenüberliegende Anhöhe mit ihrem entsprechenden, herabgesenkten Wagebalken. Die Last rutscht also in einer Rolle vom Thale aus den Berg herauf – hinunter. An der nächsten Station angelangt, rollt sie in einen Apparat, durch welchen sie sofort auf die nächste, höhere Schnur gehoben wird, so daß sie wieder bergauf hinunter laufen, und so am Ende bis auf die höchste Höhe der sächsischen Schweiz immer bergab hinaufsteigen und dabei Thäler und Flüsse ohne Mühe überspringen könnte. Das Schöne der Erfindung, des französischen Ingenieurs M. Balan, besteht gerade darin, daß man im Bergaufsteigen alle Vortheile des Herabsteigens genießen kann und doch sicher in die Höhe kommt.

Die Lufteisenbahn ist direkte, leibliche Tochter der Krimnoth, zwischen deren Bergen, Felsengeklippe, Schluchten und Schlammen so viele tausend Menschenleben, Lebensmittel, Kanonen, Pferde und millionenfache Werthe stecken blieben, weil man mit allen Wundern der Mechanik nicht hindurch und darüber hinwegkommen konnte. Es ist aber sofort klar, daß die Erfindung auch für alle Operationen und Locomotionen in bergigen, schluchtigen, morastischen, von Wasser und Strömen behinderten Gegenden von der größten Wichtigkeit sein, und diese unendlich erleichtern und wohlfeilern muß.

Man hat gefunden, daß die Lufteisenbahn überall in beliebiger Länge gezogen werden kann, wo die Entfernung der einzelnen Stationen nicht über 400 Yards ausgedehnt zu werden braucht, so daß sich also schon ziemlich breite Flüsse und Thäler durch die Luft überbrücken und in Lasten und Ladungen von je 400 bis 450 Centner durchlaufen lassen und zwar in beiden Richtungen, da man mit den beweglichen Stationsbalken die schiefen Ebenen bald nach der einen, bald nach der andern Seite herab senken kann. Notabene, hat man auch bereits angefangen, innerhalb der luftigen Schienen Kupferdrähte einzuflechten, womit man sofort einen elektrischen Telegraphen hin und her correspondiren lassen kann.

Der Apparat in Woolwich ist zunächst noch eine einfache Station, auf welcher man vor meinen Augen große Bausteine für Batterien, Kisten und Kugeln, riesige Bomben, Baumaterialien aller Art spielend hin und hergleiten ließ. Also handgreifliche Demonstration, daß man ohne Plack und Qual, ohne Pferde- und Dampfkraft Personen und Sachen vielcentnerweise eben so leicht und leichter blos vom Gesetze der Schwere durch die Lust spediren kann, wie jetzt mit Kosten und Gefahren vermittelst Pferde- und Dampfkraft. Das Gesetz der Schwere kostet gar nichts, wie die Natur denn überhaupt Alles umsonst giebt. Jede andere Art zu reisen, und sei es die wohlfeilste, vermittelst der „Gebrüder Beenecke,“ ist ziemlich kostspielig, wie man mit Erstaunen erfahren würde, wenn man berechnete, wie viel Kraft ein Mensch schon confirmirt, nur um gemächlich von Berlin nach Schöneberg oder von Leipzig nach Eutritzsch zu spazieren.

Für den Furchtsamen und mathematisch Uneingeweihten, der sich jetzt schon vornimmt, auf der künftigen Luftrutschbahn nicht mitrutschen zu wollen, weil etwa die Leute an jedem ablaufenden Ende der schiefen Ebene unsanft mit den Nasen zusammenstoßen müßten, bemerken wir noch, daß die biegsamen Verbindungstaue, an denen man hinabrutscht, nicht genau eine schiefe Ebene bilden, sondern so construirt sind, daß sie sich am Ende wieder so viel erheben, um das Gesetz der beschleunigten Geschwindigkeit beim Falle so zu neutralisiren, daß die herabrollende Last nur eben bergauf so weit getrieben wird, um sich vom nächsten Balken wieder zur nächsten Station in die Höhe hebeln zu lassen, daß also der ganze Apparat eine genaue, angewandte Mathematik ist mit wissenschaftlicher Berechnung aller mitspielenden Gesetze. Also nur immer gleich frisch mit hinein in den ersten Lufteisenbahnzug, so bald es losgeht. Und ich sollte meinen, es wäre keine schlechte Speculation, irgendwo vor der Stadt draußen eine solche Luftrutschbahn zunächst zum Vergnügen der Leute zurecht zu machen, 1 Sgr. pro Rutsch und Person, Kinder die Hälfte, im Abonnement viel billiger.


Land und Leute.
Nr. 2. Acht Tage im altenburger Lande.
(Schluß.)

Sollen wir noch das nun folgende, wahrhaft homerische Gastmahl – das letzte Epitheton in Bezug auf die Massenhaftigkeit der Gerichte gebraucht – diese Menge Schüsseln und Pfannen voller Gänse, Enten, Karpfen, Schinken, Hasen, Kalbs- und Schöpskeulen, diese Ströme von Bier, rothem und weißen Branntwein, schildern? Diese Pyramiden von Asch- oder Sternkuchen? Sollen wir von den Freuden des Tages sprechen, von dem „Rummelpuff,“ diesem grotesken Tanz, der jetzt nur noch in der Tradition, in der Erinnerung lebt, dessen Charakter aber man vielleicht schon aus dem Namen errathen kann? Die Feder bebt zurück vor solcher Aufgabe.

Drei Tage ging es so fort unter Saus und Braus, am dritten Tage aber, als der Neumond in vergangener Nacht am Himmel gestanden, nahm die hübsche, junge Frau Abschied von ihren Aeltern, ein großer hamburger Wagen mit Blumen und Kränzen geschmückt und mit den Hochzeitsgeschenken beladen, fuhr vor, und hinauf kletterte die junge Frau, sich oben ehrbarlich und züchtig neben das nußbraune Spinnrad und den Flachsrecken – den alten klassischen Symbolen der Häuslichkeit – setzend.

So feiert der altenburgische Bauer seine Hochzeiten. Wir betonen absichtlich das Wort: Bauer. Denn auch diese ländliche Bevölkerung hat ihre Rangunterschiede, und ein Fremder, der auf einem altenburger Jahrmarkt vielleicht alle diese Männer in altenburgischer Bauerntracht und diese Frauen und Mädchen in ihren kurzen, bunten, faltigen Röcken, bunten Kopftüchern, Brustlatz und weißen Strümpfen für Angehörige ein und derselben Klasse halten würde – wäre in einem gewaltigen Irrthum befangen. – Wie die alte Bevölkerung Attika’s ihre drei Klassen, ihre Eupatriden, Geomoren und Demiurgen, wie Rom seine Classes und Centuriones hatte, um nicht von den Unterschieden der germanischen Völker zu sprechen, so hat auch diese altenburgische Bauernschaft ihre verschiedenen Abstufungen oder Kasten. Zuerst kommen die Bauern χατ έξοχήν die Bauern genannt, die Bauern oder Anspanner, auf sie folgen die Gärtner oder Hand-, auch Kuhbauern genannt, und zuletzt schließt sich an diese beiden die Klasse der Häusler, auch schlechthin die „Kleinen“ genannt. Den Kern der Bevölkerung aber bildet die erste Klasse, die der Bauern oder Anspanner, die den letzten Namen davon führen, daß sie zur Bewirthschaftung ihrer Felder neben dem gewöhnlichen Zugvieh an Rindern auch und insbesondere Pferde benutzen, nach deren Zahl – die wieder von der Größe des Grundbesitzes, von der Menge der zu einem Gut gehörigen Hufen oder Acker abhängig – die Anspanner wieder in Zwei-, Drei-, Vier-, Fünf-, auch wohl Sechsspänner theilt. Diese Bauern oder Anspanner sind es, von deren Reichthum und Behäbigkeit, deren hohem Spiel, insbesondere dem sogenannten „Scatspiel,“ dessen Vaterland Altenburg sein soll, von deren Festlichkeiten, wie eine oben geschildert worden, sich die Leute im Land umher wunderbare Dinge erzählen. Manches davon mag wohl übertrieben sein, indessen ist auch viel Wahres darunter. Wohlhabend sind diese Anspanner fast alle, und daß Viele von ihnen, die mit dem großen Kober von geflochtenem Stroh über

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